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Weiter Streit um Bradley Manning

Beginn der Hauptverhandlung gegen den "Whistleblower" erneut um zwei bis vier Monate verschoben

Von Jürgen Heiser *

Im Gerichtsverfahren gegen den »Whistleblower« Bradley Manning ist am Freitag die vierte Anhörung zu Ende gegangen. Im Verlauf der dreitägigen Militärgerichtsverhandlung in Fort Meade, Maryland, wurde entschieden, daß der zuletzt für September 2012 angesetzte Beginn der Hauptverhandlung gegen den Obergefreiten der US-Armee nun auf November 2012 oder sogar auf Januar nächsten Jahres verschoben wird.

Zum wiederholten Mal wurde auf Antrag von Mannings Hauptverteidiger David Coombs die Verringerung der 22 Anklagepunkte um zehn Tatvorwürfe verhandelt. Manning soll der Enthüllungsplattform Wikileaks Dokumente und Videomaterial der US-Armee über die Kriege in Afghanistan und Irak zugespielt haben. Die Anklage will ihm mit den zehn Punkten konkret Geheimnisverrat nachweisen. Er habe sich unerlaubt Zugang zu geheimen Computersystemen der US-Armee verschafft, um diese Informationen an Dritte weiterzugeben. Acht der Vorwürfe rügte Coombs »wegen ihrer vagen Formulierung als verfassungswidrig«. Die vorsitzende Richterin Oberst Denise Lind lehnte auch diesen anwaltlichen Vorstoß ab. Sie verfüge nicht über ausreichende Hinweise, die eine Niederschlagung der zehn Punkte erlaubten, betonte aber, die Beweislast liege bei der Staatsanwaltschaft.

Damit sieht Manning weiterhin einer Verurteilung zu lebenslanger Haft entgegen, da er nach Meinung des Pentagon »indirekt Al-Qaida unterstützt« habe. Grund genug für Anwalt Coombs, erneut darauf hinzuweisen, seinem Mandanten werde systematisch das Recht auf einen fairen Prozeß verweigert. Die Ankläger hielten nach wie vor große Mengen Akten zurück und kämen nicht ihrer Pflicht nach, der Verteidigung zu allen Informationen über entlastende Beweise zu ermöglichen. Es gebe in diesem Militärgerichtsverfahren keine Waffengleichheit beider Prozeßparteien. Die Anklage könne sich auf Ermittlungsergebnisse des militärischen Geheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA) und der CIA stützen, diese Resultate dürften aber aus Sicherheitsgründen nicht in das Verfahren eingeführt werden. Nach langatmigen Wortgefechten zwischen Verteidigung und Anklage ordnete Richterin Lind schließlich an, ihr diese Ermittlungsergebnisse persönlich zuzuleiten, damit sie eine Zusammenfassung erstellen könne. Die von ihr bearbeitete Fassung des vorhandenen Materials sowie möglicher neuer Erkenntnisse der CIA werde, so Lind, »eine angemessene Balance herstellen zwischen den Rechten des Beschuldigten und den Interessen der nationalen Sicherheit.« Verteidiger Coombs widersprach, konnte sich aber mit seiner Forderung, die gesamten Geheimdienstinformationen zu den Prozeßakten zu geben, nicht durchsetzen.

Wegen dieser seit der ersten Anhörung im Dezember 2011 strittigen Frage sah sich Richterin Lind gezwungen, zusätzliche Anhörungstermine anzuordnen. Eine der Folgen ist die Verschiebung des Prozeßbeginns um weitere zwei bis vier Monate, wodurch sich die Dauer von Mannings Untersuchungshaft dann auf fast drei Jahre belaufen wird. Anwalt Coombs rügt diese lange Haft schon seit Monaten, da sein Mandant bis zu einem rechtskräftigen Urteil als unschuldig zu gelten habe.

Am 26. Mai 2010 war der Obergefreite in Bagdad verhaftet worden. Bis internationale Proteste und die harsche Kritik des UN-Sonderbeauftragten für Folter Hafterleichterungen bewirkten, war Manning auf dem Marinestützpunkt Quantico sogar neun Monate strenger Isolationshaft unterworfen. Das sei der vergebliche Versuch gewesen, »ihn weichzukochen und zum Kronzeugen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange zu machen«, lautete damals der Vorwurf des »Bradley Manning Support Networks«. Die nächste Anhörung findet vom 16. bis 20. Juli statt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 12. Juni 2012


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