Die vergessenen Häftlinge von Guantánomo
Seit sechs Monaten wehren sich Gefangene im US-Lager mit einem Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen
Von Jürgen Heiser *
Exakt ein halbes Jahr lang dauert der Hungerstreik von zuletzt 60 Häftlingen im US-Militärgefängnis Guantánamo Bay (Gitmo) seit dem gestrigen Dienstag bereits an. Einen Tag zuvor hatte die 81jährige Margaret Owen aus der britischen Grafschaft Dorset ihr einwöchiges Protestfasten vor den Kameras des Senders BBC beendet. Sie habe damit die Öffentlichkeit auf die prekäre Lage des Guantánamo-Gefangenen Shaker Aamer aufmerksam machen wollen, erklärte Owen dem BBC-Reporter. Seit elf Jahren sitzt der Brite mit der Häftlingsnummer 239 ohne Anklage und ohne Aussicht auf einen Prozeß in dem US-Lager.
Das britische Außenministerium räume seinem Fall zwar »hohe Priorität ein« und fordere »von der US-Regierung seine umgehende Freilassung in das Vereinigte Königreich«, so BBC, doch das hilft wenig. Die US-Regierung lasse Aamer nicht frei, »weil sie befürchtet, er könnte öffentlich machen, was er über das Lager weiß«. Derzeit bemühten sich die USA darum, ihn gegen seinen Willen an Saudi-Arabien zu überstellen, meldete der Sender Russia Today (RT). Unterstützer der Gitmo-Häftlinge kritisierten London deshalb, sich nicht genug für Aamer einzusetzen. Der Vater von vier Kindern, dessen Familie in London lebt, sei ihr »zu einem sozialen Sohn geworden«, schilderte Margaret Owen ihre Beweggründe. Sie fühle Aamers Qualen unter den Haftbedingungen, gegen die die Häftlinge seit dem 6. Februar mit ihrem Hungerstreik protestieren. Deshalb habe sie sich Prominenten wie dem schottischen Comedian Frankie Boyle und der Schauspielerin Julie Christi beim Fasten angeschlossen. Gestartet hatte die Kampagne Anfang Juli Clive Stafford-Smith, Gründer der britischen Menschenrechtsorganisation »Reprieve«. Der international geachtete Menschenrechtsanwalt hat bereits 65 Gefangene verschiedener Nationalitäten aus dem berüchtigten Lager herausgeholt, darunter bis auf Shaker Aamer auch alle Häftlinge britischer Herkunft. Aktuell vertritt Stafford-Smith 15 der insgesamt 166 Häftlinge, deren Lage er auf BBC als »Alptraum« bezeichnete.
»Reprieve« will die Aufmerksamkeit laut Stafford-Smith vor allem auf die Zwangsernährung lenken, mit der die Führung der US-Armee den Hungerstreik brechen will. Dazu werden im Rotationsverfahren bis zu 40 der zeitweise über hundert streikenden Häftlinge einmal am Tag auf einen Stuhl geschnallt und ihnen über einen Schlauch, der durch die Nase in den Magen getrieben wird, ein Proteinbrei zugeführt. Schon im Juli hatte Stafford-Smith öffentlich gemacht, die Lagerleitung offiziell angekündigt habe, es den Hungerstreikern »etwas unbequemer« zu machen. Was nichts anderes bedeutete, als daß »es noch schmerzhafter« für die Gefangenen werde, so der Anwalt damals in einem BBC-Interview. Seitdem werde ein dickerer Schlauch benutzt, der bei jeder Zwangsernährung brutal hineingeschoben und herausgezerrt werde. Auf die Frage, wie lange die Kampagne fortgesetzt werde, antwortete Stafford-Smith, »bis wir Gerechtigkeit für diese Leute erlangt haben«. Dort gebe es »eine Menge vergessener Gefangener«. Die Öffentlichkeit scheine vergessen zu haben, daß »52 Prozent von ihnen sogenannte geklärte Fälle sind – einschließlich Shaker Aamer –, die trotzdem seit vielen Jahren nicht freigelassen werden«. Der Druck auf US-Präsident Barack Obama müsse erhöht werden, »endlich zu tun, was er vor über vier Jahren versprochen hat«.
Juan Mendez, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, beklagte am Montag in einem RT-Interview, er könne nur wiederholen, daß ihm die US-Regierung keinen Zugang zu dem Gefangenenlager einräume, wie er nötig sei, um ihm »eine eingehende Untersuchung der dortigen Vollzugspraktiken zu ermöglichen«. Dazu gehöre auch das ihm gesetzlich zustehende »Privileg, vertrauliche Gespräche mit Insassen führen zu können«. Selbst ein Offizieller des Pentagon, der jahrelang die Haftbedingungen in Guantánamo beaufsichtigt hatte, habe ihm bei dessen Rücktritt gesteckt, es sei »notwendig, die Einrichtung zu schließen«, so Mendez.
www.reprieve.org.uk
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. August 2013
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