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"Die USA sind ein radikales Regime"

Globalisierungskritiker Walden Bello über die Ziele der Regierung Bush und die Gegenbewegungen in Nord und Süd - Interview

Gegen militärisches Eingreifen jeder Art, auch unter dem Deckmäntelchen der »humanitären Intervention«, sprachen sich Mitte Januar die Teilnehmer einer Tagung der Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) in Frankfurt (Main) aus. Die Haltung der Kriegsgegner fasst Walden Bello im Gespräch mit dem Neuen Deutschland* zusammen. Bello ist Träger des Alternativen Nobelpreises und Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Focus on the Global South in Bangkok. Mit ihm sprach Charlotte Schmitz*.

ND: Herr Bello, Sie sind ein radikaler Kritiker der USA. Ist die Bush-Regierung wirklich so viel gefährlicher als ihre Vorgänger?

Walden Bello: Die USA sind ein radikales Regime. Es handelt sich nicht um ein konservatives Regime, das das bestehende globale Machtgleichgewicht behalten möchte, sondern Georg Bush strebt eine radikale Änderung an. Wie er unter dem Namen »Neues amerikanisches Jahrhundert« angekündigt hat, möchte er ein System schaffen, in dem die USA von keiner anderen Macht herausgefordert werden können. Das ist der Grund, warum die Bush-Regierung das Ende des Kalten Kriegs nicht als eine Periode militärischer Entspannung auffasst, sondern die Chance nutzen will, um die eigene Macht auszuweiten.

Sie bezeichnen diese Haltung der USA als »Imperialismus«. Beziehen Sie sich damit explizit auf eine marxistische Analyse?

Ich denke, der Begriff Imperialismus trifft zu auf einen hegemonialen Staat, der in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht sehr mächtig ist und diese Macht benutzt, um noch mächtiger zu werden. Wenn andere Menschen dieses Verhalten mit einem anderen Wort bezeichnen wollen, bin ich auch einverstanden, aber das Konzept des »Imperialismus« ist ein sehr potentes Analyseinstrument. Ich finde die Unterscheidung zwischen »traditioneller Linker« und »neuer Linker« überholt. Wir brauchen alle Analysen und Strategien, die uns helfen, die gegenwärtige Weltsituation besser zu verstehen.

Nicht alle Globalisierungskritiker würden Ihnen da folgen.

Ich denke, es gibt im Moment ein breites Spektrum an Analysen. Manche Kritiker der Globalisierung kritisieren hauptsächlich den Neoliberalismus, Leute wie ich betrachten den Bezug der kapitalistischen Produktionsweise im Verhältnis zum gegenwärtigen Stand der Integration der Weltwirtschaft. Ich denke, man kann diese Situation in Teilen unter Rückgriff auf marxistische Analysen erklären. Ich akzeptiere jede Analyse, die uns weiterhilft. Wenn die Umweltbewegung zum Beispiel einen anderen Beitrag leistet, sollten wir ihn nutzen. Diese Ansätze schließen sich nicht aus, sondern ergänzen einander.

Hat die Antiglobalisierungsbewegung ihren Gipfel überschritten? In Europa scheint der Zulauf abzunehmen.

Ich glaube nicht. Vor allem in Asien gibt es eine sehr starke Bewegung gegen eine unternehmensgesteuerte Globalisierung. Die Hongkong-Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) hat massive Proteste ausgelöst. Wir haben erlebt, dass 900 Menschen verhaftet wurden, und das waren Menschen aus aller Welt, aus Nordamerika, Asien, Lateinamerika. Das war eine große Mobilisierung der globalisierungskritischen Bewegung.

Aber die Bewegung erreicht nicht die Arbeiterklasse, zumindest nicht im Norden. Wie sehen Sie dies von Ihrem Standpunkt aus, vom Süden?

