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"Wir müssen radikales Gedankengut freisetzen"

Harry Belafontes bewegende Rede anlässlich der Ehrung durch den NAACP, der größten Bürgerrechtsorganisation der USA


Am 15. Februar 2013 erhielt Harry Belafonte die höchste Auszeichnung, welche die Bürgerrechtsorganisation NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) jedes Jahr verleiht, die "Spingarn-Medaille". Wir dokumentieren seine Dankesrede im Folgenden in einer von Eckart Fooken besorgten Übersetzung.
Zuvor aber ein paar Informationen über NAACP und die Spingarn-Medaille.

Beim NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) handelt es sich um die älteste, 1909 gegründet, und größte Bürgerrechtsorganisation der USA. Von den Wahlurnen bis zu den Klassenzimmern setzen die tausenden von engagierten Mitarbeiter, Organisatoren, Führer und Mitglieder, die die NAACP ausmachen, ihren Kampf für soziale Gerechtigkeit für alle Amerikaner weiter fort.

Die SPINGARN-Medaille wurde 1914 geschaffen von dem verstorbenen J.E. Spingarn (damaliger Vorsitzender des Aufsichtsgremiums des NAACP) der jährlich bis zu seinem Tode 1939 eine Goldmedaille stiftete, die für die höchste und edelste Leistung durch einen Amerikanischer Schwarzen im Verlauf des Vorjahrs oder der Vorjahre verliehen wurde. In seinem Testament setzte er eine Stiftung ein, die über ausreichende Mittel verfügte um diese Auszeichnung fortzuführen.

Die Medaille verfolgt einen doppelten Zweck: erstens, die Aufmerksamkeit des amerikanischen Volkes auf das Vorhandensein ausgezeichneter Verdienste und Leistungen durch Schwarze Amerikaner zu lenken, und zweitens als Belohnung für derartige Leistungen zu dienen und als Anreiz für den Ehrgeiz der farbigen Jugend.

Die Medaille wird jährlich dem Mann oder der Frau afrikanischer Herkunft mit amerikanischer Staatsbürgerschaft überreicht, der bzw. die die höchste Leistung während des vergangenen Jahres oder der vergangenen Jahre erbracht haben im irgendeinem ehrenhaften Bereich menschlicher Bemühungen.


Die Rede von Harry Belafonte:

Harry Belafonte bedankt sich zu Beginn bei seinem Laudator Cory Booker, dem Bürgermeister von Newark, weist aber darauf hin, dass er sich in seinen zahllosen Aktivitäten stets als auf den Schultern großer und engagierter Vorgänger sieht, die ihm mit Rat und Tat zur Seite standen.
Er weist ferner darauf hin, dass er eine Rede wiederhole, die er bereits bei den Feierlichkeiten der NAACP Image Awards gehalten habe, bei denen übrigens zum ersten Mal in der Geschichte der NAACP Preisverleihungen der mit der Spingarn Medaille Geehrte in einem Feature vorgestellt wurde, wodurch seine Wege und Ziele einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt wurden. Diese Rede drücke jedenfalls präzise formuliert aus, wie er Amerika heute sehe und wo die Bewegung stünde.


„Die am stärksten durch Amerikas Besessenheit mit Handfeuerwaffen zerstörte Gruppe sind die Afro-Amerikaner. Auch wenn Vergleiche ziehen nicht ohne Gefahr ist, so gibt es doch Zeiten in denen man nicht daran vorbeikommt. Amerika hat die höchste Zahl von Gefängnisinsassen der Welt, und die über 2 Millionen inhaftierten Männer Frauen und Kinder bestehen in überwältigender Mehrheit aus Schwarzen. Afro-Amerikaner haben die meisten Arbeitslosen, die meisten in einem ungerechten Rechtssystem gefangenen. Und bei den Handfeuerwaffen sind sie die am meisten gejagten. Die Ströme von Blut, die in den Straßen unserer Nation fließen, stammen zumeist von den Körpern unserer schwarzen Kinder. Trotzdem diskutiert das weiß Amerika in der nun auftauchenden Debatte um Waffengesetzgebung über verfassungsmäßig verbriefte Eigentumsrechte, während niemand über die Folgen des unsere Rasse betreffenden Blutbads spricht.

Wo bleibt die entrüstete Stimme des Schwarzen Amerika? Wo und warum sind wir verstummt? Wo sind unsere Führer? Wo unsere Gesetzgeber? Wo ist die Kirche?

Nicht alle, aber viele, Empfänger dieser Auszeichnung waren Männer und Frauen, die ihre Stimme erhoben um die Missstände der Nation zu beheben, sie alle waren radikalen Gedanken verpflichtet. Sie waren meine Mentoren, meine Inspiration, mein moralischer Kompass. Durch sie verstand ich Amerikas Größe, ich verstand Amerikas Möglichkeiten. Dr. W.E.B. Du Bois, Martin Luther King Jr., Eleanor Roosevelt und andere, wie Fannie Lou Hamer, und Ella Baker, Bobby Kennedy und Frau Constance Rice und wohl für mich am stärksten von allen, Paul Robeson.

