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Strategiewechsel bei US-Militär: Abgesang auf die Dominanz

Von Ilja Kramnik, RIA Novosti *

Die USA haben am 8. Februar 2011 ihre überarbeitete Militärstrategie bekannt gegeben. Sie unterscheidet sich deutlich von ihrer Vorgängerin aus dem Jahr 2004.

Am interessantesten ist die neue Zielsetzung. Vor sieben Jahren handelte es sich vor allem um die Abwehr von möglichen Überraschungsangriffen und um die Garantie der militärischen und technologischen Dominanz. Diesmal wurde die Festigung der Beziehungen zu ausländischen US-Partnern als wichtigstes Ziel ausgegeben. Die Beteiligung an internationalen Koalitionen gilt als Unterpfand der Sicherheit in der heutigen Welt. Die USA behalten sich jedoch das Recht vor, notfalls im Alleingang vorzugehen.

Zu den Aufgaben gehören zudem die Förderung der regionalen Sicherheit, die Bekämpfung des Extremismus, die Eindämmung der Aggression und die Gestaltung der „Streitkräfte der Zukunft“. Washington betont dabei, eine atomwaffenfreie Welt anzustreben.

Gefahren und Verbündete

Als größte Gefahr für ihre nationale Sicherheit betrachten die USA nach wie vor den internationalen Terror. Das bedingt auch die Wahl der strategischen Ziele: Das Terrornetzwerk Al-Kaida und ihre Anhänger, die vor allem in Afghanistan und Pakistan ihr Unwesen treiben.

Russland wird im Dokument nur ein einziges Mal erwähnt. Die Urheber der US-Strategie setzen auf eine engere Kooperation: „Wir werden den Dialog und das militärische Zusammenwirken mit Russland fördern und dabei von den Erfolgen ausgehen, die wir beim Abbau der strategischen Rüstungen erreicht haben.“

Zu den gemeinsamen Interessen mit Moskau gehören laut der US-Militärstrategie die Vorbeugung der Atomwaffenverbreitung, der Anti-Terror-Kampf, die Kooperation bei der Erforschung des Weltraums und beim Aufbau der Raketenabwehr.

Außerdem würden die USA es gutheißen, wenn Russland eine aktivere Rolle bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Stabilität in Asien spiele, heißt es.

Ein großer Abschnitt ist China gewidmet. Washington ist sich bewusst, dass die Volksrepublik immer mehr an Gewicht und Einfluss gewinnt. Deshalb zeigen sich die Amerikaner zur Kooperation im Interesse der gegenseitigen Verständigung und der gemeinsamen Stabilisierung auf der Korea-Halbinsel bereit. Zugleich verweisen sie allerdings darauf, dass ein militärisch erstarkendes China die Sicherheit in der Region gefährden könnte. Angesichts dessen wollen die USA ihren Wunsch und ihre Bereitschaft zeigen, ihre Verbündeten bei der Unterbindung der Aktivitäten zu unterstützen, „die das bestehende System der internationalen Wirtschaftsbeziehungen gefährden könnten.“

Was folgt daraus?

Aus der Strategie geht vor allem hervor, dass man in Washington faktisch anerkennt, dass die USA den Status als einzige Supermacht verloren haben, die die internationale Sicherheitsarchitektur selbstständig bestimmen und über die Rangordnung verschiedener Staaten entscheiden konnte. Die in den 1990er Jahren übernommene Last konnte von den USA nicht gestemmt werden. Wegen der Probleme im Nahen Osten und in Zentralasien sah sich Washington gezwungen, noch enger mit den Partnern zu kooperieren. Die USA bleiben jedoch die stärkste Militärmacht. Sie haben allerdings die absolute Kontrolle über die weltweiten Ereignisse verloren, während das Risiko der Destabilisierung deutlich zugenommen hat.

Die Gefahren für die internationale Sicherheit sind weiterhin akut und nehmen zu, obwohl der Kalte Krieg de facto vorbei ist. Zahlreiche lokale Kriege, die sich kaum kontrollieren lassen, und politische Prozesse in einigen Entwicklungsländern wirken sich immer stärker auf die Sicherheit der Supermächte, darunter der USA, aus.

Ein ganz spezielles Thema ist Chinas zunehmender Einfluss und seine wachsenden Möglichkeiten. Die Volksrepublik könnte in der Zukunft die Stellungen der USA im Asiatisch-Pazifischen Raum mehr ins Wanken bringen als irgendjemand sonst seit Sowjet-Zeiten.

Unter diesen Voraussetzungen war die Korrektur der Prioritäten absolut folgerichtig. Es bleibt nur eine Frage, die besonders wichtig ist: Inwieweit ist die jetzige aktuelle US-Regierung in der Lage, die in der Strategie gestellten Aufgaben zu erfüllen? Es ist kein Geheimnis, dass es in den USA - ebenso wie in Russland - nach wie vor einflussreiche Personen gibt, die in den Stereotypen des Kalten Kriegs denken.

Deshalb sind ihre Aktivitäten in Bezug auf Russland nicht so sehr auf die Förderung der Kooperation und Verständigung gerichtet, sondern vor allem auf die Isolation Russlands, um es von der globalen Beschlussfassung auszuschließen.

Damit ist diese Strategie, die eine Vorstellung von der Einstellung des Pentagons und der US-Regierung gibt, erst dann von Wert, wenn sie von den Menschen in die Tat umgesetzt wird, die sich tätsächlich und nicht verbal zu den Werten bekennen, auf deren Grundlage das Dokument verfasst wurde.

In zwei Jahren muss die neue US-Strategie eine schwere Prüfung bestehen, und zwar die nächste Präsidentenwahl. Deshalb ist bislang unklar, ob die erklärte Kooperationsbereitschaft durch konkrete Vorstöße untermauert wird und - was nicht weniger wichtig ist - ob die künftige US-Führung in Streitfragen tatsächlich zu Kompromissen bereit ist.

Wenn das nicht geschehen sollte, dann ist die US-Militärstrategie von 2011 großenteils eine klangvolle, aber substanzlose Deklaration.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 11. Februar 2011; http://de.rian.ru

Hier geht es zur neuen Militärstrategie (externer Link)

Redefining America's Military Leadership
The National Military Strategy of the United States of America, 2011 [pdf]




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