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"Bring them home now!"

Der Unmut bei den US-Streitkräften und ihren Angehörigen zu Hause wächst

Von Tony Kofoet

Der Krieg in Vietnam ging für die USA unter anderem auch deshalb verloren, weil große Teile der US-Soldaten sich weigerten, Befehle auszuführen und nicht selten Hardliner unter den Offizieren umbrachten oder sogar mit dem Vietkong Stillhalteabkommen vereinbarten.(1)

Droht den USA im Irak ein zweites Vietnam? Diese Frage wurde bereits vor der Aggression im März 2003 gestellt, als eine Antikriegsbewegung im Entstehen war, die in ihrer Größe stark an die der 1960/70er erinnerte. Als aber die Invasion scheinbar nach Plan und ohne großen Widerstand verlief, blieben nur noch die aktivsten Kriegsgegner übrig. Zu ihnen gehören die Organisationen "Military Families Speak Out", in der sich Antimilitaristen organisiert haben, deren Angehörige in der Armee sind, und "Veterans For Peace". Sie starteten Mitte August die Aktion "Bring them home now!" (Bringt unsere Soldaten nach Hause!). Diese Parole ist eine Anspielung auf George W. Bushs arrogante Bemerkung "Bring 'em on!" (Lasst sie nur kommen!), mit der er die Angriffe irakischer Guerillakämpfer auf US-Soldaten meinte.

Als man die US-Soldaten in den Nahen Osten schickte, erklärten ihnen die verantwortlichen Politiker, Offiziere und die Meinungsmacher in den Medien, sie würden für eine gute Sache kämpfen, das eigene Land verteidigen, den Irak befreien und Massenvernichtungswaffen finden.

Bisher sind noch keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden und die Mehrheit der Iraker hat die Soldaten nicht als Befreier willkommen geheißen und nicht wenige von ihnen leisten auf die eine oder andere Weise Widerstand gegen die Okkupation.

Das Lügengebäude der Aggressoren bricht zusammen wie ein Kartenhaus und die einfachen Soldaten erkennen immer mehr, wie sie belogen worden sind und heute immer noch belogen werden. Ihnen wurde versprochen, schnell wieder in die USA zu ihren Familien zurückkehren zu können, die geplanten Abreisetermine werden jedoch immer wieder verschoben. Hinzu kommen die schlechten Lebensbedingungen, ganz zu schweigen von den bis zu 25 Angriffen seitens der irakischen Guerillabewegung täglich.

Lou Plummer, ein Mitglied der Aktion beschreibt die Lebensbedingungen der US-Soldaten wie folgt: "Es gibt Leute, die 140-150 Tage ohne warmes Essen ausgekommen sind und das bei Temperaturen von 50 Grad Celsius. Sie erhalten nur drei Liter rationiertes Wasser am Tag. Kriegsgeräte kommen mühelos rein, aber die Grundbedürfnisse der Soldaten werden nicht befriedigt. Die Jungs schreiben nach Hause 'Schickt mir Zahnpasta' oder 'Schickt mir Toilettenpapier'. Und wenn du dann zur Armee gehst, um dazu einen Kommentar zu erhalten, sprichst du mit einem Berufsoffizier, der dir erzählt, alles sei OK, wir werden den Irakern schon eine Abreibung verpassen."(2)

Die Lebensbedingungen sind nicht nur durch das Klima und die schlechte Versorgung miserabel, sie sind sogar tödlich. "Moderne Schlachtfelder sind voll von tödlichen Giftabfällen, einschließlich radioaktivem abgereicherten Uran. Über 30% der Soldaten, die 1991 am Golfkrieg beteiligt waren, sind erkrankt, vor allem am Golfkriegssyndrom, dessen Ursache immer noch nicht klar ist, und diese Soldaten waren nur eine kurze Zeit in der Region. Die neu auftauchende mysteriöse Lungenentzündung ('mystery pneumonia'), an der schon einige Soldaten gestorben sind, ist nur die Spitze des Eisbergs."(3)
Die Soldaten werden durch die konkrete Situation desillusioniert und die Stimmung wird täglich schlechter.

Nur wenige sind aus patriotischen Gründen zur Armee gegangen, z.B. um das Land zu verteidigen oder für die Anschläge vom 11. September Rache zu nehmen. Die meisten kommen aus den unteren Schichten, viele sind Farbige, waren arbeitslos und ohne Perspektive und sind aus sozialen und finanziellen Gründen Soldat geworden. Die Amerikaner nennen das "poverty draft" (Einberufung aus Armut). Die jungen Leute hoffen durch den Dienst in der Armee ihre soziale Stellung zu verbessern und z.B. einen Studienplatz zu bekommen, weil es im reichsten Land der Welt keine zivilen Programme gibt, die jungen Leuten Arbeit vermitteln.

