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Kanonenboot-Demokratie scheiterte immer und immer wieder
Gun-Barrel Democracy Has Failed Time and Again

Studie: Die USA können Irak zum Verbündeten machen, aber dem Land keine Freiheit bringen
Study suggests U.S. may make Iraq an ally but produce little freedom there.

George W. Downs und Bruce Bueno de Mesquita von der New York University stellen in einer wissenschaftlichen Studie fest, dass amerikanische Präsidenten ihre ausländischen Interventionen immer wieder mit demokratischem Idealismus unterfüttert haben. In 35 Fällen seit 1945 sei die Demokratisierung jedoch nur in Kolumbien halbwegs gelungen.

Die wichtigsten Befunde und Schlussfolgerungen aus der Studie stellten die Verfasser in der "Los Angeles Times" vom 4. Februar vor. Wir fassen die wichtigsten Argumente auf deutsch zusammen und dokumentieren im Anschluss den Artikel im englischen Original.


Wenn sich die USA in die Angelegenheiten anderer einmischen, behaupten sie immer gern, dies geschehe zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie. Das wurde im Fall des Irak gesagt und das war auch die - wenn auch nicht einzige - Rechtfertigung für die Verfolgung der Taliban in Afghanistan. Aber das wurde auch schon über Vietnam in den 60er Jahren, in Grenada 1983, in Panama 1989 und in zahlreichen anderen Interventionen des 20. Jahrhunderts gesagt.

Tatsächlich ist es so, dass die Präsidenten selten versäumten, bei ihren auswärtigen Aktionen mit der "Demokratie" als Begründung aufzuwarten. Das kommt eben gut an bei den Amerikanern, die immer gern auf der Seite der Engel sein möchten. Wenn es aber darum ginge, dass die USA um der Demokratie willen intervenierten, dann herrscht Fehlanzeige.

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die USA in über 35 Entwicklungsländern rund um den Globus militärisch interveniert. Die Untersuchung der beiden Wissenschaftler zeigt indessen, dass im Zeitraum von 10 Jahren nur in einem einzigen Fall - es geht um das US-Engagement in den Drogenkrieg in Kolumbien - , eine voll entwickelte, stabile Demokratie mit Machtbeschränkung der Exekutive, klaren Regeln für den Regierungswechsel, ausgreiftem Wahlrecht und Wählerwettbewerb entstand.

In der Folge anderer Interventionen (Guatemala 1954, Nikaragua 1978 und 1982, Thailand 1966 stellten sich verschiedene demokratische Versatzstücke ein (z.B. Wahlen ohne wirklichen Wettbewerb und ein begrenztes Wahlrecht), doch die Hauptelemente einer voll entwickelten Demokratie sind nirgendwo entstanden.

Die Ergebnisse US-amerikanischen Eingreifens waren noch trauriger im Libanon (1958), der Republik Kongo (1967) und - wiederum - in Guatemala (1966, 1972). In diesen Fällen folgte auf die Intervention eine Zerstörung der bescheidenen Fortschritte, die diese Staaten zuvor schon erreicht hatten. Beispielsweise war die guatemaltekische Exekutive 1982 weniger von der Gesetzgebung beschränkt als 1972.

Zu diesen Ergebnissen kamen die Wissenschaftler, indem sie bekannte Interventionen (einschließlich kleinerer Aktionen wie Berater-Missionen) mit dem "Politik IV Index", einem wissenschaftlichen Index zur fortlaufenden Messung des Demokratie- bzw. Autokratie-Status eines Landes.

Auch wenn sich Ursache und Wirkung nicht immer bestimmen lassen, steht zumindest fest, dass während der ganzen Zeit amerikanisches Engagement im Ausland nicht zu einem Mehr an Demokratie und Freiheit in den betroffenen Ländern geführt hat.

Stellt sich die Frage, warum die Vereinigten Staaten so geringe Erfolge aufzuweisen haben. Woran das auch liegen mag, das Problem ist nicht auf die USA allein beschränkt. Die Leistungen anderer Interventen - egal ob demokratische oder nicht-demokratische - sind auch nicht besser. Weder Großbritannien noch Frankreich oder Kanada oder irgend ein anderer Staat hat einen nennenswerten Erfolg in Sachen Demokratie schaffen durch Intervention aufzuweisen.

Die Probleme können aber auch nicht den Ländern angelastet werden, in die interveniert wurde. Obwohl solche Interventionen oft in armen Ländern stattgefunden haben, deren Bildungsstand niedrig war und die kaum Erfahrung mit demokratischen Institutionen hatten, gibt es so gut wie keinen Beleg dafür, dass dies ursächlich für das Scheitern von Demokratie sei. Tatsache ist nämlich, dass benachbarte Länder im allgemeinen mehr Fortschritte in Richtung Demokratie erzielen konnten als diejenigen, in die interveniert wurde. Außerdem waren auch unter sonst günstigsten Voraussetzungen die Erfolgsaussichten auf Demokratisierung von außen sehr gering.

