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CIA – Mob – Exilkubaner

Geschichte. 50 Jahre nach dem Mord an John F. Kennedy ist die Einzeltäterthese immer noch nicht glaubwürdig. Die Gegner der kubanischen Revolution könnten die Drahtzieher des Attentats gewesen sein

Von Knut Mellenthin *

Vor 50 Jahren, am 22. November 1963, wurde John F. Kennedy in Dallas, Texas, ermordet. Den 35. Präsidenten der USA trafen mehrere Geschosse, als er zusammen mit seiner Frau und dem Gouverneur des Bundesstaates, John Connally, und dessen Gattin im offenen Wagen durch die Stadt fuhr. Er war vermutlich schon tot, bevor er im Krankenhaus ankam. Kennedy war und blieb bis heute der jüngste Präsident, der durch Wahl ins Weiße Haus gelangte. Als er im Januar 1961 vereidigt wurde, war er 43, vier Jahre jünger als Barack Obama zu Beginn seiner Amtszeit.

Aus Anlaß des Jahrestags treten in den Mainstreammedien wieder die mittlerweile routinierten Journalisten an, die gern mit Polemiken gegen »Verschwörungstheoretiker« brillieren. Sie machen sich über jeden lustig, der noch kritische Fragen stellt, wenn eine staatsoffizielle Version ganz offensichtlich riesige Löcher und Lücken aufweist.

Im Fall des Kennedy-Attentats kam 1979 sogar ein Ausschuß des US-amerikanischen Abgeordnetenhauses, das House Select Committee on Assassinations (HSCA), zur Schlußfolgerung, daß Kennedy vermutlich das Opfer einer Verschwörung geworden sei. Offenbar um Gerüchten nicht Vorschub zu leisten, präsentierte die Untersuchungskommission eine Liste, wer nach ihren Erkenntnissen nicht hinter dieser Verschwörung gestanden habe. Genannt wurden unter anderem die Regierungen der Sowjetunion und Kubas, Gruppen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und Castro-feindliche Organisationen der Exilkubaner. Es könne freilich nicht ausgeschlossen werden, formulierte der Ausschuß vorsichtig weiter, daß einzelne Individuen aus diesen Kreisen in die Tat verwickelt waren.

Das HSCA stellte darüber hinaus in seinem Bericht fest, daß das FBI als federführende Ermittlungsbehörde der Möglichkeit einer Verschwörung zur Ermordung des Präsidenten nicht angemessen nachgegangen sei und daß es seine Erkenntnisse nicht wie geboten mit anderen Behörden geteilt habe. Im Bericht wird außerdem kritisiert, daß die Maßnahmen des mit dem Personenschutz beauftragten Secret Service für die Sicherheit Kennedys während seines Besuchs in Dallas lückenhaft gewesen seien. Weiterhin sollen seine Leute in der Wagenkolonne des Präsidenten unzureichend auf ihre Aufgaben vorbereitet gewesen sein. Und schließlich soll der Dienst schon vor dem Attentat über Informationen verfügt haben, die nicht sachgemäß ausgewertet und umgesetzt worden seien.

Trotzdem behaupten Autoren wie Sebastian Fischer in Spiegel online (19.11.2013): »So mag die offizielle Warren-Kommission [1] von 1964 zwar teils schlampig, teils unter Zeitdruck, teils politisch gesteuert gearbeitet haben – doch ihr Ergebnis ist auch fünf Jahrzehnte später noch maßgeblich.« Indessen hat die Warren-Kommission nicht nur so fehlerhaft gearbeitet, daß sich der Verdacht absichtlicher Vertuschung aufdrängt, sondern sie hat im entscheidenden Punkt nicht mehr konstatiert als die wohl immer noch unbestreitbare Tatsache, daß es für eine Verschwörung »keine Beweise« gebe.

Der Mörder des Mörders: J. Ruby

Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich, da der einzige mutmaßliche Attentäter, der jemals festgenommen wurde, der 24jährige Lee Harvey Oswald, schon zwei Tage nach dem Mord von Dallas nicht mehr am Leben war: Jack Ruby, ein verschuldeter Nachtklubbesitzer mit engen Beziehungen zu Schlüsselfiguren des »Mob«, der organisierten Großkriminalität, tötete Oswald in einem Kellergang des Polizeipräsidiums von Dallas aus kurzer Distanz durch einen Pistolenschuß in den Bauch. Von den Verhören Oswalds bis zu diesem Zeitpunkt gibt es weder Tonaufzeichnungen noch Transkripte. Der verantwortliche Offizier aus dem Morddezernat der Polizei von Dallas, Will Fritz, hatte sich nach eigenen Angaben nur stichwortartige Aufzeichnungen gemacht und diese später zu einem Bericht zusammengefaßt.

Es war nur durch ein »zufälliges Zusammentreffen« von mehreren »unerklärbaren Schlampereien« möglich, daß Ruby überhaupt zum Todesschuß im schwer bewachten Polizeipräsidium kommen konnte. Eine Tür, die eigentlich verschlossen sein sollte, stand offen; Sicherungskräfte waren im richtigen Moment nicht dort, wo sie laut Dienstplan hätten sein müssen. Seltsam war auch, daß die Polizei genau an dieser Stelle in dieser Situation 40 bis 50 Presseleute einschließlich eines Fernsehteams zugelassen hatte. So konnte der Todesschuß auf Oswald live von schätzungsweise 60 Millionen US-amerikanischen Fernsehzuschauern beobachtet werden.

Die Warren-Kommission behauptete, Ruby habe »keine Verbindungen zum organisierten Verbrechen« gehabt, was angesichts der öffentlich bekannten Tatsachen blanker Hohn war. Das HSCA präsentierte 15 Jahre nach dem Bericht der Warren-Kommission eine eindrucksvolle Liste von langjährigen Bekanntschaften Rubys in der Mafiaprominenz von Dallas, Chicago und Las Vegas.

Ruby wurde wegen der Ermordung Oswalds 1964 zum Tode verurteilt. Er erreichte schließlich eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Bevor der Berufungsprozeß beginnen konnte, wurde bei ihm jedoch Lungenkrebs diagnostiziert. Er starb am 3. Januar 1967. In seinen letzten Lebensmonaten behauptete er wiederholt, daß sowohl seine Tat als auch die Schüsse auf Kennedy Teil einer Verschwörung gewesen seien, über deren Hintergründe er noch zu sprechen vorhabe. Möglicherweise war das frei erfunden. Vielleicht aber auch nicht.

Scharfschütze Lee H. Oswald

Dem Warren-Bericht zufolge wurden auf das Fahrzeug des Präsidenten drei Schüsse abgegeben. Alle seien von Oswald gekommen, der sich in einem Lagerhaus postiert und von hinten geschossen habe. Der erste Schuß sei fehlgegangen, der zweite habe Kennedys Körper durchschlagen und dann den Gouverneur ebenfalls verletzt. Der dritte habe Kennedy in den Hinterkopf getroffen und sei tödlich gewesen. Das HSCA ging 1979 von vier Schüssen und einem zweiten Attentäter an einem anderen Standort aus. Das wurde sowohl aus Schallaufnahmen und Augenzeugenberichten als auch aus dem einzigen vorhandenen, von einem Amateur gedrehten Film, der die Momente des Attentats zeigt, geschlußfolgert.

Allerdings würde die Anwesenheit eines zweiten Täters nicht automatisch beweisen, daß Kennedy Opfer einer Verschwörung wurde. Ebenso wenig wie die Möglichkeit, daß Oswald vielleicht wirklich der einzige Schütze war. Ein sicherer Anhaltspunkt wäre, daß er nicht im Auftrag bedeutender Drahtzieher handelte.

Es scheint durch Zeugenaussagen, unter anderem seines Chefs, ausreichend belegt, daß Oswald sich zur Tatzeit in dem Lagerhaus befand, wo er knapp vier Wochen zuvor eher zufällig einen Arbeitsplatz gefunden hatte. Die Fahrtroute des Präsidenten durch Dallas war mehrere Tage vorher von lokalen Zeitungen veröffentlicht worden. Die zurückgelassene Tatwaffe, ein italienischer Karabiner aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges – solche Restbestände wurden in den USA damals viel gekauft – wies Oswalds Fingerabdrücke auf. Außerdem hatte er Schmauchspuren an der Hand. Die Waffe hatte er sich im März 1963 unter falschem Namen an eine Postfachadresse schicken lassen. Ein Foto, vermutlich im Mai jenes Jahres aufgenommen, zeigt Oswald mit diesem Gewehr.

