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Obamas Kampfetat

Aufregung in Washington über »Wahlkampftrick« des Präsidenten. Dessen Haushaltsentwurf ist zwar unrealistisch, bringt aber die Gegner in die Bredouille

Von Rainer Rupp *

Der US-Präsident hat Anfang der Woche Zahlen vorgelegt – gemeint ist der Etatentwurf für 2013 und der dazugehörige Haushaltsplan bis zum Jahr 2021. Ein »Wahlkampftrick«, schäumten Vertreter der oppositionellen Republikaner. Barack Obama versuche, dringend notwendige Ausgabenkürzungen zur Reduzierung der ausufernden Haushaltsdefizite auf die Zeit nach den Wahlen zu verschieben, schimpfte der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Repräsentantenhaus, Paul ­Ryan. Der Präsident bediene sich eines Tricks, um das vorgegebene Ziel einer Reduzierung zukünftiger Schulden um vier Billionen (4000 Milliarden) Dollar über die nächsten acht Jahre zu erreichen. Tatsächlich aber entstünden bis 2021 knapp 18 Billionen Dollar an zusätzlichen Verbindlichkeiten, kritisierten führende Vertreter der republikanischen Parteigänger.

Tatsächlich weist der Etatentwurf des Präsidenten mit Ausgaben in Höhe von 3,8 Billionen Dollar ein weiteres Defizit von 1,3 Billionen Dollar aus. Da die Budgetplanung auf rosigen Annahmen über das künftige Wirtschaftswachstum basiert – diese werden durch die derzeit sinkende globale Nachfrage in Frage gestellt – dürfte das tatsächliche Minus noch höher ausfallen. Die Republikaner bestehen darauf, daß ohne massive Einschnitte in das Sozialsystem (hauptsächlich die Pensionsansprüche und die medizinischen Versorgungskassen Medicare und Medicaid) eine Sanierung des strukturellen US-Defizits nicht möglich sei. Steuererhöhungen lehnen sie kategorisch ab. Zugleich verweisen sie darauf, daß jetzt die Jahre kommen, in denen 79 Millionen Menschen der sogenannten Babyboomer-Generation in Rente gehen. Dies werde den Druck auf die Pensions- und medizinischen Versorgungskassen explosionsartig in die Höhe treiben und die derzeitigen Haushaltsprobleme wie ein Kinderspiel aussehen lassen.

Diese Versorgungsansprüche sind jedoch weitgehend durch die Verfassung geschützt. Deren Änderung erscheint wegen des ideologisch polarisierten US-Parlaments auf absehbare Zeit unmöglich. Im Kongreß fechten auf republikanischer Seite neoliberale Marktradikale, angefeuert von der Tea-Party-Bewegung, erbittert gegen sozialdemokratische Liberale der Demokratischen Partei, die mit Blick auf soziale Protesbewegungen wie »Occupy Wall Street« um ihre Wiederwahl fürchten müssen. Denn im Herbst wird nicht nur ein neuer Präsident gewählt, sondern auch das Repräsentantenhaus (Unterhaus des Kongresses) wird komplett, der Senat (Oberhaus) zu einem Drittel neu gewählt. Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner seit den Wahlen vor zwei Jahren nach der ersten Welle der Enttäuschung über Obamas Regentschaft eine komfortable Mehrheit. Im Senat hatten sich die Demokraten knapp behaupten können.

Deshalb ist der Haushaltsentwurf hauptsächlich ein Wahlkampfpamphlet. Es deutet an, in welche politische Richtung der Präsident das Land zu steuern gedenkt. Letztlich jedoch wird der republikanisch dominierte Kongreß zu entscheiden haben, was daraus wird. Indem Obama Themen aus der Occupy-Bewegung (Besteuerung der Reichen) übernommen und sich für den Erhalt des sozialen Netzes ausgesprochen hat, dazu noch staatliche Förderungsmaßnahmen für mehr Jobs verspricht, hat er seine Gegner in die Bredouille gebracht. Die fordern zumeist das Gegenteil – was in der zunehmend verarmenden und verunsicherten US-Mittelschicht keine Punkte bringt. Auf diese Zielgruppe hat es auch Mitt Romney, einer von zwei verbliebenen aussichtsreichen Spitzenkandidaten der Republikaner abgesehen. Auch die ultrakonservative Tea-Party-Bewegung rekrutiert sich hauptsächlich aus dieser Schicht.

»Ich sorge mich nicht um die ganz Armen«, so Romney. »Dort haben wir ein Sicherheitsnetz. Wenn es repariert werden muß, dann werde ich es flicken. Ich sorge mich auch nicht um die sehr Reichen, denen geht es gut. Meine Sorge aber gilt dem Kern von Amerika«, erklärte der Multimillionär jüngst im US-Nachrichtensender CNN.

Obama hielt dagegen und versprach bei der Präsentation des Etatentwurfes »in einer wiederhergestellten Wirtschaft dafür zu sorgen, daß jeder eine faire Chance bekommt, jeder nach den gleichen Spielregeln seinen fairen Anteil zu tragen hat, egal ob er ein Wall-Street-Banker oder ein normale Bürger ist«.

Damit scheint er mit dem Haushaltsentwurf 2013 den besseren Ton gefunden zu haben. Für die bedrängte Mittelschicht spielt da keine Rolle, ob das Haushaltsdefizit für 2013 weiterhin bei etwa acht Prozent des US-BIP liegt und ob Obamas Budgetplan bis 2021 in vielen Teilen einfach unrealistisch ist. Im Gegensatz zu den Republikanern will der amtierende Präsident das sozia­le Sicherungsnetz weitgehend intakt halten. Nur die gesetzlich nicht vorgeschriebenen und alljährlich neu zu verhandelnden Ausgaben sollen bis 2021 um 50 Prozent gekürzt werden, von derzeit 3,1 auf 1,7 Prozent des BIP. Eine Ausnahme bilden die Gelder für Aufrüstung nach innen und außen. Aber auch dort wird der Rotstift angesetzt werden. So soll das Pentagon im nächsten Jahr nur über ein Budget von 614 Milliarden Dollar (im Vergleich zu 646 Milliarden 2012) verfügen und bis 2023 insgesamt 500 Milliarden Dollar weniger bekommen als bisher geplant.

Zugleich besänftigt Obama die Superreichen. Mit seiner neuen Einkommenssteuer von 30 Prozent für alle mit einem Jahreseinkommen von über einer Million kommen sie besser weg, als wenn die von George W. Bush eingeführte, »vorübergehende Steuererleichterung« nicht verlängert würde. Auch nimmt Obama das Finanzkapital vor den Forderungen der Occupy-Bewegung nach einer Steuer auf sämtliche Finanztransaktionen in Schutz. Das eine Prozent der superreichen US-Bürger kommt bei Obama auch diesmal wieder weitgehend ungeschoren davon, während die Mittelschicht zumindest 2013 mit einigen Erleichterungen rechnen kann. Eine wachsende Zahl der Armen dagegen muß die Hauptlast der Sparmaßnahmen tragen.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2012


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