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Free Bradley Manning!

USA: "Whistleblower" räumt Weitergabe von Militärprotokollen aus dem Irak-Krieg an Wikileaks ein. Linke fordert Freilassung des angeklagten Soldaten

Von Jürgen Heiser *

Der »Whistleblower« Bradley Manning hat sich am Donnerstag (Ortszeit) vor einem US-Militärgericht in Fort Meade, Maryland, dazu bekannt, Dokumente aus den Archiven der US-Armee an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergeleitet zu haben. »Ich übernehme dafür die volle Verantwortung«, erklärte der 25jährige am Donnerstag in der zwölften Sitzungsperiode der vorgerichtlichen Anhörungen, nachdem er eine 35seitige Einlassung verlesen hatte. »Das war ein fast zweistündiges Plädoyer für die Weigerung, sich zum Komplizen einer Politik zu machen, die man nicht mittragen kann«, kommentiert dies Nathan Fuller vom »Bradley Manning Support Network«.

Nicht Bradley Manning gehöre ins Gefängnis, »sondern diejenigen, die Kriegsverbrechen begehen oder diese vertuschen«, erklärte am Freitag auch die Sprecherin der Linksfraktion für Internationale Beziehungen, Sevim Dagdelen. Es sei skandalös, »daß die Bundesregierung zur Folter und den entwürdigenden Haftbedingungen von Bradley Manning bisher beharrlich geschwiegen hat«.

Manning hatte sich zu zehn von 22 Anklagepunkten des Pentagon geäußert und den Rest, insbesondere den Hauptvorwurf der »Unterstützung des Feindes«, zurückgewiesen. Im einzelnen bekannte sich der Obergefreite des »unerlaubten Besitzes und der vorsätzlichen Übermittlung« von US-Botschaftsdepeschen für schuldig. Außerdem habe er die »Kriegsprotokolle aus Irak und Afghanistan« sowie das Videomaterial weitergeleitet, das Wikileaks im April 2010 unter dem Titel »Kollateraler Mord« veröffentlichte. Darin ist zu sehen, wie aus einem US-Militärhelikopter irakische Zivilisten und Mitarbeiter der Agentur Reuters erschossen werden – begleitet von hämischen Kommentaren der Schützen. Manning beschrieb sein Entsetzen darüber, daß selbst Verletzte und Menschen, die ihnen zu Hilfe kommen wollten, niedergemäht wurden.

»Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt«, so Manning über die Kriegsprotokolle, »daß diese Dokumente zu den allerwichtigsten unserer Zeit gehören«. Dieses Material gehöre an die Öffentlichkeit. Er habe gehofft, damit in den USA eine Debatte auszulösen, die zu einer Neubewertung des »Krieges gegen den Terror« führe. Ihn habe »die Situation, in der wir feststeckten«, deprimiert. Die USA seien mehr und mehr »besessen davon, Menschen gefangenzunehmen und zu töten«.

In der Befragung durch die vorsitzende Richterin Oberst Denise Lind erklärte Manning, der vor seiner Verhaftung im Mai 2010 in Bagdad stationiert war, er habe sein Material während eines Heimaturlaubs zunächst der Washington Post und der New York Times angeboten. Die Post habe ihn aber nicht ernstgenommen und die Times nie zurückgerufen. Deshalb sei ihm Wikileaks als »das beste Medium zur Veröffentlichung dieser Informationen erschienen«. Niemand habe ihn unter Druck gesetzt. »Ich selbst habe das so entschieden.«

Die Staatsanwälte kündigten unterdessen an, alle 22 Anklagevorwürfe gegen Manning aufrechterhalten zu wollen. Sollte er in dem am 3. Juni 2013 beginnenden Prozeß in allen Punkten verurteilt werden, droht dem Obergefreiten lebenslange Haft. Durch seine Einlassung erhofft er sich neben einer geringeren Strafe auch einen rascheren Verlauf des Prozesses. Zu Beginn der Anhörung hatte Richterin Lind am Dienstag einen Einstellungsantrag der Verteidigung abgelehnt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 02. März 2013


Manning wollte Debatte zu Kriegseinsätzen

Wikileaks-Informant legte vor US-Militärgericht Teilgeständnis ab

Von Janon Fisher, New York * *


Der wegen Weitergabe von US-Geheimpapieren an die Internetplattform Wikileaks angeklagte Obergefreite Manning gibt diese Tat zu. Andere Straftaten streitet er indes ab, um nicht unter das Spionagegesetz zu fallen. Er habe zur Diskussion über den Krieg anregen wollen.