Der junge Mann hatte seinen Militärdienst bei den Marines absolviert. Tests ergaben, daß er zwar kein erstklassiger, aber ein guter Scharfschütze war. Im Oktober 1959 emigrierte er in die Sowjetunion. Er heiratete dort im April 1961 eine russische Studentin; im Februar 1962 wurde ihr erstes Kind geboren. Im Mai 1962 beantragte er in der US-Botschaft in Moskau die Erlaubnis zur Rückkehr in die Staaten und erhielt sie nur eine Woche später tatsächlich, zusammen mit einem Darlehen für die Reisekosten. Auch die sowjetischen Behörden legten der Ausreise von Oswalds Frau keine Steine in den Weg.

Der ganze Vorgang ist sicher außergewöhnlich. Noch sehr viel außergewöhnlicher wäre, wenn Oswald nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion nicht ständig schärfstens observiert worden wäre. Dies umso mehr, da er unverhohlen sozialistische Neigungen bekundete und sowohl zu Pro-Castro-Kreisen als auch zu antikommunistischen Exilkubanern Kontakt hatte.

Kennedy stimmte Kuba-Invasion zu

Hier ist eine Rückblende zum 17. April 1961 angebracht. An diesem Tag landeten rund 1400 Exilkubaner in der Bahia de Cochinos, auf deutsch »Schweinebucht«, um die revolutionäre Regierung von Fidel Castro zu stürzen. Unterstützt wurden sie durch Luftangriffe von insgesamt 26 US-amerikanischen Flugzeugen, die teils von Söldnern, teils von desertierten Kubanern und zum Teil auch von US-amerikanischen Militärpiloten geflogen wurden. Geplant war, daß die Invasoren breite Unterstützung in der kubanischen Bevölkerung fänden, daß zahlreiche Freiwillige sich anschließen würden und daß man sehr schnell eine Gegenregierung ausrufen würde, die dann von den USA anerkannt werden könnte.

Statt dessen sahen sich die Aggressoren in kürzester Zeit von über 10000 Milizionären eingekreist und ohne Munitionsnachschub. Drei Tage nach Invasionsbeginn kapitulierten die letzten. 114 Angreifer wurden während der Kämpfe getötet – auf der anderen Seite auch 176 Angehörige der kubanischen Sicherheitskräfte – und über 1100 gefangengenommen. Einige wurden hingerichtet, die meisten aber im Dezember 1962 im Tausch gegen Medikamente und Babynahrung zu ihren Auftraggebern in die USA zurückgeschickt. Offensichtlich war die kubanische Führung über alle relevanten Details der Invasionsplanung informiert gewesen.

Die Heiligenlegende, die von einigen Kreisen um Kennedy gewoben wurde, besagt, daß der junge Präsident, kaum nachdem er im Januar 1961 das Weiße Haus betreten hatte, mit den komplett fertiggestellten Invasionsplänen seines republikanischen Vorgängers Dwight D. Eisenhower bekanntgemacht worden sei und dann trotz besserer Einsicht zu unsicher und willensschwach gewesen sei, um das Unternehmen noch abzublasen.

Auf der anderen Seite entwickelte sich in exilkubanischen Kreisen, aber auch in den Reihen der CIA und anderer US-amerikanischer Beteiligter an der Invasionsplanung, eine »Dolchstoßlegende« gegen Kennedy: Angeblich war er der Hauptverantwortliche für das Fiasko, weil er der Invasion die Unterstützung entzogen oder vorenthalten habe, die für ihren Erfolg erforderlich gewesen wäre. Der Wunsch, sich an dem »Verräter« zu rächen, wurde in vielen Familien verstärkt durch den Verlust von Söhnen oder anderen nahen Familienmitgliedern, die das Abenteuer nicht überlebt hatten.

