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"In die Mauer des Schweigens ein Loch brechen"

Zum Fall der "Cuban Five" ist ein international besetztes Tribunal in London geplant. Ein Gespräch mit Jan Fermon *


Jan Fermon ist Rechtsanwalt in Belgien und stellvertretender Generalsekretär der International Association of Democratic Lawyers (IADL, Internationale Vereinigung demokratischer Anwälte).


Auf dem 16. Europatreffen der Kuba-Solidaritätsgruppen im November in Berlin haben Sie Ihre Bereitschaft erklärt, bei der Organisation einer europäi­schen Anhörung zum Fall der »Cuban Five« mitzuwirken. Was wurde dort vereinbart?

Vor mehr als 14 Jahren wurden in den USA fünf Kubaner zu teilweise lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt – ihr schwerstes Vergehen war, ihre Landsleute vor terroristischen Anschlägen geschützt zu haben. In Lateinamerika, in Rußland, in China, in Palästina und im Nahen Osten ist der Fall dieser »Cuban Five« weithin bekannt – in den USA und auch in Europa hingegen werden das unfaire Verfahren und die ständige Verletzung der Menschenrechte der fünf von den Medien totgeschwiegen. Deshalb wollen wir mit einer europäischen Anhörung versuchen, ein kleines Loch in diese Mauer des Schweigens zu brechen.

Wie könnte eine solche Anhörung aussehen?

Ziel ist die Verstärkung des politischen Drucks für die Freilassung der »Cuban Five«. Wir planen eine Untersuchung und Dokumentation der Fehler und Rechtsverstöße, die Ermittlungsbehörden und Justiz der USA begangen haben. Als ersten Schritt müssen wir die Informationen aufbereiten. Danach folgt die eigentliche Sitzung, in der Zeugen, Verteidiger, Ankläger und Menschenrechtsexperten angehört werden. Ein Vorbild sind die aus der Zeit des Vietnamkrieges bekannten Russell-Tribunale, die international große Beachtung fanden.

Für das Podium versuchen wir möglichst weltweit angesehene Persönlichkeiten zu gewinnen – Menschen, die eine hohe fachliche und moralische Autorität besitzen. Im Kern werden das Anwälte, Richter und Rechtswissenschaftler sein. Darüber hinaus aber auch Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler, Gewerkschafter, Politiker und Aktivisten von Bürgerbewegungen. Die Auseinandersetzung um die Freilassung der »Cuban Five« muß sowohl politisch als auch juristisch geführt werden.

Gibt es noch eine rechtliche Möglichkeiten, die fünf freizubekommen?

Es gibt größere Chancen, den Fall neu aufzurollen, seitdem bekannt wurde, daß Journalisten in nennenswertem Unfang bezahlt – man könnte auch sagen bestochen – wurden, um tendenziös über die Aktivitäten der fünf Kubaner zu berichten. Dadurch sind sowohl die öffentliche Meinung als auch die Richter beeinflußt worden.

Wie könnte sich die geplante Anhörung auf eine Neuaufnahme der Verfahren auswirken?

Dafür ist politischer Druck nötig, der über die Mobilisierung der öffentlichen Meinung aufgebaut werden kann. Zur Zeit wird die Stimmung in Europa und den USA noch durch eine Medienblockade und Desinformationen beeinflußt. Wenn wir dieses Schweigen durchbrechen, verbessern sich die Chancen. Eine andere Möglichkeit, die fünf Kubaner freizubekommen, wäre eine Begnadigung durch Präsident Barack Obama.

Und welche Chancen sehen Sie für eine positive Lösung?

Die politische Situation hat sich meiner Ansicht nach verbessert. Obama hat in Florida mit den Stimmen der Lateinamerikaner gewonnen und ist nicht mehr so stark von den radikalen und teilweise terroristischen Gruppierungen der Exilkubaner abhängig, die bisher die politische Stimmung in Miami geprägt haben.

Außerdem wird er sich nicht noch einmal zur Wahl stellen und könnte deshalb in den nächsten Jahren tatsächlich einige Schandflecken entfernen. Neben Guantánamo, den geheimen Foltergefängnissen und der Blockade gegen Kuba gehören die »Cuban Five« zu den Problemen, die das Ansehen der USA am meisten beschädigen.

Wann und wo soll die Anhörung stattfinden?

Ich halte Anfang 2014 für realistisch, wenn es uns bis dahin gelingt, die finanziellen und logistischen Fragen zu klären und eine ausreichend prominente Besetzung zu organisieren. Als Ort haben wir aus verschiedenen Gründen London favorisiert. Dort gibt es eine sehr aktive Solidaritätsbewegung für die »Cuban Five«, und die Bewegung der demokratischen Juristen ist dort stark und angesehen. Außerdem brauchen wir einen Ort in Europa, der in den USA wahrgenommen wird, denn die endgültige Entscheidung wird dort getroffen.

Interview: Volker Hermsdorf

* Aus: junge Welt, Montag, 26. November 2012


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