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USA vor dem Absturz?

Auch wenn die ökonomischen Rahmendaten schöngeredet werden – in der Wirtschaft herrscht Alarmstimmung

Von Rainer Rupp *

Bei dem weitgehend ergebnislosen G-20-Gipfel in Mexiko Anfang vergangener Woche hat US-Präsident Barak Obama keine gute Figur gemacht. Angesichts des drohenden Abrutschens der US-Wirtschaft in eine neue Rezession setzte er sich gegenüber den Europäern für eine kräftige Konjunkturspritze ein, so daß auch die USA von der zunehmenden Nachfrage auf dem alten Kontinent profitieren könnten – so kurz vor den Wahlen im Herbst kann der US-Präsident nämlich nichts weniger gebrauchen als eine Rezession.

Laut New York Times ist Obama zwischen den europäischen Staats- und Regierungschefs, die mit noch mehr Staatsausgaben das Wirtschaftswachstum anschieben wollen, und der teutonischen Sparkommissarin Angela Merkel »ständig hin und her gependelt«. Die aber hätten ihm und seinen Ermahnungen angesichts der Malaise, in der auch die US-Wirtschaft steckt, kaum Gehör geschenkt. »Bei all seinem Einfluß als Führer der größten Volkswirtschaft der Welt« habe Obama »manchmal wie ein Statist ausgesehen«, beklagte das New Yorker Blatt.

Tatsächlich sieht es trotz wiederholter Konjunktur-Spritzen in den vergangenen Jahren nicht gut aus für die US-Wirtschaft. Kaum zurück aus Mexiko mußte Obama erfahren, daß US-Notenbankchef Ben Bernanke die Wachstumsrate der US-Wirtschaft für den Rest des Jahres von 2,9 auf 2,4 Prozent zurückgenommen hat, was nach Ansicht vieler Experten noch zu optimistisch ist. Nur weil die Höhe des Inflationsindexes durch statistische Tricks niedriggehalten werde, sei überhaupt ein Wirtschaftswachstum ablesbar. Die zunehmende Zahl der Arbeitslosen, die tatsächlich bei 23 statt der offiziellen 8,2 Prozent liegt und die sinkende Zahl abhängig Beschäftigter strafen das offiziell verkündete Wachstum Lüge.

Empört schrieb Walt Osterman jüngst in der International Business Times: »Im September 2009 hat US-Notenbankchef Bernanke gesagt: ›Aus technischer Sicht ist die Rezession sehr wahrscheinlich bereits vorbei.‹ Aber sie ist immer noch da. Sie ist der Elefant im Raum, den niemand sehen will und niemand wagt zu erwähnen. Wie können die Mächtigen diese Lügen gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit aufrechterhalten? In erster Linie, weil sie über konforme, mutlose Medien verfügen, welche unablässig ihre Unwahrheiten wiederkäuen: fehlerhafte ›saisonbereinigt‹ Arbeitslosenzahlen, inkorrekte Inflationsraten, etc.« Auch der weltbekannte und kritische US-Anlagenberater John Mauldin schrieb am Samstag in seinem millionenfach verbreiteten Rundbrief, daß »vernünftige Wachstumsprognosen nicht mehr möglich sind, weil der Finanzmarkt von der US-Notenbank Fed total manipuliert wird«.

Unterdessen weist US-Ökonom Gary Shilling in Money News darauf hin, daß der Elektrizitätsverbrauch in der USA in den vergangenen Wochen rapide zurückgegangen ist, ebenso wie das Transportaufkommen bei Überseecontainern. Der Yale-Ökonom Robert Shiller warnt, daß die US-Immobilienkrise noch »viele, viele Jahre« dauern wird. Und laut Mike Shedlock von Global Economic Analysis hat sich die Lage in der verarbeitenden Industrie radikal verschlechtert, der starke Rückgang der Aufträge und Auslieferungen sei besonders alarmierend. Vor diesem Hintergrund erwartet der erwähnte Mauldin noch in diesem Jahr, daß die Fed in einer weiteren Gelddruckaktion (QE3) erneut die USA mit einem Tsunami an Liquidität überschwemmen wird, nur um die langfristigen Zinsen auf US-Schatzbriefe bei ein Prozent zu halten und das bei niedrigerem Wirtschaftswachstum erhöhte Defizit der US-Bundesregierung zu finanzieren.