Downs und de Mesquita glauben eine bessere Erklärung in dem Umstand zu sehen, dass der Wunsch der USA, in den betroffenen Ländern Demokratie zu installieren, konkurriert mit dem Wunsch sicherzustellen, dass diese Länder eine Politik verfolgen, die amerikanischen Interessen entspricht. Ein Konflikt zwischen diesen beiden Zielen ist nahezu unausweichlich - außer in Fällen primär "humanitärer Interventionen", die aber sehr selten vorkommen und häufig scheitern, weil die Interventen wirkliches Interesse vermissen lassen (als Beispiel nennen die Autoren Somalia 1993).

In den typischen Fällen haben sich die USA genauso wie andere Interventen weniger vom Wunsch leiten lassen, Demokratie einzuführen oder das menschliche Leid zu lindern, sondern eher vom Wunsch, dass der Staat, in den interveniert wird, einige Aspekte seiner Staatsziele ändert. Beispielsweise ging es in Afghanistan mehr darum, dass das Land seine Unterstützung für Ossama bin Laden aufgibt, und nicht darum der Bevölkerung die Demokratie zu bringen. Obwohl Demokratiezweifellos ein hübsches Nebenprodukt sein würde, war sie selten das wichtigste Ziel.

In vielen Fällen - wie z.B. im Irak - haben die amerikanischen Verwaltungen das starke Bedürfnis, so wenig wie möglich dem Zufall zu überlassen. Das hat seinen Grund in der Rhetorik des "Der Irak hat den Schlüssel zum Sieg über den Terrorismus", die öffentliche Unterstützung für den Krieg zu mobilisieren vermag; dieselbe Öffentlichkeit erwartet von der installierten irakischen Regierung, dass sie zum Verbündeten im krieg gegen den Terror wird. Die Errichtung eines Staates, der gegenüber der US-Politik kritisch eingestellt ist oder gar mit den Gegnern der USA sympathisiert, ist einfach kein akzeptables Ergebnis.

Unglücklicherweise ist das Ziel, möglichst wenig dem Zufall zu überlassen, inkompatibel mit dem Ziel Demokratie zu fördern. Es gibt keinerlei Garantie, dass freie, faire und offene Wahlen in Ländern wie Irak oder Afghanistan Regierungen hervorbringen, welche die wesentlichen Ziele der US-Politik unterstützen: Gegnerschaft zum Terrorismus, freier Zugang des Westens zum Öl und Unterstützung für den Nahost-Friedenprozess.

Ein weitaus verlässlicherer Weg zu einem günstigen politischen Ergebnis liegt in folgenden Maßnahmen:
  • Führer - in der Regel Autokraten - aufzubauen und zu unterstützen, die ihre Sympathie mit den Zielen der USA bewiesen haben,
  • eine von US-Interessen dominierte Regierungsbehörde einzusetzen und sie dann mit der Durchführung freier Wahlen zu beauftrage, wenn es die Bedingungen zulassen,
  • einen Wahlprozess zu entwerfen, der mit annähernder Sicherheit eine sympathisierende Regierung hervorbringt und die Dominanz einer Einparteien-Herrschaft oder einer schwachen Regierung heraufbeschwört (Deutschland und Japan sind das Ergebnis einiger der günstigsten Fälle).
Erfahrung lehrt uns, dass diese Strategien selten, wenn überhaupt, zu etwas führt, das mittelfristig wie eine wirkliche Demokratie aussieht oder funktioniert. Sie geben aber der Besatzungsbehörde des intervenierenden Staates die Sorte von Verbündeten, den sie braucht, um ihre außenpolitischen Ziele in der Welt und ihre Wahlziele im eigen Land zu erreichen.

Die Wähler zu Hause, die froh sind von den Lasten des Kriege befreit zu sein, sind im allgemeinen bereit, den Versicherungen Glauben zu schenken, dass, wie unfertig auch immer die neue Regierung kleinlichen Kritikastern erscheint, sie doch auf dem Weg zur Demokratie ist. Was den Irak betrifft, so werden die einzigen, die bemerken, dass das "Modell Demokratie" mehr einer Autokratie auf dem Weg ins Nirgendwo oder einer losen Föderation drei selbständiger autokratischer Staaten entspricht, die Bürger Iraks und der anderen Länder des Nahen Osten sein.

Deutsche Zusammenfassung: Pst

Gun-Barrel Democracy Has Failed Time and Again

Study suggests U.S. may make Iraq an ally but produce little freedom there.

By George W. Downs and Bruce Bueno de Mesquita*


When it involves itself in the affairs of others, the United States likes to say that it is doing so in defense of freedom and democracy. That's what we said in Iraq, among other things, when we toppled Saddam Hussein. That was part (though not all) of our argument for going after the Taliban in Afghanistan. But it's also what we said in Vietnam in the 1960s, in Grenada in 1983, in Panama in 1989 and in numerous other interventions during the 20th century.

