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Militarisierung via Mars

Bushs Weltraumpläne haben nicht nur zivile Aspekte

Die Medien waren voll ungläubiger, teiweise auch ironischer Kommentare über die hochfliegenden Pläne des US-Präsidenten, bis zum Jahr 2004 eine bemannte Raumstation auf dem Mond zu installieren und von dort den Mars und andere Planeten zu besuchen. Bushs Rede im Hauptquartier der NASA, das sich gerade im Erfolg ihrer Marssonde "Spirit" sonnte, war vielfach als reine Wahlkampfrede eingestuft worden: ein klassisches Ablenkungsmanöver, das die Probleme im Irak (und die Lügen vor dem Irakkrieg) vergessen machen und den patriotischen Amerikanern ein neues visionäres Ziel geben soll. Nichts werde3 schließlich so heiß gegessen, wie es gekocht würde, und spätestens an der Finanzierung würde dieses ehrgeizige Projekt scheitern, so wird argumentiert.

Dem könnte nun entgegen gehalten werden, dass die Finanzierung des Projekts keine allzu großen Hindernisse überwinden muss. Bush beantragt für die nächsten fünf Jahre lediglich eine Mrd. Dollar zusätzlich. Der Etat der Weltraumbehörde NASA beträgt immerhin stolze 86 Mrd. Dollar: Da wird sich bei entsprechender Umorientierung der Forschungsarbeiten einiges in Richtung Mond und Mars bewegen lassen.

Ein Nebenaspekt bei dem neuen Programm blieb unterbelichtet in der bisherigen Berichterstattung hier zu Lande: die militärische Bedeutung des Projekts. Wir haben lediglich in der Zeitung "Neues Deutschland" einen Artikel gefunden, der sich ausschließlich mit diesem Aspekt befasst. Die Argumentation des Autors kann dabei auf Äußerungen aus der Bush-Administration der letzten Jahre zurückgreifen.

Wir dokumentieren im Folgenden den Artikel von Wolfgang Kötter.


Militarisierung via Mars

Von Dr. Wolfgang Kötter

USA-Präsident Bush hat die Besiedelung des Mondes und von dort aus bemannte Flüge zum Mars angekündigt. Es geht dabei vor allem auch um militärische Aspekte.

Sicher, die astronomischen Kosten von hunderten Milliarden Dollar und unüberwindbare technische Hürden könnten das vollmundige Programm radikal schrumpfen lassen. Aber vielleicht gehen die Strategen im Weißen Haus ohnehin davon aus, dass lediglich ein Bruchteil des Vorhabens realisiert wird, dies aber könnte der gefährlichste Part sein: Die weitere Militarisierung des Weltraums. Im Bericht der vom jetzigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld geleiteten »Weltraumkommission« hieß es bereits im Januar 2001: »Es ist auch möglich, Macht im und aus dem Kosmos zu projizieren, um auf Ereignisse überall in der Welt zu reagieren... Diese Fähigkeit würde den Vereinigten Staaten eine viel stärkere Abschreckungsfähigkeit verleihen und, im Konfliktfall, einen außerordentlichen militärischen Vorteil.« Noch prägnanter brachte es Senator Robert Smith aus New Hampshire auf den Punkt, indem er konstatierte, wer den Weltraum kontrolliere, gewinne den nächsten Krieg.

Dem stehen gegenwärtig völkerrechtliche Beschränkungen entgegen. Bereits seit dem Teilteststoppvertrag von 1963 ist die Erprobung von atomaren Waffen im Kosmos geächtet. Der Weltraumvertrag von 1967 verbietet, Objekte mit Kernwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen auf eine Erdumlaufbahn zu bringen und auf Himmelskörpern oder im Weltraum zu stationieren. Er untersagt außerdem die Errichtung von Militärbasen, die Erprobung von Waffen und das Abhalten von militärischen Manövern. Der im Jahre 1979 abgeschlossene Mondvertrag spezifiziert die Verpflichtungen weiter. Das Abkommen bestimmt den Mond und andere Himmelskörper als Gemeingut der Menschheit, erlaubt ausschließlich die friedliche Nutzung zum Vorteil und im Interesse aller Länder. Er verbietet die Anwendung und Androhung von Gewalt in Bezug auf die Erde, den Mond, auf Raumschiffe und deren Besatzungen sowie auf künstliche Weltraumprojekte. Nicht verboten sind allerdings durch den Kosmos fliegende ballistische Raketen sowie Satelliten zur Kontrolle, Kommunikation und Aufklärung.