Die Finanzmärkte scheinen dagegen die Realität mal wieder zu ignorieren. Die Börsenkurse in den USA liegen inzwischen nur noch zehn Prozent unter dem Rekordhoch, das Ende 2007 unmittelbar vor der Krise erreicht wurde. Insbesondere den US-Großbanken war es in den vergangenen zwei Jahren weitgehend gelungen, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, daß sie wieder wie zu alten Zeiten im Geschäft sind. Allerdings wurde diese künstliche Idylle der US-Finanzmärkte am vergangenen Donnerstag kräftig verhagelt, als die US-Ratingagentur Moody’s mit einer massiven Abwertung von 15 US-amerikanischen und europäischen Großbanken daran erinnerte, wie tief die Zockerkrise immer noch im privaten Bankenkasino steckt.

Allein in den USA wurde die Kreditwürdigkeit der fünf größten der Großen (Goldman Sachs, Morgan Stanley, JPMorgan Chase, Bank of America und Citigroup) von Moody’s um mehrere Stufen herabgesetzt. Bank of America und Citigroup liegen mit ihrer Baa2-Bewertung jetzt acht Stufen unter der Bestnote und nur noch zwei über Ramschniveau. Dadurch wird es für die Banken erheblich teurer werden, Kredite aufzunehmen und sich zu refinanzieren, statt die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben.

Allerdings erinnerte Robert Reich, US-Arbeitsminister unter Bill Clinton, jüngst daran, daß die Früchte des Wachstums in den vergangenen Jahrzehnten fast ausschließlich den Reichen und Superreichen zugute gekommen sind. In der Amtszeit von Präsident Clinton hat laut Reich »das oberste ein Prozent der Bevölkerung 45 Prozent des US-Wachstums abgesahnt und in der Bush-Ära seien es bereits 65 Prozent« geworden. Aber diese Art des Wirtschaftswachstums schaffe kaum neue Jobs. Arbeitsplätze würden durch die Ausgaben der Normalverdiener geschaffen. Dafür aber wäre unbedingt eine bessere Einkommensverteilung notwendig.

* Aus: junge Welt, Montag, 25. Juni 2012


USA boomen – beim Gelddrucken

Notenbank pumpt weitere 267 Milliarden Dollar in die Wirtschaft der schlaffen Supermacht **

Wenn in den USA derzeit etwas boomt, dann das Drucken von neuem Geld. Weil die Wirtschaft nicht wächst, Investitionen im Land unzureichend fließen und somit auch die hohe Arbeitslosigkeit nicht zurückgeht, pumpt die Notenbank Fed weiteres frisch erschaffenes Geld in den Reproduktionskreislauf. Für 267 Milliarden Dollar (212 Mil­liarden Euro) will die Fed kurz laufende Staatsanleihen verkaufen, um länger laufende Schuldpapiere zu erwerben. Die sogenannte Operation Twist soll, so der Wunsch der Notenbanker, längerfristige Zinsen senken und bei Verbrauchern die Kauflust wecken. Allerdings sind die Zinsen bereits auf Niedrigniveau. Auch die Kauflust auf Kredit hält sich bei vielen US-Bürgern nach den Erfahrungen der Krisenausbruchsjahre 2008 und 2009 in Grenzen.

Wohl auch deshalb reagierten die Börsen sehr verhalten auf die Ankündigung der Geldspritze. Hinzu kommt, daß die Akteure der Voodoo-Ökonomie an den sogenannten Finanzmärkten wohl mit deutlich mehr Spielgeld gerechnet hatten. Am Donnerstag eröffneten die europäischen Aktienmärkte mit Abschlägen. »Der Schritt ist weitgehend symbolisch«, mäkelte David Jones, Chefvolkswirt beim US-Beratungsunternehmen DMJ Advisors. Die Märkte hatten auf aggressivere Schritte der Fed gehofft.

US-Notenbankchef Ben Bernanke kündigte notfalls weitere Maßnahmen an. »Wenn wir keine anhaltende Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt sehen, wären weitere Aktionen nötig«, sagte er. Allerdings bleiben ihm und der Fed trotz großer Worte eher wenige Optionen diesseits der Grenze zum Wahnwitz. Der würde wieder augenfällig, begänne Bernanke erneut im großen Stil, Schuldverschreibungen des eigenen Landes zu kaufen – bekannt ist diese spezielle Art eines Verzweifelungsaktes bislang unter dem harmlosen Namen »quantitative Lockerung«.

Hilfe erhofft sich die US-Notenbank wohl auch von der EU. Der Fed-Chef hatte an die dortige Politik appelliert, noch entschiedener vorzugehen, um die Banken zu stabilisieren und Ängste der Marktteilnehmer vor dem Zustand der Staatsfinanzen zu dämpfen.

** Aus: junge Welt, Freitag, 22. Juni 2012




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