Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Trotz Schuldenkrise nur zögernde Sparbemühungen? Die immensen US-Militärausgaben

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
In den USA beginnt im kommenden Monat das Haushaltsjahr 2012. Wegen der Schuldenkrise ist diesmal allerdings noch vieles in Bewegung. Anders als früher sind inzwischen auch die immensen Militärausgaben ins Blickfeld gerückt. Denn hier soll ebenfalls gespart werden. Jerry Sommer weiß mehr:


Manuskript Jerry Sommer

Im August hat der US-Kongress beschlossen, innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Billion Dollar einzusparen, um die exorbitanten Staatsschulden zu reduzieren. 350 Milliarden der Kürzungen sollen aus dem sogenannten Basishaushalt des Pentagon kommen, in dem allerdings unter anderem die Ausgaben für die Kriege in Afghanistan und dem Irak nicht enthalten sind.

Das Verteidigungsministerium prüft zurzeit, in welchen Bereichen genau gespart werden kann. Die vom Kongress beschlossenen Kürzungen entsprechen in etwa dem von Obama bereits im April angekündigten Vorhaben, bis 2023 insgesamt 400 Milliarden Dollar an den Verteidigungsausgaben einzusparen.

Der ehemalige stellvertretende US-Verteidigungsminister unter Ronald Reagan, Lawrence Korb, der heute dem Washingtoner Think Tank „Center for American Progress“ angehört, kritisiert jedoch, dass trotz der angekündigten Sparbereitschaft keine realen Kürzungen geplant seien:

O-Ton Korb (overvoice)
„Wenn über Kürzungen gesprochen wird, dann sind lediglich Einschnitte bei den bisher vorgesehenen Erhöhungen des Haushalts gemeint, nicht reale Kürzungen. Für das Verteidigungsministerium heißt das: wir werden zwar nicht mehr so viele Mittel bekommen, aber wir erhalten immer noch mehr als bisher.“

Für das Haushaltsjahr 2012 hatte Präsident Obama 553 Milliarden Dollar für den reinen Verteidigungshaushalt verlangt. Der zuständige Senatsausschuss bewilligte Mitte September allerdings etwas weniger: 530 Milliarden Dollar. Damit würde der Pentagonhaushalt praktisch auf das diesjährige Niveau eingefroren werden.

Wenn es bei den bisher gebilligten 530 Milliarden bleibt, wäre das eine Trendwende. Denn damit würde der Verteidigungshaushalt nach einem 10-jährigen ununterbrochenen Anstieg zum ersten Mal stagnieren – allerdings auf einem außerordentlich hohen Niveau. Lawrence Korb:

O-Ton Korb (overvoice)
„Der Haushalt hat sich seit Nine Eleven fast verdoppelt. Selbst wenn man die Inflation berücksichtigt, geben wir mehr für das Pentagon aus als zu den Hochzeiten des Rüstungsbooms unter Ronald Reagan. Und etwa 100 Milliarden mehr, als wir während des Kalten Krieges im Durchschnitt ausgegeben haben.“

Das ist angesichts des Fehlens einer existenziellen Bedrohung für die USA, wie sie die Sowjetunion darstellte, nicht zu rechtfertigen, meint der frühere stellvertretende US-Verteidigungsminister. Zu den Militärausgaben der USA gehört allerdings nicht nur der reine Pentagonhaushalt. Für das kommende Jahr hat die Obama-Administration noch zusätzliche Mittel beantragt: unter anderem 19 Milliarden Dollar für die Nuklearwaffen, 53 Milliarden für die Geheimdienste, 129 Milliarden Dollar für die soziale Versorgung von Armee-Veteranen und 118 Milliarden für die Kriege in Afghanistan und dem Irak. Damit würden sich die gesamten US-Militärausgaben für das Haushaltsjahr 2012 auf etwa 850 Milliarden Dollar belaufen. Die USA hätten so erneut einen Anteil von über 50 Prozent an den gesamten Militärausgaben der Welt – vor zehn Jahren waren es noch 30 Prozent. Jedem potenziellen Gegner sind die USA militärisch haushoch überlegen.

Der Schuldenkompromiss des Kongresses sieht vor, dass nun eine von beiden Kongressparteien getragene Kommission bis Ende November weitere Kürzungsvorschläge für den gesamten US-Haushalt machen soll. Es geht dabei um ein Volumen von mindestens 1.500 Milliarden für die nächsten zehn Jahre. So soll der Schuldenabbau vorangetrieben werden. Wenn der Kongress bis Dezember keinen solchen Plan beschließt, dann soll die Zehnjahresplanung für das Militär automatisch um weitere 600 Milliarden Dollar reduziert werden.

Gegen solche einschneidenden Kürzungen laufen republikanische Kongressabgeordnete zurzeit ebenso Sturm wie Vertreter der Rüstungsindustrie. Mittlerweile warnt auch das Pentagon. US-Verteidigungsminister Leon Panetta hält den Beschluss, in den kommenden zehn Jahren mit 350 Milliarden Dollar weniger auszukommen, gerade noch für vertretbar. Doch die mögliche automatische Reduzierung um weitere 600 Milliarden Dollar wäre aus seiner Sicht verheerend. Panetta:

O-Ton Panetta (overvoice)
„Weitere sehr gefährliche Kürzungsrunden wären die Folge; Einschnitte bei den Verteidigungsausgaben, die unserer Sicherheit, unseren Truppen und ihren Familien und unseren Fähigkeiten, die Nation zu verteidigen, wirklich schaden würden.“

Anfang dieser Woche hat auch Präsident Obama Vorschläge für einen Schuldenabbau gemacht. Es geht um insgesamt drei Billionen Dollar innerhalb der nächsten zehn Jahre.

O-Ton Obama
„We save one trillion dollars, as we end the wars in Iraq and Afghanistan.”

„Davon werden wir eine Billion Dollar durch die Beendigung der Kriege in Afghanistan und im Irak einsparen“, erklärte Obama. Doch solch hohe Ausgaben waren für diese Kriege für die nächsten zehn Jahre ohnehin nicht geplant. Für die kommenden fünf Jahre hatte die Obama Administration dafür 318 Milliarden Dollar vorgesehen. Wie durch den Truppenabzug 1.000 Milliarden eingespart werden können, ist für viele Experten daher nicht nachvollziehbar. Weitergehende Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben werden vom Weißen Haus nicht in Erwägung gezogen. Einzige Ausnahme: Die Jahresbeiträge von pensionierten Militärs für ihre Krankenversicherungen und Pensionen sollen erhöht werden. In zehn Jahren soll das Pentagon damit um 26 Milliarden Dollar entlastet werden.

Eine Reihe von Personen und Organisationen halten demgegenüber weitergehende reale Kürzungen im Verteidigungshaushalt für möglich und wünschenswert. Voraussetzung ist allerdings ein Umdenken in Bezug auf die Fähigkeiten der US-Streitkräfte. Todd Harrison vom Washingtoner „Zentrum für strategische Budget-Analysen“ hält zum Beispiel die Vorgabe für überholt, dass die USA in der Lage sein müssten, zwei große Kriege gleichzeitig zu führen:

O-Ton Harrison (overvoice)
„Wenn wir davon ausgehen, dass sich die gegenwärtige Situation mit den gleichzeitigen Kriegen in Afghanistan und im Irak in naher Zukunft nicht wiederholt, dann können wir unsere Bodentruppen so reduzieren, dass sie nur für einen größeren Einsatz ausreichen. Das würde erhebliche Einsparungen ermöglichen.“