Die Planung für eine Gegenrevolution hatte im März 1960 begonnen, nachdem Diktator Fulgencio Batista am 1. Januar 1959 aus Havanna geflüchtet war und eine Woche später die von Fidel Castro und Che Guevara geführten Truppen die Hauptstadt übernommen hatten. Die zentrale Rolle bei den US-Invasionsvorbereitungen fiel dem Auslandsgeheimdienst CIA zu, der sich auf die Erfahrungen stützen konnte, die er beim Sturz legitimer und populärer Regierungen im Iran 1953 und in Guatemala 1954 gesammelt hatte. Grundsätzliches Ziel war, wie es in dem von Eisenhower gebilligten Plan hieß, »die Ersetzung des Castro-Regimes durch eine Regierung zu bewerkstelligen, die mehr den wahren Interessen des kubanischen Volkes dient und für die USA annehmbarer ist, und zwar auf eine Weise, die jeden Anschein einer US-Intervention vermeidet«.

Eine erste Maßnahme zu diesem Zweck war, die für die Invasion vorgesehenen Männer und deren Kommandostrukturen aus ihren bisherigen Quartieren in Florida zu entfernen und in andere Länder der Region zu verlegen. Guatemala wurde zum Ausbildungszentrum, während in Mexiko-Stadt ein Hauptquartier eingerichtet wurde und Nikaragua den Ausgangspunkt der Invasion, hauptsächlich mit Schiffen, zum kleineren Teil aber auch mit Fallschirmspringern, bilden sollte. Außerdem begannen mit Unterstützung der USA Terror- und Sabotageakte kleiner exilkubanischer Kommandos. In Guatemala wurden mindestens 500 bis 600 Exilkubaner durch US-Offiziere ausgebildet – und halfen nebenbei bei der Niederschlagung einer Militärrevolte gegen das dortige autoritäre Regime.

Kennedy erfuhr vom Stand der Dinge spätestens am 18. November 1960, zehn Tage nach seinem Wahlsieg und gut einen Monat vor Amtsantritt, durch CIA-Chef Allen Dulles und den direkt für die Kuba-Planung zuständigen Abteilungsleiter Richard Bissell. Ohne Kennedys ausdrückliche Zustimmung hätte das Schweinebucht-Unternehmen nicht starten können. Ein Memorandum vom 19. Januar 1961, einen Tag vor Kennedys Vereidigung, für die zentrale Planungsgruppe zeigt, daß für fünf Punkte immer noch Klärungs- und Entscheidungsbedarf konstatiert wurde. Sie betrafen die Nutzung von Basen auf dem Territorium der USA für Luftangriffe vor und während der Invasion; den Ausgangspunkt des Überfalls; Aktionen, um die Unterstützung lateinamerikanischer Staaten für das Landungsunternehmen zu gewinnen; Zeitpunkt und Art der Anerkennung einer »Übergangsregierung« der Konterrevolutionäre durch Washington; die Möglichkeit, die Invasion erheblich stärker und offener zu unterstützen als ursprünglich geplant.

Kennedy hat, soweit es aus den inzwischen freigegebenen Dokumenten deutlich wird, eine offene Verwicklung der USA in die Invasion gescheut und Wert auf die »plausible deniability« gelegt. Das ist ein Begriff aus der CIA-Sprache, der die Möglichkeit bezeichnet, rundum jede Beteiligung abzustreiten, ohne dabei völlig unglaubwürdig zu werden. Ein schönes Beispiel dafür ist der Brief, den Kennedy am 18. April 1961, dem zweiten Tag der Invasion, an den Regierungschef der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, richtete, nachdem ihm dieser seine Besorgnis mitgeteilt und vor den weltweiten Folgen einer Konfrontation gewarnt hatte.