Wikileaks-Informant Bradley Manning hat sich vor einem Militärgericht des Geheimnisverrats schuldig bekannt. Den schwersten Anklagepunkt aber wies er zurück. Er habe »nicht dem Feind geholfen«. Der Obergefreite trat in Uniform vor dem Gericht auf und verlas zwei Stunden lang eine 35 Seiten starke Erklärung. Dabei versicherte er, er habe die geheimen Dokumente nur aus den Datenbanken des Militärs und der Regierung entwendet, um durch ihre Veröffentlichung »eine Debatte in unserem Land« über die Kriegseinsätze in Irak und Afghanistan loszutreten. Er sei davon überzeugt, sagte Manning, »dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn Staaten keine geheimen Abkommen miteinander treffen würden«.

Der frühere Analyst beim militärischen Geheimdienst hatte nicht nur Dokumente der Armee, sondern auch des US-Außenministeriums heruntergeladen und zur Veröffentlichung weitergegeben.

Ihm sei klar, sagte Manning in der Anhörung vor der Richterin, Oberst Denise Lind, dass die Veröffentlichungen »peinlich« sein würden. Er habe aber nur Dokumente weitergegeben, von denen er »absolut sicher« gewesen sei, dass sie »den Vereinigten Staaten keinen Schaden zufügen würden«.

Der 22-jährige Obergefreite bekannte sich in 10 der weniger schweren von insgesamt 22 Anklagepunkten für schuldig. Und er fügte hinzu, dass er sein Vorgehen nicht bereue. Ich glaubte damals und glaube noch heute, dass diese »einige der wichtigsten Dokumente unserer Zeit sind«, sagte Manning.

Der Soldat sagte vor dem Militärgericht, er habe sich zu der Veröffentlichung der geheimen oder vertraulichen Informationen entschlossen, weil er wegen »der Situation, in die wir geschliddert waren, depressiv war«. Manning bezog sich dabei auf den Irak-Krieg, wo auch er eingesetzt war.

Besonders erschreckt habe ihn ein Video aus dem Juli 2007, das einen Hubschrauberangriff auf Bagdad zeigte, in dem drei Korrespondenten und mehrere Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet wurden. In dem Video sei ihm der Schütze vorgekommen »wie ein Kind, das unter einem Vergrößerungsglas Ameisen quält«. Andere Soldaten hätten die getöteten Iraker als »tote Bastards« bezeichnet. Es habe ihn gequält, dass das US-Militär das Video über den Einsatz nicht an die Medien weitergegeben habe.

Mannings Teilgeständnis zeigte auch, wie nachlässig in der US-Armee mit geheimen Dokumenten umgegangen wird. Manning konnte Hunderttausende Textdokumente und auch viele Videos, darunter Lageberichte von den Kämpfen in Irak und Afghanistan, aus dem militärischen Datennetz herunterladen.

Die militärischen Lageberichte zeigten nach Ansicht Mannings »die alltägliche Realität« einer Truppe, die »davon besessen war, gefangen zu nehmen oder zu töten«, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Er habe gehofft, mit der Weitergabe dieser Informationen »die Gesellschaft dazu zu bringen, die Notwendigkeit und sogar den Wunsch zu überdenken, sich in Antiterroroperationen und Einsätzen gegen Aufständische zu engagieren, bei denen die Wirkung auf die Menschen dort ignoriert wird«.

Manning werden 22 Straftaten nach Bundesgesetzen vorgeworfen. Er wies besonders die schwerste - das Handeln zugunsten des Feindes - zurück. Allein für die eingestandenen Verstöße kann er zu 20 Jahren Haft verurteilt werden. Wird er wegen Arbeit für den Feind verurteilt, dann muss er lebenslang hinter Gitter.

Mannings Anwalt hatte das Gericht schon im Januar aufgefordert, alle Anklagepunkte fallen zu lassen, weil sein Mandant nicht zügig vor den Richter kam, wie es das Strafrecht vorsieht. Manning war 900 Tage in Einzelhaft festgehalten worden, musste teilweise nackt in seiner Zelle schlafen, damit er nichts hatte, um sich das Leben zu nehmen.

Erst der Protest zahlreicher Juristen in den USA gegen die Verweigerung der verfassungsmäßigen Rechte für diesen Beschuldigten führte zur Verlegung in ein normales Militärgefängnis und jetzt zur richterlichen Anhörung in Fort Meade. Richterin Lind erklärte, von seiner zu erwarteten Haftstrafe würden wegen diesen Verzögerungen im Verfahren auf jeden fall 112 Tage abgezogen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 02. März 2013


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