Für mich war Herr Robeson ein Geschenk. Er war ein Künstler, der uns in diesem Bereich Tätigen die Tiefe einer Berufung verstehen ließ, wenn er sagte, „Künstler sind die Torwächter der Wahrheit. Wir sind die radikale Stimme der Zivilisation“. Niemals in der Geschichte des Schwarzen Amerika hat es jemals ein solch reiche Ernte von wahrlich talentierten, machtvoll gefeierten Künstlern gegeben. Und doch hungert unsere Nation nach ihrem radikalen Gesang.

In der Welt des Sports dominiert unsere Präsenz. Im Bereich der großen Geschäftswelt gibt es mehr afro-amerikanische Präsenz als industrielle Kapitäne und Führer, als wir je gekannt haben. Und doch leiden wir noch an tiefster Armut und moralischer Fehlernährung. Unsere einzige Hoffnung liegt in der Erinnerung an jenen Augenblick… meinem letzten Treffen mit D. King Es war kurz vor seinem Aufbruch nach Memphis um sich dem Streik der Müllarbeiter anzuschließen. Wir hielten eine Strategiesitzung ab in meiner Wohnung und Dr. King schien während dieses Treffens besorgt und in einer düsteren Stimmung. Als wir ihn fragten, was los sei, sagte er, „Wir sind weit in unserem Kampf für Integration gekommen, doch obwohl wir dabei sein mögen einige Schlachten zu gewinnen, haben wir den Krieg nicht gewonnen. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, das wir in unserem Kampf um Integration uns vielleicht in ein brennendes Haus integrieren.“

Den Gedanken empfanden wir als zutiefst verstörend. Und als wir ihn fragten, wenn das sein Glaube sei, was er meine das wir tun sollten. Seine Antwort war, “Wir werden Feuerwehrleute werden müssen.“ Zahllose Strategien im Streben nach unserer Freiheit sind auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Spektrums durchgespielt worden. Jugendgruppen, Frauengruppen, Gewerkschaftsgruppen, religiöse Gruppen, die Liste ist endlos. Und doch gibt es weiterhin diese Opposition mit ihrem Widerstand gegen unsere Bestrebungen. Was auf unserer Agenda im heutigen Kampf fehlt, meine ich, ist, dass wir radikales Gedankengut freisetzen müssen. Amerika bleibt in diesem Bereich des Diskurses stumm. Ich möchte an das NAACP appellieren, als der ältesten Institution in unserem Streben nach Menschenwürde und Menschenrechten, dass wir das Konzept und die Notwendigkeit radikaler Gedanken fördern. Amerika hat sich noch nie bewegt, um unseren Wunsch nach größerer Demokratie zu vollenden ohne radikales Denken und radikale Stimmen am Ruder auf einer solchen Reise.

Das Streben nach Gerechtigkeit ist alles was ich je gekannt habe. Und ich habe oft gesagt, dass was einen wahren Patrioten ausmacht, ein Zitat gefunden in einem Buch, Das Leben von Theodore Roosevelt , wo er sagte, dass, „ wenn der Staat feststellt, er bewegt sich weg von seiner Verpflichtung für die Rechte seiner Bürger, dass wenn diese Rechte zertrampelt und fehlgeleitet werden, wenn es jene gibt, die aus der Verfassung das entfernen wollen, was sie uns allen gewährt, dann habe die Bürger der Nation nicht nur die Verpflichtung sondern das Recht, gegen den Staat und die, die ihn führen, vorzugehen.“ Und er sagte: „Wenn wir dabei versagen, wenn wir versagen beim Erfüllen dieser moralischen Kriterien, dann sollten wir, die Bürger, des patriotischen Verrats angeklagt werden.“ Und das hat mich berührt, denn wir befinden uns ja alle auf dem Weg, um das verräterische Verhalten der gegenwärtigen politischen Kräfte zu beenden. Und was sie tun, ist unsere Wahlen zu stehlen. Was sie unseren Frauen antun, was sie unseren Kindern antun, was sie tun wo immer Schwarze sich in Zeiten von Not und Bedürftigkeit befinden. Ich möchte fordern, oder besser, sagen, dass, wenn das Schwarze Amerika seine Stimme nicht laut und klar erhebt, dass Amerika – und es ist insbesondere unsere Verantwortung mit aller kulturellen Verschiedenartigkeit, die diese Nation und ihr Versprechen von Größe ausmachen, die mächtigste Kraft ist Stimme der Afro-Amerikaner, dass Amerika niemals ein Ganzes sein wird und dass Amerika niemals sein wird, was es sich erträumt, bis wir wahrhaft frei sind und ein größerer Anteil seiner selbst davon.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

Original: "We Must Unleash Radical Thought": Harry Belafonte’s Stirring Speech Accepting NAACP Spingarn Medal.
Veröffentlicht auf der Website von "Democracy Now!"; www.democracynow.org [externer Link]
Dort ist neben der Rede von Belafonte auch die sehr persönliche und mitreißende Laudatio des Bürgermeisters von Newark live zu verfolgen (ab Min. 27).


Buchempfehlung

Harry Belafonte, Michael Shnayerson: My Song. Die Autobiographie
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 656 Seiten; Euro 24,99; ISBN: 978-3-462-04408-9




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