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Ein kleiner Sieg für Mumia Abu-Jamal

US-Gericht urteilte zugunsten des US-Bürgerrechtlers / Hinrichtung droht aber weiter

Von Birgit Gärtner *

Die Richter des 3. Bundesberufungsgerichts in Philadelphia (USA) machten dem seit 1981 inhaftierten Mumia Abu-Jamal am Dienstag (26. April) ein zweitägig verspätetes Geburtstagsgeschenk: Sie schenkten ihm sein Leben. Jedenfalls vorläufig. Die letztendliche Entscheidung fällt der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court. Am Ende des Verfahrens gegen den Bürgerrechtler kann immer noch das Todesurteil stehen. Einen zeitlichen Rahmen dafür gibt es nicht.

Mumia Abu-Jamal war am 9. Dezember 1981 in Philadelphia verhaftet, weil er den Polizisten Daniel Faulkner erschossen haben soll. Trotz fragwürdiger Beweise, nach offensichtlich manipulierten Akten, erpressten Zeugenaussagen und einer von Richter und Staatsanwalt unzulässig beeinflussten Jury wurde er im Juli 1982 nach einer fünfzehntägigen Verhandlung zum Tode verurteilt. Seitdem kämpft er, unterstützt von Amnesty International und einer weltweiten Solidaritätsbewegung, für die Wiederaufnahme seines Verfahrens, um seine Unschuld beweisen zu können.

Im Dezember 2001 ordnete Richter William Yohn vor dem Bundesbezirksgericht in Philadelphia die Aussetzung der Todesstrafe und deren Umwandlung in lebenslange Haft ohne Bewährung an. Dieses Urteil wurde indes nie rechtskräftig, da die Gegenseite umgehend Berufung dagegen einlegte. Am 17. Mai 2007 fand vor dem 3. Berufungsgericht in Philadelphia eine Anhörung statt. Die drei Richter bestätigten im März 2008 die Entscheidung von Richter Yohn von 2001.

Die Bezirksstaatsanwaltschaft Philadelphia legte gegen dieses Urteil beim Supreme Court Berufung ein. Der Oberste Gerichtshof entschied daraufhin, den Fall an das Gericht in Philadelphia zurückzuverweisen, mit der Maßgabe, die Richter mögen ihre Entscheidung vor dem Hintergrund des Falles des als Mörder verurteilten Neonazis Frank Spisak noch einmal überdenken. Bei dessen Prozess waren die Geschworenen nicht darauf hingewiesen worden, dass sie strafmildernde Umstände hätten geltend machen und lebenslange Haft statt Todesstrafe verhängen können.

Der Supreme Court meinte, Ähnlichkeiten in den beiden Fällen entdeckt zu haben, weil im Falle Abu-Jamal die Jury vom Staatsanwalt falsch informiert wurde: Ihnen wurde gesagt, sie könnten ruhig die Todesstrafe verhängen, da der Angeklagte »Berufung nach Berufung« einlegen könnte.

Die Richter dachten nach – vom 9. November 2010 bis zum Dienstag dieser Woche – und blieben bei der bereits 2008 geäußerten Ansicht, dass das 1982 wegen Polizistenmordes verhängte Todesurteil auf Grund der Fehlinformation der Jury verfassungswidrig sei. Damit ist das Todesurteil nicht endgültig vom Tisch, der Supreme Court kann die Entscheidung aus Philadelphia übergehen, und letztendlich doch die Exekution anordnen.

Der Rechtshilfefonds der National Association for the Advancement of Coloured People (Nationale Organisation für die Förderung farbiger Menschen) begrüßte die Entscheidung: »Die erneute Anerkennung der Existenz eines klaren Verfassungsbruchs im Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal durch das 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia stärkt das Vertrauen in das System der Strafjustiz und trägt dazu bei, die Art von Unfairness, auf der dieses Urteil beruhte, zu einer Sache der Vergangenheit zu machen«, betonte John Payton, juristischer Leiter des Fonds in einer Pressemitteilung der Organisation