Das bestehende Völkerrecht garantiert also keine vollständige Entmilitarisierung und unterbindet nicht generell die militärische Nutzung des Weltalls, setzt aber der Aufrüstung für die offensive Kriegführung deutliche Schranken. Dennoch lehrt die Erfahrung, dass selbst verbindlich eingegangene Abrüstungsverpflichtungen für die Bush-Regierung kein Hindernis bei Rüstungsvorhaben darstellen. Nach den Terrorattentaten vom 11. September 2001 gelang es ihr bereits, das Projekt eines Raketenabwehrsystems voranzutreiben, obwohl bekanntlich kein noch so perfekter Abwehrschirm die Anschläge hätte verhindern können. Prominentes Opfer wurde der ABM (Anti-Ballistic-Missile)-Vertrag, in dem die USA und Russland auf den Ausbau flächendeckender Raketenabwehrsysteme verzichteten. Washington kündigte ihn einseitig auf und hat seither freie Hand bei der Forcierung seiner Pläne. Der Schutzschirm soll es den USA vor allem ermöglichen, weltweit militärische Aktionen zu unternehmen, ohne einen Gegenschlag befürchten zu müssen, selbst wenn die Gegner Raketen mit atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungsmitteln einsetzen. Doch es geht nicht nur um Schutz, sondern auch um Machtprojektion aus dem Weltall. Eine weitere Militarisierung des Kosmos einschließlich der Stationierung von Massenvernichtungswaffen könnte die eigene uneingeschränkte Interventionsfähigkeit auf der Erde auch aus dem Weltraum militärisch unterstützen und die Handlungsspielräume für die Erringung einer globalen Hegemonie der USA vergrößern. Entgegen den Propagandabehauptungen sind dabei nicht vorrangig Terroristen im Visier, denn Raketenabwehr und weltraumgestützte Offensivwaffen sind gegen ihre Aktionen wirkungslos. Vielmehr geht es den ideologieverblendeten »Neokonservativen« in Washington um die »Schurkenstaaten«, zu denen sie nach der Ausschaltung Iraks nicht nur Nordkorea und Iran, sondern auch Jemen, Libyen, Somalia, Syrien und Sudan zählen. Ihre Politik wird als weitgehend irrational und abschreckungsresistent eingeschätzt, eine Lösung nur im Regimewechsel gesehen, vorzugsweise mit militärischen Mitteln. Auch einstige Rivalen wie Russland und China sind noch nicht von den Pentagon-Ziellisten gestrichen.

Doch der Kurs auf Welthegemonie durch Aufrüstung und Krieg ist katastrophal. Er zerstört das über Jahrzehnte errichtete Gebäude von Verträgen zur Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung. Aber gerade angesichts der gegenwärtigen und zukünftigen Bedrohungen ist ein verbindlicher Kanon allgemein akzeptierter völkerrechtlicher Normen und Verhaltensregeln für Frieden und Stabilität unverzichtbarer denn je. Es wäre ein Leichtes für die USA, die internationale Sicherheitsarchitektur zu stärken und Zweifel an den ausschließlich friedlichen Absichten ihrer Mond- und Marsmissionen auszuräumen. Sie brauchten lediglich ihren Widerstand gegen die seit langem in der multilateralen Abrüstungskonferenz auf dem Tisch liegenden Vorschläge zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum aufzugeben. Die Konferenz, in der bereits mehrere multilaterale Abrüstungsverträge ausgehandelt wurden, beginnt am kommenden Dienstag in Genf ihre diesjährige Sitzungsperiode.

Aus: Neues Deutschland, 16. Januar 2004


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