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Weichenstellung für verdeckte Kriegführung? Warum Obama sein Sicherheitskabinett umgebildet hat

Ein Beitrag von Thomas Horlohe in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Der Friedensnobelpreisträger Obama hat mit der Kommando-Aktion Führungsstärke demonstriert. Die USA wollen für die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen auch künftig gut aufgestellt sein. Obama hat daher im vergangenen Monat angekündigt, dass er sein Sicherheitskabinett umbilden wird. Zu den Motiven – Thomas Horlohe:


Manuskript Thomas Horlohe

In der Politik ist es wie im Spitzenfußball: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Auf die nächste Wahl kommt es an, nicht auf die letzte. Innenpolitische Erwägungen bilden den Hintergrund für die Umbesetzungen in Obamas Sicherheitskabinett. Vergangenen Monat hatte der US-Präsident angekündigt, im November nächsten Jahres für eine zweite Amtsperiode zu kandidieren. Bis dahin gilt für Obama das gleiche, wie für einen Fußballtrainer in der zweiten Halbzeit: Fehler vermeiden und eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel schaffen. Deshalb setzt der Präsident bei den Auswechslungen in seinem Sicherheitsteam auf erfahrenes Personal und vermeidet Risiken.

Überraschend kam die Kabinettsumbildung nicht. Verteidigungsminister Gates hatte schon vor längerer Zeit um seine Ablösung gebeten. Doch der Frieden im Irak und der Krieg am Hindukusch sind noch nicht gewonnen. Die Atomprogramme Nordkoreas und des Iran verlangen ständige Wachsamkeit. Und nun sind noch die Krisen in der arabischen Welt hinzugekommen. Bei so viel Krieg und Konflikten gibt es keinen richtigen Zeitpunkt, um einen Verteidigungsminister auszuwechseln, schon gar nicht ein politisches Schwergewicht wie Robert Gates. Er hat schon sieben Präsidenten gedient, ist ohne eigene politische Ambitionen, aber intellektuell unabhängig - mitunter zu unabhängig.

So ließ sich Gates in seiner Abschiedsrede vor Kadetten der Militärakademie West Point am 25. Februar zu einer bemerkenswerten Aussage verleiten:

O-Ton Gates (overvoice)
„Jeder künftige Verteidigungsminister, der dem Präsidenten noch einmal dazu rät, eine große amerikanische Landstreitmacht nach Asien, in den Mittleren Osten oder nach Afrika zu schicken, sollte sich meiner Meinung nach ‚am Kopf untersuchen lassen‘, wie es General MacArthur einst so feinsinnig formulierte.“

Damit stellte Gates sein eigenes Handeln in Frage. Schließlich war er an den Kriegen der USA gegen den Irak nicht unbeteiligt, und in Afghanistan hat er Obama zur Aufstockung der Truppen geraten. Doch damit nicht genug: Während Obama mit der Frage rang, ob und wie die Aufstandsbewegungen in der arabischen Welt militärisch unterstützt werden sollten, erklärte Gates Interventionen mit US-Bodentruppen dort zum Tabu.

Für den Pentagonchef, den Realpolitiker und Veteranen der Bush-Kriege, war die Militärintervention gegen das Gaddafi-Regime ein Krieg zu viel. Unter Anspielung auf die verlustreichen und kostenträchtigen Kriege in Afghanistan und im Irak erklärte Gates am 31. März vor dem Streitkräfteausschuss des Senats, also knapp zwei Wochen nach Beginn der Libyen-Operation:

Zitat Gates
„Ich denke, das letzte, was unser Land braucht, ist ein weiteres Experiment in ‚Nation Building‘.“

Das letzte was Präsident Obama in seinem Sicherheitskabinett braucht, ist ein kriegsmüder Kriegsminister. Der Republikaner Gates, das einstige politische Schwergewicht ist für Obama zur Belastung geworden. Daran hat auch die erfolgreiche Operation von US-Spezialkräften gegen Osama bin Laden wenig geändert.

Der designierte neue Verteidigungsminister, Leon Panetta, ist fest in der Demokratischen Partei verwurzelt. Seine Loyalität zu Obama ist über jeden Zweifel erhaben. Er wird nicht aus der Reihe tanzen. Panetta war Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Repräsentantenhaus und Budgetdirektor in der Regierung Clinton. Als gelernter Haushaltsexperte ist er der richtige Mann, um die notwendigen Ausgabenkürzungen gegenüber den Militärs und den Wahlkreisabgeordneten durchzusetzen. Als CIA-Direktor konnte Panetta einschlägige Erfahrungen für seinen neuen Job sammeln. Mit dem Drohnen-Krieg am Hindukusch und mehreren tausend Mann Paramilitärs beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze befehligt Panetta die größte verdeckte CIA-Operation seit zwanzig Jahren. Der US-Auslandsgeheimdienst hatte einen wesentlichen Anteil daran, dass Osama bin Laden aufgespürt werden konnte. Damit bringt Panetta beste Voraussetzungen dafür mit, die hochtechnisierte und teure Kriegsmaschinerie der USA stärker auf die neuen Kriege und Konflikte einzustellen, in denen die Frontverläufe diffuser und die Kriegsziele unschärfer geworden sind.

Genau in diesem Metier, der Grauzone asymmetrischer und nichtkonventioneller Kriegführung, hat General Petraeus Karriere gemacht. Er soll neuer CIA-Direktor werden. Der Vier-Sterne-General ist ehrgeizig, genießt hohes Ansehen im Kongress, vor allem bei den Republikanern, und versteht sich ausgezeichnet auf den Umgang mit den Medien. Die Truppenaufstockung im Irak, kurz „Surge“ genannt, war eine erfolgreiche Eskalationsstrategie, die Petraeus zum Kriegshelden gemacht hat. Einige Republikaner sähen ihn gern als Präsidentschaftskandidat.

Als ISAF-Oberbefehlshaber in Afghanistan will Petraeus genauso erfolgreich sein wie damals im Irak. Er will einen Siegfrieden am Hindukusch. Präsident Obama will den Ausstieg aus dem unpopulären Krieg. Das ist nicht dasselbe. Obama will in diesem Juli mit dem Truppenabzug beginnen, um im Wahlkampf im nächsten Jahr auf einen Erfolg in Afghanistan verweisen zu können. Die US-Generalität will den Zeitplan für den Truppenabzug dagegen vom militärischen Fortschritt im Kampf gegen die Taliban abhängig machen, nicht vom Termin der Präsidentschaftswahl. Dieser latente Konflikt drohte zur Unzeit wieder aufzubrechen.

Mit dem Wechsel von Petraeus an die Spitze des Auslandsgeheimdienstes ist diese Gefahr anscheinend gebannt. Denn Verschwiegenheit steht in der Arbeitsplatzbeschreibung des CIA-Direktors an erster Stelle, Medienkontakte sind rar. Obama bindet Petraeus in die Kabinettsdisziplin ein und stellt ihn als möglichen Präsidentschaftskandidaten einstweilen kalt. Gleichzeitig erhält Petraeus die Chance, als CIA-Direktor mit den Mitteln verdeckter Kriegführung am Hindukusch das zu Ende zu bringen, was er gegenwärtig mit regulären Streitkräften versucht.

Mit den angekündigten Umstellungen in seinem Sicherheitskabinett sendet Obama zwei Botschaften.

Erstens: an den Plänen zum schrittweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan wird nicht gerüttelt. An die Stelle regulärer US-Streitkräfte werden Paramilitärs der CIA, Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen, einheimische Streitkräfte und Milizen treten. Das Modell ist im Irak erfolgreich praktiziert worden - von Generalleutnant Allen, dem Petraeus-Nachfolger als ISAF-Befehlshaber und Ryan Crocker, dem designierten neuen US-Botschafter in Kabul. Die zweite Botschaft lautet: Die größte Militärmacht der Welt wird künftig mehr und häufiger „under cover“ agieren.

Unter Panetta und Petraeus werden die Spezialkräfte der Armee und die Schattenkrieger der CIA-Abteilung für verdeckte Operationen enger zusammenarbeiten denn je. So, wie bei der erfolgreichen Operation gegen Osama bin Laden. Auf geheimen Befehl vom September 2009 hat das US Central Command verdeckte Netzwerke mit Special-Forces-Soldaten im Iran, in Syrien, Saudi Arabien, Somalia, Pakistan, dem Jemen und vierzehn weiteren Staaten aufgebaut. Ihre Aufgabe: Informationen über geheime Atomwaffenprogramme zu sammeln, Ziele für Luftangriffe auszukundschaften und Kontakte zu Regimegegnern aufzubauen. Der Geheimbefehl war eng mit der CIA abgestimmt. Er trägt Petraeus‘ Unterschrift. Diese Spezialkommandos sind eines der wenigen Mittel, die den USA derzeit zur Verfügung stehen, um zu versuchen, auch auf die Aufstandsbewegungen in der arabischen Welt Einfluss zu nehmen. Spezialkräfte sind für Ausbildungshilfe und Aufstandsbekämpfung ausgebildet. Aufstandsunterstützung ist die andere Seite derselben Medaille.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 7. Mai 2011; www.ndrinfo.de


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