Unterstützung der Exilkubaner

Chruschtschow befinde sich »in einer ernsthaften Fehleinschätzung bezüglich der Vorgänge auf Kuba« schrieb Kennedy. Dort gebe es schon seit Monaten »einen offensichtlichen und wachsenden Widerstand gegen Castros Diktatur«. Es könne nicht überraschen, daß kubanische »Flüchtlinge« von »jedem verfügbaren Mittel« Gebrauch machten, um nach Kuba zurückzukehren und »ihre Landsleute in deren anhaltendem Freiheitskampf zu unterstützen«. »Das Volk der Vereinigten Staaten« könne seine Bewunderung für diese »kubanischen Patrioten« nicht verbergen, und die US-Regierung könne »keine Maßnahmen zur Erstickung des Geistes der Freiheit ergreifen«. Allerdings habe er früher schon erklärt und wiederhole dies jetzt, »daß die USA keine Militärintervention auf Kuba beabsichtigen«. Aber, und nun folgte eine klare Drohung Richtung Moskau, »im Fall irgendeiner Militärintervention äußerer Kräfte« würden die USA »sofort« ihre Verpflichtungen im Rahmen der damals noch extrem reaktionär dominierten Gemeinschaft Amerikanischer Staaten (OAS) erfüllen, »um diese Hemisphäre zu schützen«.

Der Sturz oder die Beseitigung Fidel Castros auch und gerade nach dem Fiasko der Schweinebucht blieb eine Obsession Kennedys. Es wird daran deutlich, wie er die unter Eisenhower begonnenen Aktivitäten weiterverfolgte. Das betraf sowohl die ohne massive Unterstützung der USA technisch unmöglichen Kommandoaktionen exilkubanischer Banden gegen die Insel als auch die Weiterverfolgung der Pläne, Fidel Castro ermorden zu lassen.

Der hier mehrfach angesprochene Untersuchungsbericht des HSCA erwähnt, daß Fidel Castro dem demokratischen Senator George McGovern, der 1972 von seiner Partei zur Präsidentenwahl aufgestellt wurde, im August 1975 eine Liste mit 24 Mordversuchen der CIA gegen ihn übergeben habe (siehe jW-Thema vom 16.8.2007). Wer sich an dieser Stelle fragt, wie Castro davon Kenntnis haben konnte, sollte sich an die Möglichkeiten der sowjetischen Aufklärung erinnern. Der Ausschuß stellte seinerseits fest, er habe für die Zeit zwischen 1960 und 1965 »konkrete Beweise« für mindestens acht Verschwörungen zur Ermordung Castros gefunden, an denen die CIA beteiligt gewesen sei. Außerdem sei mehrmals über den Einsatz von »bewußtseinsverändernden« LSD-ähnlichen Drogen gesprochen worden. Sie sollten dazu führen, daß sich Castro während einer seiner oft stundenlangen Reden vor riesigen Menschenmengen in unzurechnungsfähigem Zustand präsentierte.

CIA-Kontakte zum Mob

Im Ausschußbericht wird außerdem, und das ist im Zusammenhang mit dem Kennedy-Attentat besonders interessant, ausführlich geschildert, wie die CIA bei ihren Mordplänen gegen Castro mit dem »Mob« zusammenarbeitete. Eine zentrale Figur war dabei John Roselli, ein führendes Mitglied der Chicagoer Mafia, zu dem die CIA über den zwielichtigen Geschäftsmann und Mitarbeiter des Dienstes, Robert Maheu, Kontakt aufnahm. Roselli machte Maheu mit zwei anderen »Mobsters«, Santo Trafficante und Sam Giancana, bekannt. Letzterer gehörte zum Freundeskreis des Oswald-Mörders Ruby. Die konkreten Vorhaben gegen Castro, die sich aus dem von Maheu angebahnten Kontakt ergaben, scheiterten jedoch.

Im Juni und September 1975 sagte Roselli zu diesen Mordplänen vor dem Church-Committee [2] aus, der zugleich auch das Kennedy-Attentat untersuchte. Am 19. Juni 1975 wurde Sam Giancana erschossen – wenige Tage, bevor er ebenfalls geladen war. Am 23. April 1976 wurde Roselli dort auch zur Ermordung Kennedys befragt. Als der Ausschuß ihn einige Monate später nochmals zu diesem Thema vernehmen wollte, stellte sich heraus, daß Roselli am 28. Juli 1976 als vermißt gemeldet worden war. Am 9. August 1976 wurde seine schon in Verwesung übergegangene Leiche in einem Stahlfaß gefunden. Es trieb in einer Bucht in der Nähe von Miami (Florida), wo die Führung der Exilkubaner saß.