Die Juraprofessorin Judith Ritter, die Mumia Abu-Jamal bei der Anhörung im November vertrat, merkte an, dass »die verwirrenden und irreführenden Anweisungen und Formulare, auf die sich die Jury in Abu-Jamals Verfahren stützen musste, schon vor langer Zeit abgeschafft wurden, um unfairen und ungerechten Todesurteile einen Riegel vorzuschieben. Die Gerichte verwenden heute eine klare und unmissverständliche Sprache, um die Geschworenen über ihre Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umständen aufzuklären, die für eine lebenslange Haftstrafe sprechen.«

* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2011


Guter Tag für Mumia

Von Jürgen Heiser **

Das Todesurteil gegen den afroamerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal ist nicht verfassungskonform. Zu dieser Feststellung gelangte am Dienstag (26. April) das 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia. In einer einstimmigen Entscheidung kamen die drei Berufungsrichter zu dem Schluß, daß die Geschworenen, die Abu-Jamal im Juli 1982 wegen Mordes an dem weißen Polizisten Daniel Faulkner zum Tode verurteilt hatten, falsch darüber instruiert worden waren, wie mildernde Umstände zu berücksichtigen seien. Hätten die zwölf Geschworenen vom vorsitzenden Richter dazu korrekte juristische Hinweise erhalten, so wäre schon damals eine Verurteilung zu lebenslanger Haft möglich gewesen. Deshalb ordneten die Bundesrichter nun an, das zuständige Staatsgericht müsse entweder »innerhalb von 180 Tagen erneut in einer Anhörung über das Strafmaß verhandeln« oder Abu-Jamal ohne Anhörung »zu lebenslanger Haft verurteilen«.

Das Bundesberufungsgericht bestätigt mit dieser Entscheidung seinen früheren Beschluß von März 2008 und einen weiteren des Bundesrichters William Yohn, der bereits im Dezember 2001 ähnlich entschieden hatte. Allerdings war die Staatsanwaltschaft jeweils sofort in Berufung gegangen, weshalb die früheren Entscheidungen nie rechtskräftig wurden und Mumia Abu-Jamal weitere zehn Jahre im Todestrakt zubringen mußte. Auch jetzt erklärte Philadelphias Bezirksstaatsanwalt Seth Williams gegenüber dem Philadelphia Inquirer, er »erwäge, vor dem U.S. Supreme Court in Berufung zu gehen«. Damit scheint sicher, daß Abu-Jamals Haft in der Isolation des Todestrakts auch über die vom Bundesgericht gesetzte sechsmonatige Frist hinaus fortdauert, denn auch die jüngste Entscheidung kann im Falle der Berufung erst Rechtskraft erlangen, wenn der Oberste Gerichtshof der USA sie bestätigt.

Gestützt auf den massiven »Grillt Mumia!«-Propagandafeldzug der rechten Polizeibruderschaft Fraternal Order of Police (FOP) beharrt die Anklagebehörde seit Jahrzehnten darauf, den inzwischen mit vielen Preisen und Ehrungen ausgezeichneten politischen Gefangenen und Buchautoren durch die Giftspritze hinrichten lassen zu wollen.

In einer ersten Stellungnahme erklärte John Payton, leitender Justitiar des Legal Defense & Educational Fund (LDF): »Diese Entscheidung markiert einen bedeutenden Schritt vorwärts im Kampf um die Korrektur der Fehler eines unseligen Kapitels in der Geschichte Pennsylvanias.«

Der LDF als Rechtshilfefonds der Bürgerrechtsorganisation NAACP vertritt gemeinsam mit der Juraprofessorin Judith Ritter Abu-Jamal juristisch vor den US-Gerichten und teilt mit ihr und einer weltweiten Solidaritätsbewegung die Hoffnung, daß Abu-Jamal zumindest der Gang in die Hinrichtungskammer erspart bleibt.

Professorin Ritter merkte zur Gerichtsentscheidung an, bereits vor langer Zeit habe Pennsylvania »die verwirrenden und irreführenden Anweisungen und Formulare, auf die sich die Jury in Abu-Jamals Prozeß stützen mußte, abgeschafft, um unfairen und ungerechten Todesurteilen vorzubeugen«. Heute verwendeten die Gerichte »eine klare und unmißverständliche Sprache, um die Geschworenen über ihre Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umständen zu beraten, die eher eine lebenslange Haftstrafe nahelegen«. Abu-Jamal habe »Anspruch auf den gleichen verfassungsmäßigen Schutz«, so Ritter.

** Aus: junge Welt, 28. April 2011


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