Gut, das ist eine Herausforderung, der sich die Bewegungen im Norden stellen müssen. Andererseits spielen Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbände eine wichtige Rolle in der Bewegung der Globalisierungskritiker, zum Beispiel beim Protest gegen die WTO. Insbesondere gegen die Privatisierung von Dienstleistungen haben Gewerkschaften stark mobilisiert.

Sie betonen die Bedeutung der nationalen Souveränität. Aber die ist für viele Regierungen der Entwicklungsländer eingeschränkt. Seit dem Ende der Sowjetunion entfällt der Handlungsspielraum, der aus dem Systemgegensatz erwachsen war.

Ich denke, die Existenz der Sowjetunion war sehr wichtig, um Bedingungen zu schaffen, unter denen viele Staaten ihre nationale Souveränität bewahren konnten. Sie behaupteten sich im Wettbewerb zwischen den beiden Systemen. Ein Problem, das sich aus dem Ende der Sowjetunion ergab, war, dass es kein Gegengewicht zu den USA mehr gab. Das genau wird jetzt von den Entwicklungsländern wahrgenommen und sie versuchen sich zusammenzuschließen, um ein eigenes Gegengewicht zu schaffen, zum Beispiel China oder Brasilien. Es entsteht eine Art multipolare Welt.
Im gleichen Moment nimmt das Gewicht der Zivilgesellschaft international zu und sie vernetzt sich stärker. Dies dient auch als Kontrolle der imperialen Macht der USA. Ich würde sagen, vor allem der Einmarsch in Irak schuf eine Voraussetzung für den weltweiten Widerstand gegen die USA-Pläne.

Inwiefern?

In Lateinamerika gibt es momentan ein Reihe anti-neoliberaler Revolutionen. Betrachten Sie die Entwicklung in Venezuela, in Bolivien, die Wahl linker Regierungen in Uruguay und Chile. Weil die USA in Irak gebunden sind, können sie nicht die Rebellion in den lateinamerikanischen Staaten verhindern. Mehr und mehr Regionen bewegen sich unabhängig von den USA.

Ist das nicht ein sehr optimistisches Konzept?

In Irak stehen heute 150 000 USA-Soldaten und sie kriegen die Situation nicht in Griff. Das ist sehr schwierig für die USA, sie können nirgendwo anders intervenieren, denn sie sind in Irak gebunden und dabei, dort den Krieg zu verlieren. Das hat Implikationen für alle Regionen der Welt. Wenn die USA in Irak gebunden sind, können sie nichts gegen Nordkorea, Iran oder Chávez’ Venezuela unternehmen. Ich glaube nicht, dass ich optimistisch bin, sondern dass ich eine sehr realistische Beschreibung der Lage liefere. Für Interventionen braucht man Bodentruppen. Zur Zeit können die USA keine eigenen Bodentruppen zusätzlich mobilisieren, und auch Deutschland oder andere europäische Länder stellen keine Bodentruppen für Interventionen zur Verfügung. 150 000 USA-Soldaten in Irak sind 150 000 Soldaten, die nirgendwo sonst eingesetzt werden können.

Sollten also die USA in Irak stationiert bleiben?

Nein, ich sage nur, die USA haben momentan eine begrenzte Kraft für Interventionen. Ich sage nicht, dass die Truppen in Irak bleiben sollten. Die USA werden sich in naher Zukunft nicht aus Irak zurückziehen. Ich denke, viele Menschen in aller Welt realisieren jetzt, dass die USA in Irak in einer komplizierten Situation feststecken.

Aber Sie befürchten dennoch eine Intervention der USA in Venezuela?

Venezuela ist für die USA sogar noch wichtiger als Irak, aber im Moment fehlt ihnen die Kraft, dort einzugreifen. Sie versuchten das 2002 mit einem CIA-Putsch, aber er scheiterte, Jetzt sind die Möglichkeiten sehr begrenzt.

Aus: Neues Deutschland, 28. Januar 2006

* Hier geht es zur Homepage der Autorin: www.charlotte-schmitz.de


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