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Versiegende Lebensader

Colorado River: Exzessive Wasserentnahme, marode Infrastruktur und Klimawandel bedrohen das wichtigste Flußsystem im Südwesten der USA

Von Tomasz Konicz *

Im Südwesten der USA droht womöglich eine Umweltkatastrophe gewaltigen Ausmaßes – die allmähliche Austrocknung des Colorado River. Immer mehr besorgte Stimmen warnen vor dem mittelfristigen Kollaps dieses Flußsystems – samt der darauf basierenden regionalen Wirtschaftsstruktur. Kürzlich erklärte die Nichtregierungsorganisation (NGO) American Rivers den Colorado zu dem am stärksten gefährdeten Fluß der USA. Die »Lebensader in der Wüste« befinde sich aufgrund exzessiver Wasserentnahme buchstäblich am Versiegen, warnte sie.

Der 2300 Kilometer lange Strom hat mit seinen Nebenflüssen ein Einzugsgebiet von mehr als 700000 Quadratkilometern (was mehr als der Fläche Deutschlands und Polens zusammen entspricht). Von seinem Quellgebiet auf der Westseite der Rocky-Mountains-Wasserscheide bis zur Mündung durchquert er die US-Bundesstaaten Colorado und Utah, bildet den Grenzfluß zwischen Arizona und Nevada bzw. Kalifornien, ehe er auf mexikanischem Gebiet in den Golf von Kalifornien mündet. Er ist unverzichtbare Wasserressource für rund 40 Millionen US-Bürger und zugleich auch Basis bedeutender wirtschaftlicher Aktivitäten. Kaum ein Strom wird ökonomisch intensiver genutzt.

Vom Colorado leben wichtige Teile der kalifornischen Agrarindustrie. Er ermöglicht die Versorgung großer Gebiete des Südwestens der USA mit Trinkwasser und Elektrizität. Die Bewässerung von rund 1,6 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche steht und fällt mit dem Flußsystem, Böden, auf denen fast 15 Prozent der gesamten Nutzpflanzenproduktion der Vereinigten Staaten realisiert werden können, vor allem der Anbau von Obst und Gemüse.

Mit Hilfe von mehr als 20 Anlagen werden der Strom und seine Nebenflüsse aufgestaut. Riesige Reservoirs wie die des Lake Powell oder des ­Lake Mead entstanden auf diese Weise. Gigantische Leitungssysteme speisen das Wasser von dort in die Landwirtschaft und versorgen die Bevölkerung in mitunter weit abgelegenen Regionen. Im Rahmen des Colorado-Big-Thompson-Projekts werden beispielsweise Teilmengen des Flusses über die kontinentale Wasserscheide der USA bis zur dichter besiedelten Ostseite der Rocky Mountains befördert. Das südkalifornische Imperial Valley wiederum, eine der produktivsten Agrarregionen in den USA, wird durch ein Kanalsystem gänzlich durch den Colorado versorgt. Großstädte wie Los Angeles, Denver, San Diego, Phoenix oder Las Vegas beziehen ihr Trinkwasser zum großen Teil oder ganz aus dieser Lebensader.

Inzwischen erreicht der Fluß laut American Rivers sein Mündungsgebiet meist nicht mehr. Nach einem von Mißmanagement und »verschwenderischem Wasserverbrauch« geprägten Jahrhundert befinde sich der Colorado »am Scheideweg«, so die NGO. Es gebe bereits jetzt nicht genügend Wasser, um die Nachfrage in der Region zu decken.

Auch lokale Politiker alarmieren die Öffentlichkeit. Ende April veranstalteten sie eine Pressekonferenz am Hoover Dam (Staumauer), einem der Wahrzeichen US-amerikanischer Industrialisierung der 30er Jahre, um den angereisten Journalisten eine gut 30 Meter hohe Schicht von Mineralablagerungen an dem dahinter liegenden Lake Mead zu zeigen. Diese markiert die Wasserverluste, die der nur noch zur Hälfte gefüllte Stausee wegen Dürre und übermäßiger Wasserentnahme erlitten hat.

Eine düstere Prognose stellte der Region auch das U.S. Bureau of Reclamation (Büro für Landgewinnung) aus. Die Behörde prognostiziert für 2060 eine gigantische Versorgungslücke von drei Milliarden Kubikmeter Wasser – dies entspricht dem Fünffachen des jährlichen Wasserverbrauchs im Großraum Los Angeles. Erste »kritische Ungleichgewichte« in der Versorgung des Südwestens könne es angesichts der anhaltenden Trends schon ab 2025 geben, hieß es in dem Report. Neben der – für die kapitalistische Wirtschaftsweise charakteristischen – Tendenz zur Steigerung des Ressourcenverbrauchs auch beim Wasser, nennt der Bericht auch den einsetzenden Klimawandel als einen zentralen Faktor, der die latente Wasserkrise in der Region eskalieren lassen dürfte. Vorhergesagt wird eine Zunahme der Dürren und Hitzeperioden, damit einhergehend eine stärkere Wasserverdunstung sowie abnehmende Regenfälle und Schneeniederschläge in den Rocky Mountains. Aus diesen Gründen könnte das Flußsystem unterschiedlichen Prognosen zufolge 2050 zwischen zehn und 30 Prozent weniger Wasser führen als zur Zeit.

Das gegenwärtige Wasserregime und die vorhandene Infrastruktur sind außerstande, diesen gravierenden Veränderungen adäquat zu begegnen. Der Vergabeschlüssel an alle Anrainer-Bundesstaaten des Stromes wurde in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts anhand fixer Quoten festgelegt. Diese gingen von einem jährlichen Durchfluß von 21 Milliarden Kubikmeter aus – wobei damals der Verbrauch noch weit unterhalb der festgelegten Grenzwerte lag. Inzwischen haben etliche wissenschaftliche Studien nachgewiesen, daß der Wasserverbrauch in einer Wetterperiode besonders ergiebiger Niederschläge festgelegt wurde und der gegenwärtige, tatsächliche Durchfluß des Colorado bei rund 18 Milliarden Kubikmeter liegt. Da schon lange die Entnahme am vertraglichen Limit erfolgt, findet bereits seit der Jahrtausendwende eine permanente Überbeanspruchung des Colorado statt.

Diese Fakten erhöhten angesichts der kommenden zusätzlichen Versorgungsengpässe das »Potential für neue Streitereien« in der Region, konstatierte der private Nachrichtendienst Stratfor in einer Analyse. Jede Neuverhandlung der Wasservergabe werde »mit Konflikten behaftet« sein, doch bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, daß sie »in den Vereinigten Staaten eingedämmt« werden könnten, hofft Stratfor.

* Aus: junge welt, Freitag, 24. Mai 2013


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