In fact, presidents rarely fail to trot out "democracy" as a justification for their actions abroad. That's because it is popular with Americans, who like to feel they are on the side of the angels. But if it's democracy we're after, we are failing miserably.

Between World War II and the present, the United States intervened more than 35 times in developing countries around the world. But our research shows that in only one case - Colombia after the American decision in 1989 to engage in the war on drugs - did a full-fledged, stable democracy with limits on executive power, clear rules for the transition of power, universal adult suffrage and competitive elections emerge within 10 years. That's a success rate of less than 3%.

After other interventions - such as Guatemala (1954), Nicaragua (1978 and 1982) and Thailand (1966) - various trappings of democracy, such as noncompetitive elections and a limited franchise, were added in the decade that followed but the critical elements of a fully developed democracy simply never emerged.

The results of our engagements in Lebanon (1958), the Republic of the Congo (1967) and, again, Guatemala (1966, 1972) were more dismal still. In these cases intervention actually was followed by deterioration in the modest progress these states had achieved. For instance, the Guatemalan executive was substantially less constrained by law or by the legislature in 1982 than in 1972.

We reached these conclusions by correlating known interventions - including not just large-scale wars but also small actions like flyovers or "advisory" missions - with what is known as the Polity IV Index, an academically accepted measure of the status of democracy and autocracy country by country and year by year.

Though cause and effect cannot always be determined, what is clear is that, time after time, American engagement abroad has not led to more freedom or more democracy in the countries where we've become involved.

Why does the United States show such unimpressive results? Whatever the problem is, it isn't exclusive to the U.S.; the record of other interveners - both democratic and nondemocratic - is no better. Neither Britain, France, Canada nor any other country has an enviable record of creating democracy by military intervention.

Nor can the problems be blamed on the countries in which we chose to intervene. Although it is true that many of these interventions took place in poor countries where the education level was low and where there was little previous experience with democratic institutions, there is scant evidence to suggest that this is why democracy failed to take hold. In fact, neighboring countries generally experienced more progress toward democracy in the ensuing decade than did the states where the intervention occurred. Moreover, even under the best conditions, the chances of success for externally imposed democracy were quite small.

We think a better explanation lies in the inherent tension between America's stated desire to implement democratic processes in the intervened-in nations and its desire to ensure that these nations will pursue policies that reflect U.S. interests.

Conflict between these two goals is almost inevitable, except in the case of primarily humanitarian interventions, which are quite rare and often fail because of a lack of commitment on the part of the interveners (as in the case of Somalia in 1993).

In the typical cases, the United States - like other interveners - has been motivated less by a desire to establish democracy or reduce human suffering than to alter some aspect of the target state's policy. (For instance, the recent invasion of Afghanistan was aimed at ending that country's support for Osama bin Laden more than at bringing democracy to its people.) Although democracy would no doubt be a nice byproduct, it is rarely the most important goal.

In many cases, such as Iraq, American administrations have strong incentives to leave as little as possible to chance. This is because the "Iraq holds the key to winning the war on terror" rhetoric that mobilizes public support for the war leads the same public to expect the Iraqi government that emerges to be an ally in that battle. The creation of a state that is critical of U.S. policy, much less one that is openly sympathetic to enemies of U.S. interests, is simply not an acceptable result.

Unfortunately, the goal of leaving as little as possible to chance is incompatible with the goal of promoting democracy. There's no guarantee that free, fair, open elections in countries like Iraq and Afghanistan will produce governments that back fundamental American policies like opposition to terrorism, a commitment to the free flow of oil to the West and support for the Middle East peace process.

The far more reliable path to a favorable policy outcome is to (a) prop up leaders - usually autocrats - who have a demonstrated track record of sympathy with U.S. goals; (b) appoint a U.S.-interest-dominated "acting government" and then charge it with holding free and fair elections when conditions permit; and (c) design an electoral process that is virtually certain to elect a sympathetic government and promote the dominance of single-party rule or weak central authority for the foreseeable future (the often-forgotten outcome in some of the best cases, like Japan and Germany).

Experience has taught us that these strategies rarely, if ever, lead to anything that looks and functions like a genuine democracy in the short or medium term. But they do give the administration of the intervening country the kind of ally it needs to help achieve its foreign policy goals abroad and its electoral goals at home.

Happy to be free of the burdens of war, voters back home are generally willing to embrace their administration's assurances that however imperfect the new government might appear to "nitpickers," it is now well on the road to democracy. In the case of Iraq, the only ones who will notice that the "model democracy" is really more of an autocracy - or a loose confederation of three separate autocratic states - on the road to nowhere will be its citizens and those of the other Middle Eastern countries.

* George W. Downs is dean of social science and professor of politics at New York University. Bruce Bueno de Mesquita is Silver Professor of Politics at New York University and senior fellow at the Hoov

Los Angeles Times, February 4, 2004



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