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"Unvorstellbare Gewalt" zu Hause

Ex-Militär richtet auf USA-Marinestützpunkt Massaker an / Polizei geht von Einzeltäterschaft aus

Von Max Böhnel, New York *

Nach der Bluttat mit 13 Todesopfern auf einem Marinestützpunkt in Washington rätseln die Ermittler über das Motiv des Schützen. Washingtons Bürgermeister Vincent Gray bekräftigte am Montagabend (Ortszeit), dass es keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gebe.

Die Annahme der Polizei steht: Es war ein Einzeltäter und es handelt sich um den 34-jährigen Aaron Alexis. Jener hat wahllos am Montagmorgen in einem Marinestützpunkt in der USA-Bundeshauptstadt Washington zwölf Menschen erschossen, bevor er selbst von Polizeikugeln niedergestreckt wurde. Mehrere Verletzte wurden in umliegenden Krankenhäusern behandelt. Noch tags darauf versuchten die Ermittler, den offenbar mehrere Stunden dauernden Tatablauf zu rekonstruieren.

Nach Angaben der Bundespolizei FBI besaß Alexis einen gültigen Zugangsausweis zum »Navy Yard«. Der ehemalige Vollzeitreservist hatte bis Anfang 2011 für eine Flotten-Versorgungseinheit in Fort Worth in Texas gearbeitet. Er war in der Vergangenheit bereits mehrfach durch Wutanfälle, bei denen er um sich schoss, polizeiauffällig geworden. Verletzt wurde dabei aber niemand.

Die meisten Opfer, überwiegend Zivilangestellte und private Auftragnehmer, starben beim gemeinsamen Frühstück in einer Vorhalle. Alexis soll von oben herab wahllos auf die Menge gezielt haben. Laut Polizeiangaben hatte er ein AR-15-Militärsturmgewehr und ein Jagdgewehr bei sich. Außerdem soll er einem Polizisten einen Revolver abgenommen haben.

Zeugen, Bekannte und Familienangehörige zeichneten in den Medien ein widersprüchliches Bild von Aaron Alexis. Während ihn Nachbarn und Kollegen als freundlich beschrieben, hatte sein Vater gegenüber der Polizei einmal angegeben, sein Sohn leide infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 am posttraumatischen Stresssyndrom und habe seitdem oft die Kontrolle verloren.

Wie immer nach gravierenden Amokläufen wurden die Behörden zur landesweiten Trauerbeflaggung angehalten. Am Freitag sollen im ganzen Land die Fahnen an öffentlichen Gebäuden auf Halbmast wehen. USA-Präsident Barack Obama äußerte Erschütterung darüber, »dass es schon wieder eine Massenschießerei« gegeben habe. Die Schießerei bezeichnete er als »feigen Akt«. Die Opfer seien mutige US-Amerikaner gewesen, die um das Risiko bei ihren Einsätzen im Ausland gewusst, aber nichts von der »unvorstellbaren Gewalt« zu Hause geahnt hätten. Es werde alles getan, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Das jüngste Blutbad in den vor Waffen strotzenden USA fand nur wenige Häuserblocks vom Kapitol entfernt statt. Das Senatsgebäude wurde am Montagnachmittag sogar aus Sicherheitsgründen abgeriegelt. Ob sich die Abgeordneten und Senatoren jetzt zu einer Verschärfung der Waffengesetze durchringen können, darf trotzdem ausgeschlossen werden. Denn die mächtige Waffenlobby »National Rifle Association« hat trotz der nicht endenden Debatte seit dem Schulmassaker von Sandy Hook im vergangenen Dezember ihren Einfluss auf Politiker aufrecht erhalten können. Der demokratische Senator Joe Manchin aus dem Bundesstaat West Virginia, der seitdem vom Kongress schärfere Waffengesetze fordert, musste am Montagnachmittag auf Fragen von Journalisten hin abwinken. Dafür gebe es nach wie vor keine Mehrheiten. Das nächste Massaker ist so wohl nur eine Frage der Zeit.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. September 2013


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