Alarmurteil
USA: Erbarmungslose Jagd auf Menschen, die die Wahrheit verbreiten. Bradley Manning ließ sich nicht erpressen
Von Jürgen Heiser *
Wikileaks-Informant Bradley Manning wird ein Gnadengesuch direkt an US-Präsident Barack Obama richten. Das kündigte Rechtsanwalt David Coombs an, nachdem sein Mandant am Mittwoch zu 35 Jahren Haft verurteilt wurde. »Der Kampf ist noch nicht vorbei«, erklärte Coombs auf einer Pressekonferenz kurz nach der Urteilsverkündung. Er wolle dafür sorgen, daß Manning »eines nicht zu fernen Tages seine Zelle in Fort Leavenworth verlassen kann«. Parallel zu einem Berufungsantrag, für den er genug Ansatzpunkte sehe, werde er das Gnadengesuch direkt an US-Präsident Barack in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber und höchste Gnadeninstanz des US-Militärs richten. Laut dpa reagierte das Weiße Haus zunächst kühl. Das Gesuch werde wie alle anderen auch geprüft, kündigte ein Sprecher an.
Bradley Manning hatte auf die Verkündung der Haftstrafe gefaßt reagiert. »Ich werde das schaffen«, habe er gesagt, berichtete sein Anwalt der Washington Post. In einer Stellungnahme zum Gnadengesuch erklärte Manning, während seiner Dienstzeit in Irak habe er angefangen, »an der Moral unserer Taten zu zweifeln«. Statt die Verantwortung für die Tötung unschuldiger Zivilisten zu übernehmen, hätten sich die USA hinter der nationalen Sicherheit versteckt. »Wir haben unsere Menschlichkeit vergessen.« Wenn sein Gnadengesuch abgelehnt werde, so Manning, werde er seine Zeit absitzen.
Anwalt Coombs brachte der Öffentlichkeit nun auch zur Kenntnis, Manning habe einen Handel über das Strafmaß abgelehnt, den ihm die Staatsanwaltschaft angeboten hatte. Als Gegenleistung für ein geringeres Strafmaß als 35 Jahre hätte Manning sich in allen Anklagepunkten schuldig bekennen müssen. In der Folge hätte sein Mandant jedoch umfassend aussagen müssen, »was wir auf keinen Fall wollten«, so Coombs.
Schon im Dezember 2011 hatte Coombs darauf hingewiesen, daß die Ankläger des Pentagon versuchen würden, seinen Mandanten zu einem solchen Geständnishandel zu zwingen. Damals wie heute habe er, Coombs, darin den Versuch der Staatsanwaltschaft gesehen, Manning zu seinen Kontakten zu Wikileaks befragen und ihn als Zeugen gegen Julian Assange, den Gründer der Enthüllungsplattform, einsetzen zu können. Assange ist zwar durch sein Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors seit über einem Jahr vor Verfolgungen durch die US-Behörden geschützt, die US-Justiz ermittelt aber mit einer Grand Jury gegen ihn als Verantwortlichen für die Wikileaks-Veröffentlichungen der von Manning enthüllten US-Geheimdokumente. Hätten sich die Ankläger mit ihrem Handel durchgesetzt, so Coombs, »dann wäre mein Mandant als Zeuge benannt worden, um gegen Julian Assange vorgehen zu können«. Coombs bezeichnete in diesem Zusammenhang die Vorstellung, Wikileaks oder Assange hätten seinen Mandanten zu irgend etwas gezwungen, als »reine Erfindung«.
Im Prozeß hatten die Ankläger über Assange häufig wie über einen nicht anwesenden Mitverschwörer geredet. Sein Anwalt Michael Ratner äußerte deshalb den Verdacht, gegen seinen Mandanten existiere schon »im geheimen eine Anklageschrift«. Daß die US-Regierung seinen Mandanten »derart erbarmungslos jage«, müsse für alle Journalisten ein Alarmzeichen sein, so Ratner. Assange selbst bezeichnete das Urteil gegen Manning auf der Wikileaks-Website als »wichtigen taktischen Sieg« für die Verteidigung. Der Versuch der USA, den Fall zur Abschreckung zu nutzen, sei »spektakulär fehlgeschlagen«.
In der Nachlese des Strafurteils gegen Manning wurden nun auch die genaueren Details bekannt. Richterin Denise Lind verhängte zwar zur Haftstrafe nicht noch eine Geldstrafe gegen den 25jährigen Obergefreiten, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, Manning muß aber die nicht unerheblichen Kosten des Verfahrens tragen. Außerdem wurde Manning rückwirkend degradiert und unehrenhaft aus der Armee entlassen. Damit ist auch sein Anrecht auf ein Armee-Stipendium für ein College- und Hochschulstudium verwirkt. Wie viele andere junge Männer und Frauen seiner Generation hatte sich Manning aus diesem Grund freiwillig zur Armee gemeldet.
* Aus: junge Welt, Freitag, 23. August 2013
Doppelte Maßstäbe
Offizielle Stellungnahme des russischen Außenministeriums zur Urteilsverkündung im Fall des Wikileaks-Informanten Bradley Manning (Auszüge) **
(…) Nach Meinung zahlreicher, unter anderem auch amerikanischer Menschenrechtsorganisationen wurden durch die Veröffentlichungen zahlreiche Fälle von Amtsmissbrauch seitens der US-Armee im Rahmen der Militäroperationen im Irak und Afghanistan aufgedeckt, so etwa die Tötung von Zivilpersonen, Folter von Gefangenen sowie weitere Menschenrechtsverletzungen. (…) Soweit es uns bekannt ist, ist keine Person für diese Rechtsbrüche zur Verantwortung gezogen worden, trotz der nachdrücklichen Forderungen nach einer Einrichtung von internationalen Kontrollmechanismen im Bereich der Menschenrechte.
Ferner wird von offiziellen Stellen der USA häufig Kritik an in anderen Ländern gefällten Gerichtsurteilen geübt, zu vermeintlichen Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie anderen bürgerlichen Freiheitsrechten. Sobald jedoch die Interessen der Vereinigten Staaten selbst tangiert werden, fällt das amerikanische Strafjustizsystem, wie im Falle von Bradley Manning, ungerechtfertigt harte Urteile nach dem « Abschreckungsprinzip » ohne Rücksichtnahme auf menschenrechtliche Erwägungen.
Eine derartige Anwendung von doppelten Maßstäben im Hinblick auf die Rechtsprechung und Menschenrechte zeigt einmal mehr den unbegründeten Charakter der von den Vereinigten Staaten erhobenen Ansprüche auf eine « führende Rolle » auf dem menschenrechtspolitischen Gebiet.
Den 21.08.2013
** Quelle: Das Außenministerium der Russischen Föderation, bit.ly/15drUf2
Übersetzung: Margarita Bragi
(jW, 23.08.2013)
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