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Der Protest muss hörbar sein

Suzanne Ross über die Solidaritätsbewegung mit Mumia Abu-Jamal


Die Psychologin Suzanne Ross ist im New Yorker Free-Mumia-Abu-Jamal-Bündnis zuständig für internationale Kontakte. Mit ihr sprach für "Neues Deutschland" (ND) Birgit Gärtner.

ND: Wie ist die Stimmung der Solidaritätsbewegung in den USA ?

Ross: Das Vorjahr begann mit einem Schock für uns. Im Jahre 2007 hatte sich das 3. Berufungsgericht in Philadelphia für die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft ohne Bewährung ausgesprochen. Dieses Urteil wurde allerdings nie rechtskräftig, da die Bezirksstaatsanwaltschaft Philadelphia Berufung beim Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, einlegte. Der verwies den Fall Mitte Januar 2010 zurück an dieselbe Kammer in Philadelphia, mit der Maßgabe, die Richter möchten ihre Entscheidung doch noch mal überdenken – vor dem Hintergrund des Verfahrens gegen Frank Spisak.

Worum geht es da?

Der offensichtlich geistig verwirrte Neonazi hat Anfang der 1980er Jahre in Cleveland, Ohio, drei Menschen getötet. Der Supreme Court meinte nun, Ähnlichkeiten in den beiden Fällen entdeckt zu haben, weil in beiden Verfahren die Jury falsch bzw. unzureichend informiert wurde. Das sieht Mumias Anwältin Judith Ritter allerdings völlig anders, was sie bei der Anhörung im November 2010 in Philadelphia auch sehr nachdrücklich klarstellte. Unterdessen sind im Fall Spisak alle Rechtsmittel erschöpft, und der Hinrichtungstermin wurde für Februar 2011 festgesetzt. Es ist sonnenklar, dass der Supreme Court auf eine bestimmte psychologische Wirkung abzielte: Mumia auf einer Stufe mit einem mordenden Neonazi.

Wie wurde diese Entscheidung in Philadelphia aufgenommen?

In Philadelphia gab und gibt es eine massive Mobilisierung der Fraternal Order of Police (FOP), einer höchst reaktionären Polizeigilde, gegen Mumia. Außerdem gibt es dort einen schwarzen Bürgermeister, einen schwarzen Bezirksstaatsanwalt und einen schwarzen Filmemacher, die sich für die Hinrichtung stark machen. Es waren also furchtbar schwere Geschütze, die aufgefahren wurden, und gegen die anzukämpfen unsere Aufgabe war. Eine schier unlösbare Aufgabe, wie es uns schien.

Das klingt, als hätten Sie diesen Kampf trotzdem gewonnen?

Gewonnen ist dieser Kampf noch lange nicht, zumal wir ja nicht nur die Hinrichtung verhindern, sondern Mumias Freiheit erreichen wollen. Aber die Gegenseite hat sich selbst so unmöglich gemacht, und sich bei mehreren Gelegenheiten total blamiert, während unsere Leute – z. B. Judith Ritter, die Anwältin, die Mumia bei der Anhörung Anfang November 2010 in Philadelphia vertreten hat – eine sehr gute Figur abgegeben haben. Uns ist es innerhalb dieses Jahres durch viele verschiedenen Aktivitäten gelungen, die Stimmung, die immer pro Hinrichtung war, etwas zu kippen. Selbst in den Medien wird vielfach »nur« noch über lebenslange Haft diskutiert. Das ist ein großer Erfolg und lässt hoffen, dass die Richter bei ihrer Entscheidung von 2007 bleiben.

Was kann die Solidaritätsbewegung hierzulande konkret dazu beitragen, dass 2011 ebenfalls ein erfolgreiches Jahr für Mumia Abu- Jamal wird?

Wichtig ist, immer wieder über den Fall zu informieren, und der Protest aus dem Ausland muss sicht- und hörbar sein. Damit die Herrschenden merken, dass auch dort ein Augenmerk auf die Einhaltung der Menschenrechte in den USA gelenkt wird.

Verschiedene Stadträte, die Bremische Bürgerschaft sowie das Europaparlament haben Resolutionen zur Abschaffung der Todesstrafe weltweit verabschiedet, in denen als Beispiel u. a. Mumia genannt wird. Einige der Städte und auch einige EU-Abgeordnete haben die zuständigen Stellen in Justiz und Politik in Philadelphia darüber informiert. Wird dort überhaupt Notiz davon genommen?

Aber ja, das ist genau die Öffentlichkeit, die wir brauchen. Im April 2006 wurde im französischen Saint Denis, einem Vorort von Paris, eine Straße nach Mumia benannt. Ein kleines Gässchen im Grunde genommen, das zum Nelson-Mandela-Stadion führt. Die FOP drehte daraufhin völlig durch und gerierte sich, als seien die Champs-Élysées umbenannt worden. Vier Parlamente, angefangen beim Stadtparlament in Philadelphia bis hin zu beiden Häusern des US-Kongresses, beschäftigten sich damit, und verabschiedeten Resolutionen, in denen Saint Denis aufgefordert wurde, die Umbenennung rückgängig zu machen. Was der Bürgermeister, ein Sozialist, allerdings verweigerte. Daran lässt sich erkennen, dass die Herrschenden in den USA durchaus druckempfindlich sind. Und gerade in der jetzigen Phase sind solche Aktionen wichtiger denn je.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2011


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