Für effektive Anti-Terroraktivitäten bräuchte man keine großen Armeen, das habe die Ausschaltung von Osama bin Laden gezeigt, argumentiert auch Christopher Preble vom Washingtoner Cato-Institut. Wenn man das Ziel „Regimewechsel“ und „Nation-building“ aufgebe, könnte man die gegenwärtig 1,5 Millionen Soldaten umfassenden US-Streitkräfte deutlich verringern. Preble:

O-Ton Preble (overvoice)
„Wir könnten nach unserer Analyse den Umfang der Armee von 547.000 auf 360.000 und das Marine-Corps von 202.000 auf 145.000 verringern.“

Lawrence Korb vom „Center for American Progress“ hält es auch für sinnvoll, die 150.000 US-Soldaten, die in Europa und in Südost-Asien stationiert sind, um ein Drittel zu reduzieren. So könnten 40 Milliarden Dollar eingespart werden. Selbst Obamas Vorgänger George W. Bush hatte geplant, die US-Truppen in Europa von 80.000 auf 60.000 zu verringern. Doch Obama hat diese Entscheidung rückgängig gemacht – obwohl eine Bedrohung für die europäische Sicherheit nicht zu erkennen ist.

Um das US-Nukleararsenal zu modernisieren sind in den nächsten Jahren der Bau neuer Waffenfabriken, neuer U-Boote, sowie neuer Trägerflugzeuge und Langstreckenraketen geplant. Kosten: 215 Milliarden Dollar. An der sogenannten Triade, also Nuklearwaffen in verbunkerten Silos, auf Flugzeugen sowie auf U-Booten, möchte das Pentagon offensichtlich festhalten. Lawrence Korb vom „Center for American Progress201C hält das für überflüssig:

O-Ton Korb (overvoice)
„Die Hochschule der Luftwaffe hat eine Studie vorgelegt, nach der wir zur Abschreckung 311 Atomsprengköpfe bräuchten. Das war eine Untersuchung der Luftwaffe, und nicht irgendeines liberalen linken Instituts. Wenn wir in diese Richtung gingen, könnten wir auch darüber nachdenken, ob wir wirklich eine neue U-Boot-Generation und andere Waffensysteme brauchen.“

Nach einer von Lawrence Korb vorgelegten Studie könnten durch solche und andere Einsparungen bei den Beschaffungsprogrammen für neue Kampfjets, Flugzeugträger und die Raketenabwehr in den nächsten 10 Jahren im Verteidigungshaushalt insgesamt 800 Milliarden Dollar eingespart werden.

Mit solchen Reduzierungen würde man zwar Risiken eingehen, aber die grundlegende Sicherheit der USA wäre wegen ihrer militärischen Dominanz nicht gefährdet.

Christopher Preble vom Cato-Institut warnt vor einer Übertreibung potenzieller Gefahren:

O-Ton Preble (overvoice)
„Es sind eine Reihe von Horrorszenarien im Umlauf, die schildern, was passieren würde, wenn wir nicht zehn Mal, sondern nur fünf Mal so stark wären wie unser nächster Rivale. Aber eine Welt, in der wir eine etwas geringere militärische Macht besäßen, ist nicht halb so gefährlich, wie sie manchmal dargestellt wird. Mehr Realismus in Bezug auf die Grenzen des Militärs wäre vernünftig und weise.“

Aufgrund der internationalen Finanzkrise ist der Verteidigungshaushalt in den USA nicht mehr sakrosankt. Aber eine grundlegende Wende ist trotz des absehbaren Endes der Einsätze im Irak und in Afghanistan bisher nicht erkennbar. Zu stark sind trotz der gigantischen Staatsverschuldung die Beharrungskräfte. Der ehemalige Präsident Eisenhower sprach einst von der Macht des „militärisch-industriellen Komplexes“. Allerdings: Der Trend des andauernden Anstiegs der US-Militärausgaben wurde durch die Schuldenkrise offenbar vorerst gestoppt.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 24. September 2011; www.ndrinfo.de


Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage