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US-Militärtribunale sollen bleiben

"New York Times": Präsident Obama will offenbar doch keine Abkehr von Guantanamo-Justiz *

Entgegen der versprochenen Abkehr von der Antiterror-Politik der Bush-Regierung will US-Präsident Barack Obama die Häftlinge des Gefangenenlagers Guantanamo offenbar doch vor Militärtribunale stellen.

Washington/Berlin (Agenturen/ ND). Die »New York Times« berichtete am Wochenende ohne genaue Quellenangabe, die US-Regierung wolle möglicherweise schon ab dieser Woche die umstrittenen Militärtribunale wieder einsetzen, um die Guantanamo-Gefangenen abzuurteilen. Zuvor solle jedoch der Rechtsschutz der Verdächtigen verbessert werden. Dennoch dürften Menschenrechtsorganisationen und einige Obama-Anhänger mit heftiger Kritik auf die Entscheidung reagieren, schrieb das Blatt.

Die mit der Guantanamo-Frage befassten Regierungsberater sind dem Bericht zufolge besorgt, dass eine Überführung der Insassen vor ordentliche Gerichte mit erheblichen Hindernissen verbunden sein könnte. Da die Insassen in ihrer Haft oft brutal misshandelt worden seien, könne es für die Bundesgerichte schwer werden, sie zu verurteilen. Am vergangenen Donnerstag hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates bei einer Anhörung vor dem Kongress erklärt, die Militärtribunale seien »immer noch eine Option«.

Unter Obamas Amtsvorgänger George W. Bush hatte der US-Kongress 2006 für die Verfahren gegen Guantanamo-Insassen spezielle Militärtribunale geschaffen, bei denen die Rechte der Angeklagten im Vergleich zu US-Zivil- und Militärgerichten deutlich eingeschränkt sind. In einer seiner ersten Amtshandlungen hatte Obama die Guantanamo-Verfahren bis 20. Mai ausgesetzt, um den Prozess der Militärtribunale zu prüfen. Zugleich kündigte er die Schließung des Gefangenenlagers bis Januar 2010 an. Derzeit sitzen in Guantanamo noch etwa 240 Häftlinge ein, die Freilassung von 60 Insassen wurde bereits genehmigt.

Im politischen Gerangel um die Guantanamo-Häftlinge hat Washington der Bundesregierung eine Liste mit Namen von Gefangenen überreicht, für die Aufnahmeplätze in Europa gesucht werden. »Es liegt eine konkrete Anfrage vor«, bestätigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Wochenende in Berlin. Jeder Einzelfall müsse sorgfältig nach dem Aufenthaltsrecht geprüft werden. Dabei spielten nicht nur Sicherheitsaspekte eine Rolle. Wie lange dies dauern werde, konnte der Sprecher nicht sagen. Es sei auch Rücksprache mit den Länderregierungen nötig.

Auf der Liste stünden etwa 10 Namen der insgesamt rund 50 Insassen, die nach Schließung des US-Gefangenenlagers auf Kuba nicht in ihre Heimatländer zurück könnten und in den USA als ungefährlich gelten, berichtete das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«. Die Unterlagen habe der Beauftragte der US-Regierung für Guantanamo, Dan Fried, vergangene Woche in Berlin im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt übergeben. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bestätigte am Wochenende lediglich, dass es ein Gespräch mit Fried gegeben habe.

Laut »Bild« will die Bundesregierung nicht ohne Weiteres zehn uigurische Guantanamo-Häftlinge in Deutschland aufnehmen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zögere, auf die vorliegende konkrete Anfrage der US-Regierung einzugehen, berichtet die Zeitung in ihrer Montagsausgabe. Schäuble wolle zunächst prüfen, warum die als ungefährlich geltenden Uiguren nicht in den USA unterkommen könnten. Sollte sich aber herausstellen, dass die Häftlinge doch als gefährlich einzustufen seien, würde das deutsche Aufenthaltsrecht eine Aufnahme im Prinzip verbieten, berichtet die Zeitung weiter.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2009


Enttäuschend

Von Oliver Händler *

Wie schnell man seinen guten Ruf verlieren kann, testet derzeit USA-Präsident Barack Obama. Erst der verzögerte Abzug der Truppen aus Irak, dann die Ankündigung, CIA-Folterer nicht vor Gericht zu stellen, und nun will er nach Medieninformationen sogar an den umstrittenen Militärtribunalen festhalten, von denen Gefangene aus Guantanamo verurteilt werden sollen. Das ist zutiefst enttäuschend für viele seiner Anhänger, aber leider nicht untypisch für den Kompromisspolitiker Obama.

Die Tribunale hatte der Präsident persönlich ausgesetzt, da er rechtsstaatliche Defizite vermutete. Sicher nicht zu Unrecht. Nun will er sie fortsetzen, da die Administration befürchtet, wegen der vielen Misshandlungen während der Gefangenschaft könnten normale Gerichte die Angeklagten nur noch freisprechen. Genau dafür sind Gerichte aber auch da. Sie sollen die Machtfülle der Exekutive bremsen. Militärtribunale tun dies nicht, weil sie sich sonst mit den Verbrechen der eigenen Truppen beschäftigen müssten.

Es wäre leicht, der Folterpolitik seines Vorgänger die Schuld zu geben, doch Obama fürchtet das Medienecho auf die eventuelle Freilassung von Attentätern des 11. Septembers. Solch schwere Schritte hätten den USA wieder etwas von ihrem guten Ruf als Verfechter des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit zurückgeben können. Doch dieser Ruf ist längst verloren. Man muss befürchten, dass das bald auch für Barack Obama gilt. Wirklich schade.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2009 (Kommentar)


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