Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hoffen auf einen neuen "Sputnik-Moment"

Barack Obama redete im Washingtoner Kongress über die Lage der Nation / USA-Präsident will Wirtschaftsmacht sichern und sparen

Von Max Böhnel, New York *

In seiner mehr als einstündigen Rede an die Nation, die sich schätzungsweise 50 Millionen US-Amerikaner am Dienstagabend (25. Jan.) im Fernsehen ansahen, skizzierte Präsident Barack Obama im Washingtoner Kongress die Konturen der Regierungspolitik in den kommenden Monaten. Den Schwerpunkt seiner State-of-the-Union-Ansprache legte er auf die Wirtschaftspolitik.

Die geplante Außenpolitik Washingtons handelte Präsident Obama während seiner Grundsatzrede innerhalb von sieben Minuten nur am Rande ab. Allerdings wurde dabei eines der großen außenpolitischen Traumata der Vereinigten Staaten zum Leitgedanken für das angekündigte aktuelle Ankurbeln der Wirtschaft. Als »Sputnik-Moment« bezeichnete Barack Obama die gegenwärtige krisenhafte Lage, die aber auch die entsprechenden Chancen bieten würde: Wie vor 54 Jahren, als die US-Amerikaner mit ansehen mussten, wie der damalige Erzfeind UdSSR den ersten Satelliten ins All schickte, stehe das Land auch jetzt wieder vor der Herausforderung, mit Investitionen in Bildung und Forschung eine »Welle von Innovationen« herbeizuführen, sagte der Präsident. Auf diese Weise würde man nicht nur neue Industriezweige und damit neue Arbeitsplätze schaffen, sondern es handele sich auch um einen »Plan, die Zukunft zu gewinnen«.

Obama klang entschlossen, aber konziliant gegenüber den oppositionellen Republikanern, indem er auf den Gemeinsinn aller US-Amerikaner pochte: »Wir müssen besser innovieren, bilden und bauen als der Rest der Welt.« Amerika müsse »zum besten Geschäftsplatz der Welt« gemacht werden. Deshalb sei es nötig, »unser Defizit in den Griff zu bekommen und unsere Regierung zu reformieren«. Der Präsident präsentierte sich auf der Skala zwischen Demokraten und Republikanern als »Mann der Mitte«, der nach dem Wahlsieg der Rechten im November, durch den sie zur Mehrheit im Repräsentantenhaus wurden, zu Kompromissen bereit sei – etwa bei der Gesundheitsreform.

Obwohl der Stuhl der vor zwei Wochen in Arizona angeschossenen Abgeordneten Gabrielle Giffords leer blieb und viele Kongressmitglieder ihr zu Ehren schwarz-weiße Schleifen trugen, ließ Obama die Schusswaffengesetze unerwähnt. Stattdessen ging er zunächst auf die aufgeheizte Stimmung in seinen ersten beiden Amtsjahren ein, bot den Republikanern dann aber wiederholt die Zusammenarbeit an – wohl wissend, dass ohne deren Stimmen im Repräsentantenhaus keine Mehrheiten mehr möglich sind. Allerdings warnte der USA-Präsident mit den Worten »Wir gehen entweder gemeinsam voran oder gar nicht« gleichzeitig vor einer Blockadepolitik der Konservativen.

Hauptstreitpunkt zwischen Obamas Demokraten und den Republikanern wird in den kommenden Monaten laut »Wall Street Journal« der »Plan für Wachstum durch Investitionen« sein, dem der »Plan für Wachstum durch Einschnitte« entgegenstehe. Obama machte tatsächlich deutlich, dass ein allgemeiner Sparkurs angebracht sei, um die Krise bewältigen zu können, dass gleichzeitig aber auch in den Bereichen Forschung, Bildung und Infrastruktur »Investitionen« erforderlich seien, um die USA im internationalen Wettbewerb nicht zurückfallen zu lassen.

Hohe Priorität räumte der Präsident der Haushaltssanierung ein, ohne die die USA drohten »unter einem Berg von Schulden begraben zu werden«, wie er betonte. Obama kündigte das Einfrieren der staatlichen Ausgaben in einigen Bereichen für fünf Jahre an. Notwendig sei aber auch eine Reform der Sozialsysteme.

In der »Washington Post« hieß es in einem Leitkommentar, die drängendste Frage in Obamas Rede habe nicht gelautet, ob mehr für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen ausgegeben werden müsse, sondern in welchem »Ausmaß die Regierungsausgaben gekürzt werden« sollten. Nachdem Ausschnitte aus Obamas Rede bekannt geworden waren, hatte die »New York Times« schon tags zuvor, analysiert, dem Präsidenten bleibe nur noch übrig, einige Bereiche »vor dem Austrocknen« zu beschützen. Von »Investitionen« könne keine Rede sein.

Die Republikaner stellen der vorsichtigen Salamitaktik Obamas beim Austeritätskurs rabiate und schnellstmögliche Kürzungen gegenüber. Ihre Forderungen belaufen sich auf geschätzte 60 bis 100 Milliarden Dollar innerhalb der kommenden Monate. Kürzungen von diesem Ausmaß würden das bereits löchrige soziale Netz gleichsam unsichtbar machen und die Wirtschaft »um mindestens 30 Jahre zurückwerfen«, kritisierte das sozialdemokratisch orientierte »Economic Policy Institute«. Mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze würden wegfallen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Januar 2011


"This July, we will begin to bring our troops home" / "Im Juli werden wir beginnen, unsere Truppen nach Hause zu holen"
Obamas Rede zur Lage der Nation 2011 / Remarks by the President in State of Union Address (englisch)
"Die Vereinigten Staaten haben noch immer die größte und erfolgreichste Volkswirtschaft der Welt"
Im Wortlaut: US-Präsident Obamas Rede zur Lage der Nation (deutsche Übersetzung)



Wunschdenken

Obamas Rede an die Nation

Von Rainer Rupp **


Um die gigantischen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme seines Landes in den Griff zu bekommen, hat US-Präsident Obama in seiner Rede zur Lage der Nation an den überparteilichen Konsens appelliert – vergeblich. Hatte er vor einem Jahr beim gleichen Anlaß noch interne Widersacher angegriffen, so standen diesmal Bedrohungen von außen im Zentrum. Damals kritisierte er z. B. die US-Versicherungsindustrie, weil sie aus Angst davor, daß ihr Gewinne entgehen könnten, gegen sein Projekt der »Krankenversicherung für alle« mobilisiert hatte. Nun beschwor er Gefahren für die Wettbewerbsfähigkeit der USA, die von den gewaltigen wirtschaftlichen Fortschritten anderer Länder ausgingen. Dabei verglich er die aktuellen Herausforderungen mit denen, für die der »Sputnik« Symbol ist, der erste Satellit der Menschheitsgeschichte, den die Sowjetunion 1957 ins All gebracht hatte. Seinerzeit hatte die US-Regierung enorme Summen Geld und andere Ressourcen mobilisiert, um diese »Schmach« zu tilgen.

Wegen der riesigen Haushaltsdefizite ist das Geld in Washington heute knapper denn je. Dennoch forderte der Verantwortliche für die Rekordverschuldung Mehrausgaben für Großinvestitionen in Bildung und Forschung, um mit einer Welle von Innovationen den Vorrang der USA in der Welt wiederherzustellen. Erfindungen sollen neue Industriezweige und Arbeitsplätze schaffen und bis zum Jahr 2014 die US-Exporte verdoppeln. Für dieses Wunder dürfte der sehr aktive Beistand Gottes nötig sein. Gleiches gilt für die von Obama beschworene Reaktivierung des »amerikanischen Traums«. Seine Pläne für zusätzliche Staatsausgaben dürften bei den Republikanern jedenfalls keine Chance haben. Die erzkonservative Opposition will vielmehr mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus der Regierung einschneidende Sparmaßnahmen insbesondere im sozialen Bereich aufzwingen. Einmütigkeit gibt es lediglich dort, wo beide Lager nur kosmetische Abstriche machen wollen: bei den Aufwendungen fürs Militär und für die Fortsetzung der US-Kriege.

Der Außenpolitik hat Obama zehn Prozent seiner Redezeit gewidmet. Angesichts zahlreicher Lügen und Phrasen in diesem Abschnitt war das noch zuviel. So sind laut Obama die US-Kampfhandlungen im Irak vorbei, obwohl dort bei Kämpfen immer wieder GIs getötet werden. Zugleich lobte er den Krieg in Afghanistan, weil der unter den Verbündeten angeblich eine »dauerhafte Partnerschaft« herstelle. Das einzig Interessante war, daß Obama auf dem Juli 2011 als Termin für den Abzugsbeginn der US-Truppen von dort bestand. Haben seine Redenschreiber vielleicht vergessen, daß sich der Mann im Weißen Haus unter dem Druck seiner Militärs, die den Krieg bis zum Sieg fortführen wollen, im vergangenen Jahr wiederholt öffentlich von diesem Datum distanzierte? Oder hat Obama doch etwas Neues gesagt?

** Aus: junge Welt, 27. Januar 2011


Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage