Kürzertreten auf hohem Niveau – Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen auf die US-Streitkräfte
Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Joachim Hagen (Moderation):
Auch beim US-Militär wird gespart. Da sich Präsident Obama und die Republikaner nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen konnten, müssen 700 000 Zivilangestellte der Armee ab dieser Woche einen Tag pro Woche zu Hause bleiben. Es ist ein unbezahlter Zwangsurlaub. Außerdem muss das Verteidigungsministerium im laufenden Haushaltsjahr 37 Milliarden Dollar einsparen. Und auch in Zukunft wird die US-Armee mit weniger Geld auskommen müssen als bisher. Obwohl die amerikanische Regierung das eigentlich verhindern wollte. Jerry Sommer über die Hintergründe.
Manuskript Jerry Sommer
Im US-Kongress wird gegenwärtig der Militärhaushalt für das nächste Finanzjahr verhandelt. Es beginnt am ersten Oktober 2013.
Nach den Plänen der Regierung sollen die Militärausgaben auf 632 Milliarden Dollar steigen. Das Repräsentantenhaus hat vor kurzem einem Haushalt für Rüstung zugestimmt, der in etwa diesen Vorstellungen entspricht. Sollte dieser Gesetz werden, würden die Rüstungsausgaben der USA damit um etwa 37 Milliarden Dollar höher sein als in diesem Haushaltsjahr. Denn im laufenden Jahr war der Verteidigungshaushalt wegen der von Kongress verordneten Sparmaßnahmen für alle Haushaltsposten nach dem Rasenmäherprinzip drastisch gekürzt worden. Nur die Löhne und Gehälter von Militärangehörigen sowie die Kriegsausgaben waren ausgenommen. Um die Sparvorgaben zu erfüllen, hat das Pentagon zivile Angestellte in Zwangsurlaub geschickt, die Zahl der Übungen und Übungsflüge verringert sowie geplante Neuanschaffungen gestreckt. Das war möglich, ohne die nationale Sicherheit der USA zu gefährden, meint Lawrence Korb. Er war unter Ronald Reagan stellvertretender US-Verteidigungsminister und gehört heute dem Washingtoner Think Tank „Center for American Progress“ an:
O-Ton Lawrence Korb:
„Selbst wenn man die Inflation berücksichtigt, hatten wir damit einen Haushalt der immer noch höher lag als der von 2001. Und wir hatten danach 13 Jahre lang hintereinander Erhöhungen des Verteidigungshaushaltes. Das gab es noch nie in unserer Geschichte“.
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die US-Rüstungsausgaben 2014 wieder nach oben schnellen. Denn bei den Haushaltsverhandlungen werden sich Repräsentantenhaus und Senat voraussichtlich nicht auf alternative Sparmaßnahmen einigen. Deshalb wird wohl erneut die sogenannte „Sequestration“ greifen, eine Zwangskürzung vieler Ausgaben, die der Kongress 2011 beschlossen hatte. Das betrifft auch die Rüstungsausgaben.
Bisher tun jedoch sowohl das Pentagon als auch der Kongress so, als wenn es diese Zwangskürzungen nicht gäbe. Man verstecke sich aus durchsichtigen Gründen davor, harte Sparentscheidungen zu treffen, meint Todd Harrison vom Washingtoner „Zentrum für strategische Budget-Analysen“:
O-Ton Todd Harrison:
„So können alle behaupten, sie würden die Rüstung nicht kürzen, die nationale Sicherheit nicht opfern – aber gleichzeitig werden die Ausgaben zusammengestrichen. Doch niemand wird sich blutige Hände holen, indem er auswählt, was gekürzt und was nicht gekürzt werden soll.“
Nach einer Rangliste des Stockholmer Friedenforschungsinstituts SIPRI geben die USA allein so viel für Rüstung aus wie alle 12 nachfolgenden Staaten zusammen. Über vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes der USA fließen in die Rüstung, im Weltdurchschnitt sind es nur halb so viel. Die USA sind damit all ihren potenziellen Gegner gegenüber militärisch haushoch überlegen. Kürzungen sind da durchaus möglich - und nach dem Ende des Irak-Krieges und dem geplanten Abzug aus Afghanistan auch machbar. Verteidigungsminister Chuck Hagel bereitet schon einen alternativen Haushalt für die Jahre 2015 und 2016 vor. Allerdings wird er wohl auch um eine Kürzung des Haushaltes für 2014 nicht herumkommen. Todd Harrison hält es jedoch für besser, wenn nicht nach dem Rasenmäherprinzip gekürzt wird, sondern das Pentagon selbst Kürzungen in dem von der Sequestration geforderten Umfang vornimmt:
O-Ton Todd Harrison:
„Man kann klug um 10 Prozent zu kürzen. Aber das wird ebenfalls schmerzhaft sein und manche Leute unglücklich machen“.
Den Widerstand gegen Rüstungskürzungen zu überwinden, sei nicht einfach, vermutet Lawrence Korb:
O-Ton Lawrence Korb:
„Da ist zum einen das, was Eisenhower den militärisch-industriellen Komplex genannt hat, weil Rüstung in bestimmten Orten auch Jobs schafft. Und zum anderen ist es schwierig, weil viele Politiker Angst haben, als Tauben zu gelten.“
Nach Meinung des ehemaligen Verteidigungsministers erlaube die allgemeine Sicherheitslage den USA weit drastischere Einschnitte bei den Rüstungsausgaben. Lawrence Korb:
O-Ton Lawrence Korb:
„Welche Gefahren man heute auch nimmt, sie sind nicht so groß wie es die existenzielle Bedrohung durch die Sowjetunion war, die eine massive Militärmaschinerie besaß“.
Die hohen Rüstungsausgaben werden mit der Terrorgefahr, der Weiterverbreitung von Atomwaffen durch Nordkorea und Iran oder mit drohenden Cyberkriegen begründet. Doch solche Szenarien erfordern nur einen kleinen Teil des Pentagon-Budgets, meint der Militärexperte des Washingtoner „Cato“-Institutes Benjamin Friedman:
O-Ton Benjamin Friedman:
„Der größte Teil ist auf Kriege gegen große Länder wie China oder Russland gerichtet. Das sind aber äußerst unwahrscheinliche Kriege“.
Die US-Regierung plant, die Zahl der Militärangehörigen um 100 000 auf 1,3 Millionen zu reduzieren. Wenn man berücksichtigt, dass die USA nach den negativen Erfahrungen von Irak und Afghanistan auch nicht mehr vor haben, mit großen Landarmeen in Länder des Nahen und Mittleren Ostens einzumarschieren, dann ist es möglich, die Zahl der Militärangehörigen um weitere 200 000 zu verringern. Auch könnten US-Militärs aus dem Ausland zurückgezogen werden. Über 130 000 sind dort stationiert - zusätzlich zu den rund 65 000, die in Afghanistan kämpfen. Und auch bei den Atomwaffen könne man sparen, wenn man die strategischen Atomwaffen auf 1000 Sprengköpfe reduziert, wie es jüngst Präsident Obama vorgeschlagen hat. Lawrence Korb:
O-Ton Lawrence Korb:
„Dann kann man Geld sparen, indem man nicht wie geplant 12 neue Atomwaffen-U-Boote, sondern nur acht baut. Jedes kostet sieben bis 10 Milliarden Dollar. Man kann auch weniger Bomber kaufen und weniger Geld für die Modernisierung der Nuklearwaffen ausgeben, wenn man auf 1000 Sprengköpfe reduziert.“
Kritiker der bisherigen US-Rüstungspolitik halten auch einen grundsätzlichen Richtungswechsel für sinnvoll. Zum Beispiel Carl Conetta, der Direktor des Washingtoner „Projekts für eine alternative Verteidigung“:
O-Ton Carl Conetta:
„Wir sollten versuchen, so wie andere Staaten, nicht mehr als 2.2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung auszugeben. Wir müssen zurück zum Ziel ‚Verteidigung’ und nicht weiter die Ziele verfolgen, nach unserem Gusto die ganze Welt zu formen oder andere Staaten umzukrempeln.“
Solch ein radikaler Kurswechsel in der US-Militärstrategie ist gegenwärtig nicht wahrscheinlich. Einschneidende Korrekturen am Rüstungsbudget halten allerdings fast alle Sicherheitsexperten für notwendig. Nicht alle würden sich auf die Militärstrategien auswirken, sagt Todd Harrison vom „Zentrum für strategische Budget-Analysen“:
O-Ton Todd Harrison:
„Zum Beispiel können die Entschädigungen für Soldaten und die Zahl der zivilen Bediensteten des Militärs reduziert werden. Das wirkt sich nicht auf die militärischen Fähigkeiten aus, sondern trifft nur überflüssige oder fehlgelenkte Ausgaben.“
Auch sollte sich das Pentagon jetzt daran machen, Militäranlagen in den USA zu schließen, selbst wenn dies anfangs Geld kostet. Harrison:
O-Ton Todd Harrison:
„Wir müssen jetzt in den sauren Apfel beißen und überflüssige Standorte dicht machen, um so später Einsparungen zu erzielen und die Verschwendung beenden zu können.“
Über Standortschließungen will das Pentagon eigentlich erst ab 2015 diskutieren. Doch entsprechend dem Spargesetz des Kongresses wird es im Haushaltsjahr 2014 rund 50 Milliarden Dollar weniger zur Verfügung haben. Deshalb könnte es sein, dass schon eher Standorte geschlossen, weiteres Militärpersonal abgebaut und neue Rüstungsprojekte gestreckt oder gestrichen werden. Eins ist jedoch sicher: Die USA werden auch mit Rüstungsausgaben von rund 580 Milliarden Dollar allen möglichen und vermeintlichen Gegnern weiterhin deutlich überlegen sein.
* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 13. Juli 2013; www.ndr.de/info
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