Schweigen zum Waffenrecht
Attentäter von Aurora erstmals vor Gericht
Von Max Böhnel, New York *
Erster medialer Auftritt des mutmaßlichen Attentäters von Aurora im US-Bundesstaat Colorado am Montagmorgen Ortszeit: weiße Hautfarbe, grell gefärbte orangene Haare, wortlos. James Holmes droht die Todesstrafe. Kaum ein TV-Sender, der den ersten Gerichtstermin nicht live überträgt. Nach elf Minuten verschwindet er.
Beten, nachdenken und zusammenhalten, so lautet die inhaltslose Lehre, die die Wahlkämpfer Barack Obama und Mitt Romney den Amerikanern nach dem Massaker in dem Kino von Aurora anempfohlen haben. In ihren öffentlichen Auftritten hielten sich beide Kontrahenten mit Äußerungen zum geltenden Waffenrecht zurück. Romney sprach vom »Bösen«, das zugeschlagen habe, das aber vom »Guten« zurückgedrängt werde. Obama erwähnte bei seiner Mitleidskundgebung vor Ort am Sonntag weder den Namen des Attentäters noch ließ er sich über die reformbedürftige Rechtslage aus. Kein Wort darüber, dass der 24-jährige Holmes sich sein Waffenarsenal in aller Ruhe legal im Internet und in Waffenhandlungen zusammengekauft hatte.
Weder die beiden Kandidaten noch die hinter ihnen stehenden konkurrierenden Parteiapparate haben offenbar ein Interesse daran, das Thema Waffenrecht aufzugreifen. Obamas Pressesprecher Jay Carney sagte vor Journalisten lediglich, es sei »die Ansicht des Präsidenten, dass wir Schritte ergreifen können, um Waffen aus den Händen der Menschen zu halten, die sie nach existierenden Gesetzen nicht haben sollten«.
Ein, zwei Massaker pro Jahr mit kriegstauglichen Waffen, begangen an einer beliebigen Menschenmenge, wird in den USA inzwischen als Zustand hingenommen - beklagenswert, aber strukturell nicht veränderbar. Der Gewöhnungsfaktor und das Bedürfnis wegzuschauen sind dabei bei denjenigen, die familiär oder geografisch von Waffengewalt nicht betroffen sind, erschreckend hoch. Andererseits wächst bei denjenigen Amerikanern, die Furcht vor Waffengewalt haben, die Bereitschaft, sich selbst zu bewaffnen und im Ernstfall abschreckend zu wirken - ein Teufelskreis. Die Zeit nach einem Massaker verläuft dabei geradezu nach einem Drehbuch. Zunächst werden unter Anwesenheit des Präsidenten die Opfer beklagt und die Angehörigen bemitleidet. Die Medien versuchen, sich mit unpolitischen Mitfühlstories zu überbieten, während der oder die Täter als Verrückte abgekanzelt werden, die außerhalb der Gesellschaft stehen und die Todesstrafe verdient hätten.
Daniel Vice vom »Brady Center to Prevent Gun Violence«, das in Washington seit Jahren erfolglos schärfere Waffengesetze fordert, kritisierte Obama. Die Tatsache, dass der Präsident in Aurora nicht einmal das Wort »gun« in den Mund nahm, zeige seine »fehlende Führungskraft, wenn es gilt, sich gegen die Waffenlobby zu wehren«. Die hat USA-weit gut vier Millionen aktive, waffentragende Mitglieder und heißt »National Rifle Association« (NRA). Dem Dachverband hatte Obama im Wahlkampf 2008 zugesagt, er werde »niemandem die Handwaffe wegnehmen«. Er stehe hinter dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Waffenbesitz. Trotzdem konterten die NRA und mit ihr der Rest der Obama-Hasser, dem »Sozialisten« gehe es um das »Ende des freien Marktes«. Obamas Strategie beschränkte sich in den vier Amtsjahren darauf, geltende Gesetze zu bewahren, Einzelstaaten um die Lieferung von Personaldaten von Waffenträgern anzuhalten und so wenigstens die bundesstaatliche Übersicht über das private Waffenarsenal in den USA nicht zu verlieren. Durchsetzen konnte sich Obama nicht. Der Einfluss der NRA nahm zu. Sein Hauptversprechen im Wahlkampf in Punkto Waffenkontrolle konnte er nicht einmal zum Thema machen: Sturmgewehre mit Großmagazinen per Gesetz wieder vom privaten Markt zu nehmen. Das von Bill Clinton durchgedrückte Verbot dieser Killerwaffen war 2004 ausgelaufen.
Aussichten auf eine neue Diskussion über Waffenkontrolle gerade im herrschenden Wahlkampf gehen gegen null. Denn die Forderung nach schärferen Waffengesetzen würde gerade in den »swing states«, wo Obama oder Romney knappe Mehrheiten bekommen können, wahlentscheidend sein. Gerade in Colorado, Ohio oder Florida gibt es überdurchschnittlich viele Waffenbesitzer. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Gallup lehnt eine Mehrheit von 55 Prozent der Amerikaner inzwischen strengere Regelungen ab.
Weiterhin wurde festgestellt, dass fast jeder zweite Erwachsene in den USA eine Waffe besitzt, die er zu Hause aufbewahrt. Empörte Stimmen wie die des New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg verhallen ungehört. Es sei »an der Zeit, dass die beiden Leute, die Präsident der USA werden möchten, uns sagen, was sie tun wollen«, hatte er kurz nach dem Amoklauf von Aurora gesagt. Aber die Mehrzahl der Amerikaner lebt nicht innerhalb der Großstädte, sondern in den »suburbs«, den vorstädtischen Straßenlandschaften. Dort werden alle zwei Jahre die Wahlen entschieden.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 25. Juli 2012
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