Die kubanische Revolution war für etliche US-amerikanische »Mobsters« ein schwerer Schlag gewesen: Sie hatten die hauptsächlich von reichen Ausländern frequentierten Spielkasinos auf der Insel kontrolliert, die Fidel Castro schließen ließ. Gemeinsame Interessen und Aktivitäten mit den exilkubanischen Kreisen ergaben sich schon von daher.

Was die Exilkubaner selbst anging, lieferte die Regierung in Havanna nach dem Sieg über die Schweinebucht-Invasion ein interessantes Sozialporträt ihrer Gegner: Unter den Gefangenen befänden sich 100 frühere Plantagenbesitzer, 67 Eigentümer von Mietshäusern, 35 Fabrikbesitzer, 112 Geschäftsleute, 194 ehemalige Soldaten der Batista-Truppen und 179 Personen, die von nicht erarbeitetem Einkommen lebten.

In der Schnittmenge dieser drei Milieus und ihrer spezifischen Interessen – der CIA, des »Mob« und der Exilkubaner – zumindest die Organisatoren, wenn nicht sogar die Drahtzieher des Attentats von Dallas zu vermuten, ist eine plausible Annahme.

Knapp fünf Jahre nach John F. Kennedy, am 6. Juni 1968, wurde auch sein Bruder Robert ermordet. Erneut wurde ein geistig verwirrter Einzelgänger als alleiniger Täter präsentiert. In diesem Fall war es ein palästinensischer Einwanderer, der sich angeblich über proisraelische Äußerungen von Robert Kennedy geärgert hatte. In Verbindung mit dem Mord von Dallas verdient jedoch die Tatsache Beachtung, daß Robert Kennedy damals Justizminister gewesen war. In dieser Funktion hatte er, unterstützt von seinem Bruder, dem »Mob« durch eine massive Steigerung der eingeleiteten großen Ermittlungsverfahren sehr schmerzhaft auf die Füße getreten. Als Robert Kennedy ermordet wurde, war er Senator und bewarb sich um das Präsidentenamt.

Anmerkung
  1. Die »Kommission des Präsidenten über die Ermordung von Präsident Kennedy« wurde von Kennedys Amtsnachfolger Lyndon B. Johnson am 29. November 1963 einberufen. Ihr Vorsitzender war Earl Warren, damals Oberster Richter am Supreme Court.
  2. Dieser »Sonderausschuß des US-Senats zur Untersuchung des Regierungshandelns mit Bezug zu Aktivitäten der Nachrichtendienste« wurde von Frank Church, einem demokratischen Senator aus Idaho, geleitet. Whistleblower und Medien hatten in den Jahren vor 1975 über kriminelle Machenschaften der US-Geheimdienste berichtet, so daß die Regierung sich zur Einsetzung eines Ausschusses gezwungen sah.

* Aus: junge Welt, Freitag, 22. November 2013


Der Was-wäre-wenn-Präsident

50 Jahre nach seiner Ermordung wird John F. Kennedy noch immer mehr verklärt als erklärt

Von Reiner Oschmann **


Zu spätem Ruhm verhilft oft früher Tod. Das wissen wir seit Georg Büchner (er starb mit 23), James Dean (24) – und seit JFK.

Der 35. US-Präsident John Fitzgerald Kennedy war erst 46, als ihn am 22. November 1963 in Dallas Mordkugeln trafen. Die Warren-Kommission kam 1964 zwar zu dem Schluss, er sei das Opfer von Einzeltäter Lee Harvey Oswald gewesen, aber ein halbes Jahrhundert später ist der Verklärungsmythos ebenso weiter gewachsen wie die Fragen, ob der Mord nicht doch eine Verschwörung war, »in die Johnson, die CIA, die Mafia, Fidel Castro oder eine bizarre Kombination aller verwickelt war«, wie Jill Abramson soeben schrieb.