"Wenn du in Harlem lebst und einen Job willst, mit dem du 20.000 Dollar verdienen kannst, krankenversichert bist und von Weiterbildungsmöglichkeiten profitieren und Harlem für immer den Rücken kehren kannst, hast du keine andere Wahl als zur Armee zu gehen und nichts anderes. (...) Sie hatten die Wahl zu Hause zu bleiben, wo die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern ihrer Hautfarbe 35 Jahre beträgt, wo die Hälfte der Farbigen bleibt und wegen eines Verbrechens angeklagt wird, oder eben zur Armee zu gehen."(4)

Der Einsatz an der Front bringt es mit sich, dass Soldaten töten müssen oder mit ansehen müssen, wie "Feinde" oder "Kameraden" sterben. Das verändert diese Soldaten emotional, mental, spirituell und physisch.

Sie kamen in den Irak und hofften den Leuten zu helfen und müssen nun erfahren, dass sie nicht erwünscht sind. Viele von ihnen stellen den Krieg in Frage und wollen schnell weg, andere fangen an, die Iraker zu hassen und werden in Massaker und andere Grausamkeiten hineingezogen - wie damals in Vietnam.

Viele im Irak stationierte Soldaten sind Reservisten. Normalerweise sind sie nur ein Wochenende im Monat von zu Hause weg, um Soldat zu sein oder sie werden in den USA bei Naturkatastrophen eingesetzt. Sie sind jetzt seit einigen Monaten im Irak und werden im Ungewissen darüber gehalten, wann sie endlich wieder zurück dürfen. Und wenn sie zu Hause sind, werden sie ihr Engagement als Soldaten der Reserve überdenken und in vielen Fällen ihren Dienst sofort quittieren. Dan Kline, Präsident von "Veterans For Peace", glaubt, dass auf diese Weise das Militär in seinen Grundfesten erschüttert wird und die Rekrutierung von Reservisten zusammenbricht.(5)

Die Aktion "Bring them home now!" hat es sich zur Aufgabe gemacht, Familienangehörige, Veteranen und GIs zu mobilisieren und ein Ende der Okkupation im Irak und anderer Militärabenteuer sowie die sofortige Rückkehr aller US-Truppen in ihre Heimatkasernen zu fordern.

In einem Land, in dem die Massenmedien fast ausnahmslos für diesen Krieg mobil gemacht haben und auch jetzt, wo klar ist, dass die Bush-Administration das amerikanische Volk und die Weltöffentlichkeit wiederholt belogen hat, nur selten fundamentale Kritik am Vorgehen der USA geäußert wird, hängt der Erfolg jeder oppositionellen Bewegung davon ab, ob es gelingt eine "Gegenöffentlichkeit" herzustellen. Angehörige von US-Soldaten schreiben ihren Kongressabgeordneten, verfassen Leserbriefe, die vor allem in der regionalen Presse erscheinen und ermutigen GIs im Irak über ihre Lage zu berichten. Auf einer eigenen Website stellt die Aktion vor, wie sie sich eine Lösung für den Nachkriegsirak vorstellt. Dazu heißt es unter anderem:
"Wir tragen die vollständige Verantwortung, das Durcheinander, das wir verursacht haben, in Ordnung zu bringen. Wir sind verantwortlich für den Wiederaufbau des Landes, an dessen Zerstörung wir mit geholfen haben.
Aber der Wiederaufbau kann nicht unter militärischer Besatzung stattfinden, das kann nicht mit vorgehaltenem Gewehr geschehen. Er kann erst funktionieren, wenn die USA die militärische Kontrolle aufgegeben haben. Das ist ein weiterer Grund, warum wir sagen: 'Bringt unsere Soldaten nach Hause!'
Ein großer Teil des jetzigen Chaos und der Gewalt liegt in der Verantwortung der US-Militärokkupation. Der erste kritische Schritt, um Ordnung und eine Zivilgesellschaft im Irak zu schaffen, ist die Verpflichtung der USA, ihre militärische Okkupation und die US-Militärpräsenz im Land zu beenden."
(6)

Aktionen wie "Bring them home now!" sind nicht unbedeutende Nadelstiche gegen die Militärmaschinerie im Irak und in den USA selbst. Erinnern wir uns daran, wie der Vietnam-Krieg beendet wurde. Spätestens seit Beginnn der 70er Jahre befand sich die US-Armee auch in einem inneren "Krieg", weil eine große Anzahl der Soldaten schlicht die Nase voll hatte und möglichst schnell in die USA zurück wollte. Wichtiger aber noch war die Antikriegsbewegung in den USA selbst. Kam der Protest zuerst von der Jugend, den Studenten, Intellektuellen, Filmemachern, Künstlern und Schriftstellern, so erreichte er seinen Höhepunkt, als große Teile der amerikanischen Arbeiterklasse sich der Forderung nach dem Ende des Krieges anschlossen. Dies war jedoch ein längerer Prozess, da die reaktionäre Führung des Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO unter George Meaney die Kriegspolitik der US-Regierung vorbehaltlos unterstützte. Bereits 1965 gab es lokale Gewerkschaftsgruppen, die einen Antikriegsstandpunkt einnahmen. Die Gewerkschaften der Automobilarbeiter (UAW) und der Teamster (Transportarbeitergewerkschaft) verließen den AFL-CIO und gründeten die Alliance for Labor Action, die ein sofortiges Ende des Krieges forderte. Bei den Wahlen 1972 unterstützte die Mehrheit der Gewerkschafter den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Mc Govern, der für einen Abzug der US-Truppen eintrat. Der Kampf gegen den Vietnamkrieg radikalisierte die amerikanischen Arbeiter. So gab es zu Beginn der 70er Jahre eine zunehmende Zahl von Streiks einschließlich spontaner Arbeitsniederlegungen.

"Es wurden keine Parlamente gestürmt, keine Barrikaden errichtet und keine Präsidenten gestürzt (zumindest nicht bis zwei Jahre nach dem Abzug der Truppen). Doch besaß die amerikanische Arbeiterklasse genug Kraft, die Truppen nach Hause zu bringen. Zumindest einmal hatte sie sich entschieden, dass sie nicht mit ansehen wollte, wie ihre Söhne für eine Sache starben, an die sich nicht glaubten, eine Sache, für die sie bezahlen mussten und die nur zum Vorteil des Establishments war", schreibt Jonathan Clyne.(7)

Die große Mehrheit der amerikanischen Gesellschaft, die Millionen und Abermillionen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, die Abermillionen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen ("working poor"), die in den Sog des Raubkapitalismus geratenen Mittelschichten: Sie alle werden für diesen Krieg zahlen. Die Lebensbedingungen unter der Bush Regierung haben sich bereits verschlechtert und werden sich weiter verschlechtern, weil die Finanzierung des Krieges nur durch weitere Staatsverschuldung und eine Umverteilung des Haushalts möglich ist. Die Ausgaben für das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen werden rigide gekürzt und die Profite der Rüstungsindustrie werden weiter steil nach oben klettern. Vielleicht besinnen sich die amerikanischen Gewerkschaften noch rechtzeitig auf ihre Kraft und schicken bei den kommenden Präsidentschaftswahlen Bush und seine neokonservative Clique von Kriegstreibern in die Wüste.

Fußnoten
  1. "Zwischen 1969 und 1973 kam es zu einer steigenden Anzahl von Bombenattentaten, schreibt der Historiker Terry Anderson von der Texas A&M Universität. Die US-Armee besitzt keine Statistiken darüber, wie viele Offiziere getötet wurden. Man weiß aber, dass in mindestens 600 Fällen Bomben geworfen wurden und von 1400 Fällen, wo Offiziere unter mysteriösen Umständen starben. Als Folge davon befand sich die US-Armee zu Beginn der 1970er nicht mehr im Krieg mit dem Feind. Sie führte einen internen Krieg." zit. nach Jonathan Clyne: How US imperialism was defeated in Vietnam, www.marxist.com/usa/defeat_US_in_vietnam1102.html
  2. Lou Plummer: They're asking our kids to fight and die, Socialist Worker 19.09.2003
  3. www.bringthemhomenow.org/what/faq.html
  4. Lou Plummer: They're asking our kids to fight and die, Socialist Worker 19.09.2003
  5. Dan Kline: Bring them home now!, Socialist Worker 01.08.2003
  6. www.bringthemhomenow.org/what/faq.html
  7. Jonathan Clyne: How US imperialism was defeated in Vietnam, www.marxist.com/usa/defeat_US_in_vietnam1102.html
* Tony Kofoet ist Lehrer in Weener, Mitglied der Anti-Kriegs-Aktion Ostfriesland und Sprecher der Deutsch-Niederländischen Initiative 8. Mai


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