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Guantánamo-Urteil: Höchstrichterlicher Bannstrahl trifft Obersten Feldherrn

Der Kampf gegen das Böse kann die Gewaltenteilung noch nicht aus den Angeln heben

Von Konrad Ege*

Die virtuelle Machtübergabe im Irak scheint gelungen, wenn auch nur hinter verschlossenen Türen. Saddam Hussein stand erstmals vor dem Richter. In der NATO wird über die "Ausbildung irakischer Streitkräfte" gesprochen. Jordaniens König Abdullah sagte der BBC, er würde schlecht nein sagen können, sollte ihn die irakische Regierung um Soldaten bitten. Insgesamt keine schlechten Nachrichten für den amerikanischen Präsidenten, vor allem, da in den USA meist so berichtet wird, als habe eine reale Machtübergabe stattgefunden. Vielleicht kann Bush die "Affäre Irak" doch noch schaukeln bis zu den Wahlen im November und so tun, als habe er "gewonnen": Man hofft in Washington, die Aufständischen und die Unzufriedenen im Irak werden nun ihren Unmut gegen Iyad Allawi richten, den freilich nur dank der mehr als 100.000 US-Soldaten im Land "regierenden" Interims-Premierminister in Bagdad.

Man hofft. Aber gleichzeitig mehren sich Anzeichen, dass Bushs wohlgeölter politischer Maschine die Kontrolle entgleitet. Der angeblich aus logistischen Gründen vorverlegte Abflug von US-Statthalter Paul Bremer erinnerte doch etwas an den überstürzten Abzug der Amerikaner aus ihrer Botschaft im südvietnamesischen Saigon Ende April 1975. Und auch der Häftling Nummer Eins schafft Probleme: Der junge irakische Untersuchungsrichter schien dem früheren Herrscher über Leben und Tod nicht gewachsen zu sein. US-Militärs orchestrierten die "Fernsehübertragung" der ersten Anhörung, so dass sie fast ohne Ton über den Sender ging. Human Rights Watch hatte schon vor Monaten Besorgnis angemeldet: Der Irak habe "noch nie Gerichtsverhandlungen geführt, die länger als drei Tage dauerten", sagte Kenneth Roth, der Direktor des Menschenrechtsverbandes; "um ein faires und effektives Verfahren bei Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu gewährleisten, muss eine internationale Expertise zugelassen werden". Das will die US-Regierung aber anscheinend nicht - und ihre irakischen Helfer bisher ebenso wenig.

Mit Juristen stehen Bush & Co. ohnehin auf Kriegsfuß, ob sie nun "Folter" neu definieren oder sich von den Genfer Konventionen verabschieden. Nicht einmal auf amerikanische Richter ist mehr "Verlass". Der ideologisch-jurististische Überbau des "Krieges gegen den Terrorismus" - dass der US-Präsident als Oberkommandierender fast totale Macht habe - wurde gerade von dem nicht eben als liberal bekannten Obersten Gerichtshof in Frage gestellt: Die innerhalb des US-Stützpunktes Guantánamo auf Kuba inhaftierten mutmaßlichen Terroristen hätten das Recht, vor US-Gerichten gegen ihre Deportation vorzugehen, urteilten die Richter und sprachen sich eindeutig gegen die Auffassung von George Bush aus, die "feindlichen Kämpfer" könnten ohne Gerichtsverfahren und ohne Zugang zu Anwälten endlos eingekerkert bleiben. Die Häftlinge bekommen nun Anwälte, und es dürfte sich zeigen, dass so manche überhaupt nichts mit dem Terrorismus zu tun hatten. Mehrere schon vor dem Urteil freigelassene Gefangene berichteten über Misshandlungen. In Guantánamo werden angeblich Videos von Verhören aufbewahrt....

Und Michael Moores Film Fahrenheit 9/11 mit seinen scharfen Attacken auf den Feldherrn im Terrorismuskrieg stellt neue Zuschauerrekorde auf für Dokumentarfilme. Nach anfänglichen persönlichen Angriffen auf Moore scheinen die meisten Republikaner beschlossen zu haben, den Film als typischen linken Müll aus Hollywood mit Schweigen zu "strafen". Die Anti-Hollywood-Strategie zieht gewöhnlich im konservativen Amerika, etwa wenn die Rundfunkaufsichtsbehörde FCC eine saftige Geldstrafe gegen den Sender CBS verhängte, weil dieser bei der Halbzeitshow des Superbowl im Januar Janet Jacksons linken Busen gezeigt hatte, oder wenn der Senat mit nur einer Gegenstimmer ein "Gesetz zur Verteidigung der Züchtigkeit" im Rundfunk verabschiedet. Ausgerechnet an dem Tag freilich, an dem Vizepräsident Richard Cheney einen demokratischen Senatoren aufforderte, einen anatomisch unmöglichen Geschlechtsakt zu vollbringen. Dem Vize waren anscheinend die Nerven durchgegangen.

Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der US-Amerikaner den Irak-Krieg inzwischen für "falsch" hält. Das muss der Republikanischen Partei große Sorgen machen, fußt Bushs Wahlkampagne doch auf seinem "Erfolg" im Krieg gegen den Terror. Die Partei setzt alle Hebel in Bewegung, um die eigenen Leute bei der Stange zu halten. Vergangene Woche wurde ein republikanisches Strategiepapier bekannt, in und mit Hilfe konservativer Kirchen Wahlkampf zu machen. Der Plan fordert konservative Kirchgänger auf, der George W. Bush-Wahlkampagne Listen von Gemeindemitgliedern zu schicken und republikanische Kirchenmitglieder zum Urnengang zu mobilisieren. Das ist klar gesetzwidrig - Kirchen und gemeinnützige Verbände dürfen sich nicht für Kandidaten engagieren - und geht selbst manchen Anhängern des Präsidenten zu weit. Ein führender Vertreter des als konservativ bekannten "Südlichen Baptistenverbandes" empörte sich. Das Weiterleiten von Mitgliederlisten würde das "Vertrauen" der Gemeindemitglieder zueinander "brechen".

Auch die Abteilung "dirty tricks" (schmutzige Tricks) ist möglicherweise wieder tätig. Wohl niemand freut sich so über die Kandidatur des Konsumentenaktivisten Ralph Nader wie die Republikaner, könnte Nader doch dem Demokraten John Kerry Stimmen wegnehmen. Wie die Tageszeitung Dallas Morning Herald ermittelte, kommen rund zehn Prozent von Naders Wahlspenden, die über 250 Dollar liegen, von Bürgern, die gewöhnlich als zahlungskräftige Spender der Republikaner in Erscheinung treten.

* Aus: Freitag 29, 9. Juli 2004


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