Die erste Chefredakteurin der »New York Times«, die errechnet haben will, dass inzwischen rund 40 000 Bücher über den »unsterblich Ermordeten« vorliegen, betont, man könne JFK bis heute nicht abschließend beurteilen. Ein Grund sei der, dass seine Ermordung für eine Generation von Amerikanern noch immer die traumatischste Erfahrung ihres Lebens sei, die vieles von dem Mann und seiner Bilanz verdunkle. Und auch Abramson erwähnt ein Phänomen, das den Präsidenten, vor allem jedoch seinen Tod als zweiter Mythos umgibt: die oft gestellte Frage, was geschehen wäre, wäre Kennedy nicht ermordet worden und hätte er eine zweite Amtszeit gewonnen. John F. Kennedy ist der prototypische Was-wäre-wenn-Präsident.

Die unendliche Geschichte führt dazu, dass er bis dato mehr verklärt als erklärt, mehr bewundert als bei Lichte besehen, mehr banalisiert als analysiert wird. Trotz der Tausenden Bücher über ihn, darunter Romane von Weltbekannten wie Norman Mailer, Stephen King oder Don DeLillo, bleibt das Kennedy-Bild seltsam leer. Der Mann mit der – buchstäblich – blendenden Erscheinung scheint noch immer auf seinen wahren Biografen zu warten.

Selbst Robert Dallek, Autor einer der beachtetsten Biografien (»John F. Kennedy – Ein unvollendetes Leben«, DVA, 2003) sowie eines eben in den USA erschienenen neuen Buchs (»Camelot’s Court: Inside the Kennedy White House«, Harper, 2013), staunte beim Auftritt in Berlin über die Dauerbewunderung für den berühmten Untoten.

Mit Blick auf JFKs Bilanz nach drei Amtsjahren rechnete Dallek seinen Zuhörern im Museum für Deutsche Geschichte vor: »Innenpolitisch gleich Null. Die überfälligen Verbesserungen auf dem Gebiet der Bürgerrechte erst unter Nachfolger Lyndon B. Johnson. Außenpolitisch das Fiasko in der kubanischen Schweinebucht, in Vietnam die Erhöhung der Zahl der amerikanischen Berater von 1500 auf 16 000 bei Kennedys Tod …«

Tatsächlich hat eine Beurteilung des Politikers, der bei Amtsantritt 1961 mit 43 Jahren jüngster Präsident des Landes war, mit dem ihn umwehenden Sternenstaub nichts zu tun. Seine Amtsführung im ersten Jahr ist kein Grund, ihm Kränze zu flechten. Kennedy war unerfahren und führungsschwach. Er suchte das mit der zynischen Selbstherrlichkeit des machtbewussten, korruptionsverliebten Kennedy-Clans und schärfstem Antikommunismus wettzumachen. Vor dem Wechsel ins Weiße Haus fiel er im Kongress weniger mit gesetzgeberischen Vorstößen auf als durch die Nachsicht, die er für Senator McCarthy zeigte. Privat nannte Kennedy den Kommunistenfresser einen »armen Irren«. Öffentlich jedoch äußerte er Hochachtung für McCarthy, der Karrieren zerstörte, Unschuldige in den Selbstmord trieb und das öffentliche Klima vergiftete.

Kuba – das kurz vor seinem Amtsantritt mit der Revolution unter Fidel Castro den Hinterhof der USA verlassen hatte, deren Bordell es war – beschäftigte Kennedy geradezu obsessiv. Umsturzversuche und Mordkomplotte gegen Castro entwarf Washington unaufhörlich. Nach dem Scheitern der Invasion in der Schweinebucht im April 1961, einer Aktion von Exilkubanern, die von Vorgänger Eisenhower geplant und von Kennedy nicht abgebrochen wurde, begann bei ihm ein taktisches Umdenken.

Dallek zitiert im jüngsten Buch Kennedys Frau, die sich nach dem Fiasko an ihren Gatten im Schlafzimmer erinnerte: »Er hatte den Kopf in beide Hände vergraben und war in Tränen«, sagte sie. Wieder und wieder habe er gemurmelt: »Mein Leben lang wusste ich, dass es keinen Sinn hat, sich immer vom Rat der Experten abhängig zu machen. Wie konnte ich bloß so dumm sein, sie (die Söldner – R.O.) marschieren zu lassen?«

Kennedy sah sich vor allem als außenpolitischer Präsident. In Vietnam eskalierte er die Lage und billigte den Übergang von Beratern zu Kampfeinheiten. Kurz vor seinem Tod soll er Zweifel am Ausbau dieses »Engagements« gehabt haben. Mehrere Historiker geben sich überzeugt, dass es mit JFK zu einem Krieg wie unter den Nachfolgern Johnson und Nixon nicht gekommen wäre. Wer weiß. Fakt ist: Kennedy billigte den Einsatz von Napalm, schickte Hubschrauber und Kampfbomber. Kein anderer als JFK öffnete die Tür zur Katastrophe. Ob er sie wieder geschlossen hätte, bevor 58 000 US-Soldaten und mehrere Millionen vietnamesische Zivilisten ihr Leben verloren? Der Was-wäre-wenn-Präsident hat das nicht mehr beantwortet.

Klarer ist Kennedys Erbe im Verhältnis zur Sowjetunion. Angetreten, den Kommunismus in die Schranken zu weisen, so wie sein Gegenspieler Nikita Chrustschow nicht müde wurde, das nahe Ende »des senilen Kapitalismus« zu verkünden , rangen beide Länder um Macht- und Einflusssphären. Dabei drohte gerade in beider Amtszeit der Weltfriede mehrfach zu entgleisen.

Unter Kennedy sprach Washington von einem drohenden Rüstungsvorsprung Moskaus. Mit der Realität hatte dies nichts zu tun, denn eine Raketenlücke bestand durchaus – zugunsten der USA. Valentin Falin sagte vor Jahren in Berlin, in der sogenannten Raketenkrise um Kuba im Herbst 1962 habe kein militärisches Gleichgewicht, sondern ein Übergewicht der USA geherrscht – bei Atomsprengköpfen im Verhältnis 17:1, bei strategischen Bombern 5:1.

Wenn Kennedy die Notwendigkeit des Gleichgewichts beschwor, meinte er folglich die Sicherung amerikanischen Vorsprungs. Dennoch gehört zur Beurteilung seiner Person, dass er in jener Raketenkrise den Ausschlag dafür gab, dass die von Moskau nach Kuba bugsierten Nuklearraketen mittels Blockade und Diplomatie wieder beseitigt werden konnten – und nicht mit US-Luftschlägen und Invasion Kubas, wie es die Falken in seiner Umgebung gefordert hatten.

Als die Welt am Rand des Weltkriegs tänzelte, bewies Kennedy nach langem Säbelrasseln auch seinerseits spätes Augenmaß. Er bewog die sowjetische Seite zum Abzug ihrer Raketen aus Kuba – allerdings erst nach seiner Zusage, US-Raketen aus der Türkei zu entfernen. Diesen Zusammenhang leugneten Kennedy und Nachfolger jahrzehntelang. Es belegt, wie wenig sich beide Seiten propagandistisch im Kalten Krieg schenkten.

Doch die Kubakrise schuf auf sowjetischer wie amerikanischer Seite neue Nüchternheit. Kennedy nahm zumindest im Verhältnis zur anderen Supermacht die Entwicklung vom aggressiven politischen Frühchen zum besonneneren Diplomaten. 1963 kam einiges zum Tragen: Washington und Moskau richteten den Heißen Draht ein und vereinbarten im Teststopp-Abkommen die erste nukleare Rüstungsbegrenzung. Selbst die Lage um Berlin, wo der Sozialismus 1961 – mit demonstrativer Duldung Washingtons – eine für sein Ansehen tödliche Mauer errichtet hatte, fing an, sich langsam zu entgiften.

Wenn auch die These von Historikern wie Robert Dallek bis heute gewagt erscheint, ohne Kennedys Ermordung hätte noch in den 60er Jahren der Kalte Krieg beendet werden können, war doch eine Entwicklung erkennbar: Der späte Kennedy war vorsichtiger als der frühe, der späte fast so etwas wie ein früher Gorbatschow des Westens. Ob er ein großer Präsident war, bleibt so strittig wie die Spekulation, was geschehen wäre, hätte sich Dallas nicht ereignet. Dass Kennedys Ermordung die USA stärker beeinflusste als seine Präsidentschaft, ist dagegen sicher.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. November 2013


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