Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Freibrief für CIA

USA: Keine Ermittlungen zu Gefangenenfolter. Führende Demokraten befürworteten illegale Verhörmethoden

Von Alexander Bahar *

In der ersten Januarwoche hat die CIA einen Brief der demokratischen Kongreßabgeordneten Jane Harman (Kalifornien) vom Februar 2003 freigegeben. Der an den Chefjustitiar der CIA, Scott Muller, adressierte Brief bezieht sich auf die geplante Vernichtung von Videobändern, auf denen die Verhöre und Folterungen von Terrorverdächtigen dokumentiert waren. Wie berichtet, zerstörte die CIA im November 2005 Videomaterial von mehreren hundert Stunden mit den Verhören der Terrorverdächtigen (Zayn Al-Abidin Muhammed Hussein) Abu Zubayda und Abd Al-Rahim Al-Nashiri.

Während Harman, die 2003 dem Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhauses angehörte, behauptet, der Brief mache »meine Betroffenheit über die mögliche Vernichtung der Bänder klar«, belegt er tatsächlich jedoch nur, daß die Demokratische Partei sehr wohl über das geheime Folterprogramm der CIA unterrichtet war und dieses unterstützt hat.

Geheuchelte Betroffenheit

Obwohl führende Demokraten von den Plänen wußten, Beweise für derartige Verhöre zu vernichten, machten sie keine ernsthaften Versuche, diese zu stoppen oder die Öffentlichkeit von diesen Absichten zu unterrichten. Harmans »Betroffenheit« diente der CIA vielmehr als Indiz dafür, daß die Demokraten die Entscheidung zur Vernichtung der Bänder nicht torpedieren und den Geheimdienst gegebenenfalls auch nicht dafür zur Rechenschaft ziehen würden.

Beachtung verdient insbesondere die Passage in Harmans Brief, die sich mit der Verhörpraxis der CIA auseinandersetzt. Die demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses läßt keine Zweifel daran, daß sie das Programm der »verbesserten Verhörtechniken« unterstützte, das die notorische Anwendung von »Waterboarding« einschließt. Mit ihrem Brief gab Harman gleichsam grünes Licht für die Fortsetzung des Programms, das weitere Jahre vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wurde.

Harman bestand auch nicht etwa darauf, daß die Bänder aufbewahrt werden müssen, weil sie illegale Handlungen dokumentieren und damit mögliche Beweise für ein Verbrechen darstellen. Sie erhob auch keine Einwände gegen die Einschätzung der Bush-Administration, daß die Zerstörung der Aufnahmen legal sei. Sie meinte lediglich: »Das Videoband wäre der beste Beweis dafür, daß die schriftliche Wiedergabe akkurat ist, falls diese in der Zukunft einmal in Frage gestellt werden sollte.« Und schloß: »Die Tatsache seiner Zerstörung würde ein schlechtes Licht auf die Agentur werfen«. Harmans ganze Sorge galt also nicht der Vernichtung von möglichem Beweismaterial für ein Verbrechen, sondern ausschließlich der Außendarstellung der CIA.

In ihrem Schreiben geht Harman auf ein CIA-Briefing für einige führende demokratische und republikanische Kongreßabgeordnete ein, das in der Woche zuvor stattgefunden hatte. Sie schreibt, die Besprechung »machte mich mit den verschiedenen Herausforderungen vertraut, mit denen die Central Intelligence Agency in der gegenwärtigen Gefahrensituation konfrontiert ist. Ich sehe ein, daß wir uns in einer Zeit befinden, in der die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit ständig neu bewertet und kalibriert werden muß, um unsere Nation und ihre Bevölkerung vor katastrophalen terroristischen Anschlägen zu schützen …«.

Einem Artikel der Washington Post vom Dezember 2007 zufolge wurden im Jahr 2002 vier führende Kongreßabgeordnete, einschließlich der amtierenden Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi (Demokraten), »auf eine virtuelle Tour durch die Gefangenenlager der CIA in Übersee« mitgenommen. Dabei wurden sie mit den »harschen Verhörtechniken« vertraut gemacht, »die entwickelt wurden, um die Gefangenen zum Sprechen zu bringen«.

Inzwischen hat US-Justizminister Michael Mukasey angekündigt, das Justizministerium werde ein Ermittlungsverfahren im Falle der von der CIA vernichteten Videobänder einleiten. Justizminister Mukasey sagte, die Ermittlungen seines Ministeriums seien notwendig, um zu klären, ob hier ein Verbrechen begangen wurde oder nicht. Allerdings betonte er zugleich: »Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bedeutet nicht unbedingt, daß auch eine Anklage folgen wird«.

Mit der Ankündigung, förmliche Ermittlungen einzuleiten, ist das Justizministerium der Forderung verschiedener Demokraten entgegengetreten, einen unabhängigen Ankläger zu ernennen, der außerhalb der Autorität der Regierung operiert. So wird sich die Untersuchung des Justizministeriums nicht mit der Frage nach der Legalität der von der CIA angewendeten Verhörmethoden beschäftigen –Praktiken, die laut CIA-Beamten vom Weißen Haus angeordnet wurden –, sondern allein mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, die Videos zu vernichten.

Dem Druck gebeugt

Inzwischen hat der Distriktrichter von Washington D.C., Henry Kennedy, Mitte vergangener Woche entschieden, keine Ermittlungen im Falle der vernichteten Videobänder anzustellen und damit offenbar dem Druck des US-Justizministeriums nachgegeben. Kennedy hat sich dabei die Argumentation der Bush-Regierung zu eigen gemacht, wonach sich seine Anordung vom Juni 2005, alle Beweismittel aufzubewahren, nur auf die Gefangenen in Guantánamo bezogen haben soll. Die Forderung der Anwälte der Guantánmo-Gefangenen, die Regierung sei darüber hinaus verpflichtet, alle in diesem Fall relevanten Beweismittel aufzubewahren, weshalb die Aufnahme von Ermittlungen geboten sei, wies Kennedy aus formalen Gründen zurück. Er begründete dies damit, dieses spezielle Verlangen sei nicht im schriftlichen Antrag der Anwälte zur Aufnahme von Ermittlungen enthalten gewesen. Kennedy gab ferner zu, daß seine Entscheidung von der Versicherung des Justizministeriums beeinflußt wurde, es werde wegen der Vernichtung der CIA-Videobänder selbst strafrechtliche Ermittlungen einleiten.

* Aus: junge Welt, 16. Januar 2008


Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage