Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Staatsfeind

Zwei neue Bücher zum Fall Mumia Abu-Jamal

Von Gerd Bedszent *

Ein Buch von Mumia Abu-Jamal und eines über ihn sind gerade im Unrast-Verlag erschienen. Zwar ist die Todesstrafe gegen den unbeugsamen Journalisten, der seit 1981 im Gefängnis sitzt, vom Tisch. Die US-Justiz scheint jedoch entschlossen, ihren derzeit prominentesten politischen Gefangenen für den Rest seines Lebens hinter Gittern zu halten. Die Solidaritätsbewegung darf sich also nicht auf dem Teilerfolg ausruhen, und das macht sie auch nicht, wie am Samstag ein 600 Meter langes Plakat bewies, das vor der US-Botschaft in Berlin entrollt wurde. Die nächste Demo für Abu-Jamal in der Hauptstadt ist für den 21. April angemeldet.

Sein nun bei Unrast übersetztes Buch von 2004 kreist um die Black Panther Party. Es ist weniger autobiographisch als man vermuten könnte. Eher schreibt Abu-Jamal eine kleine Geschichte des afroamerikanischen Widerstands in den USA und streut persönliche Erlebnisse in Erzählform ein. Mit 14 Jahren trat er in die Black Panther Party ein, mit 18 wieder aus. Er hatte also keine höhere Funktion.

Er schildert etwa, wie er mit 14 in einem Buchladen auf die Zeitung The Black Panther stieß und mit 15 beim Verkauf ebendieser Zeitung festgenommen wurde. Wegen »verkehrswidrigen Überquerens einer Straße« kam er für mehrere Wochen in ein Jugendgefängnis. Oder er beschreibt, wie er bewaffnet eine Nacht lang das New Yorker Hauptquartier der Panthers bewachte.

Breiten Raum nimmt die Schilderung staatlicher Repression gegen die schwarze Ghettobevölkerung ein. Bis in die 60er Jahre hinein waren Afroamerikaner faktisch rechtlos. Regelmäßig kam es zu Pogromen ungestraft agierender weißer Mobs, Hinrichtungen oder willkürlichen Inhaftierungen durch rassistische Polizisten. Die Black Panther Party wurde 1967 zunächst zur Selbstverdeidigung gegründet. Die Mitglieder dokumentierten Polizeiübergriffe, organisierten Rechtsbeistand, marschierten durch Hochburgen weißer Rassisten und leisteten Sozialarbeit, versorgten etwa Kinder mittelloser Familien mit Essen. Für die Bundespolizei Grund genug, sie als Staatsfeinde zu behandeln. Spitzel und Provokateure wurden eingeschleust, gefälschte Briefe verschickt, alle Register der Kriminalisierung gezogen. Wie Abu-Jamal schreibt, kam das entsprechende COINTELPRO-Programm nur an die Öffentlichkeit, weil Politaktivisten in ein FBI-Depot einbrachen und die erbeuteten Dokumente der linken Presse zugänglich machten.

Auch das zweite Unrast-Buch ist eine Abrechnung mit dem politischen System der USA. Der Autor Kyrylo Tkachenko, in Deutschland lebender Ukrainer, erklärt, daß sich im Fall Abu-Jamal der »gesamte Irrsinn sozialer und rassistischer Diskriminierung (…) beispielhaft zusammenballt«. Die Bürgerrechtsbewegung habe nach den großen Ghettorevolten der 60er Jahre zwar rassistische Auswüchse beseitigt und den afroamerikanischen Mittelstand gestärkt. Der strukturelle Rassismus sei jedoch geblieben.

Tkachenko präsentiert dazu Zahlen: Seit 1973 steigt die Zahl der Gefängnisinsassen in den USA permanent an, von 360000 Inhaftierten auf 2,4 Millionen im Jahre 2008. Daß mehr Straftaten begangen würden, ist nicht nachweisbar. Die US-Bürger stellen fünf Prozent der Weltbevölkerung und mittlerweile 25 Prozent der Gefäng­nisinsassen. Tkachenko erklärt die Entwicklung mit dem Krieg gegen die Armen. Mit der Angst der Reichen vor den stetig verarmenden Bevölkerungsgruppen, hauptsächlich Afroamerikaner und Hispanos, wachse die Gefängninsindustrie. Die Knäste seien auch ein brauchbares Instrument, alle aus dem Verkehr zu ziehen, die den reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Verwertung störten. Und nicht zuletzt versorgten die zunehmend privat betriebenen Haftanstalten die Industrie mit Sklavenarbeitern.

Mumia Abu-Jamal: We want freedom - Ein Leben in der Black Panther Party. Unrast Verlag, Münster 2012, 327 Seiten, 18 Euro

Kyrylo Tkachenko: Der Fall Mumia Abu-Jamal. Rassismus, strafender Staat und die US-Gefängnisindustrie. Unrast Verlag, Münster 2012, 239 S., 14 Euro


* Aus: junge Welt, 10. April 2012


Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage