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Abgesang auf Weltpolizist USA

Von Dr. Galina Seweljowa, Moskau *

Die Ergebnisse einer vor kurzem durchgeführten Meinungsumfrage in den USA und den fünf führenden europäischen Ländern sorgte für Überraschungen.

Bei der Umfrage des Marktforschungsinstituts "Harris Interactiv", der "International Herald Tribune" und des TV-Kanals "France 24" hat sich völlig unerwartet herausgestellt, das sich die Ansichten der US-Amerikaner über die Rolle ihres Landes in der Welt verändert haben. Nicht nur die meisten Europäer, sondern auch 55 Prozent der befragten US-Amerikaner sind der Meinung, dass die USA den Frieden gefährden (28 Prozent halten die Vereinigten Staaten für die größte Friedensbedrohung).

Der Befragung zufolge wollen die meisten Europäer, dass sich Amerika nicht als Führer der "freien Welt" aufspiele, sondern eine gleiche Stimme wie auch die anderen "westlichen" Länder habe. Interessant: Beinahe die Hälfte der US-Amerikaner (46 Prozent) ist damit einverstanden. Die Befragungsergebnisse lassen auf eine Annäherung der Ansichten zwischen den Bürgern der USA und Europas schließen, was die Bestimmung der realen und wünschenswerten Rolle der USA in der Welt betrifft. Zugleich hat sich in diesem Punkt eine Meinungsverschiedenheit zwischen den meisten Amerikanern und ihrer eigenen Elite abgezeichnet.

Die USA sind immer noch die mächtigste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt und bleiben es vorläufig auch. Doch seine relative Macht nimmt ab. Der Aufstieg Chinas, Indiens und Russlands als unabhängige und erstarkende Kräfte verändern im hohen Tempo die ökonomische und politische Welt, was unvermeidlich Fragen nach der künftigen Rolle der USA aufwirft. Der Krieg im Irak und die anderen Fiaskos der US-Außenpolitik während der Präsidentschaft von George W. Bush haben vor Augen geführt, dass Amerika bei weitem nicht allmächtig ist. 58 Prozent der Amerikaner sind der gleichen Meinung wie die Europäer, dass die US-Positionen in der Welt in der Amtszeit von Bush wesentlich schwächer geworden sind.

Ein zunehmender Teil der Gesellschaft wünscht, dass Amerika nicht mehr der Weltpolizist und -prediger sei, sondern ein "normales", vor allem den eigenen Problemen zugewandtes Land. Der bekannte Kolumnist der "New York Times", Thomas Friedman, hat diese Stimmungen in der Gesellschaft hellhörig aufgenommen und zum Ausdruck gebracht. In seinem Beitrag "Iraq Through China's Lens" schreibt er, dass er während seiner China-Reise darüber nachgedacht habe, "wie schön es sein muss, eine Großmacht zu sein und hierbei sich völlig auf die Lösung der eigenen inneren Probleme zu konzentrieren". Daraus zieht der einflussreiche Autor den Schluss: "Mit Amerika ist heute etwas nicht in Ordnung. China hat die letzten sechs Jahre für die Vorbereitung auf die Olympischen Spielen genutzt, wir dagegen verloren die Zeit, indem wir unsere Schulden anhäuften und gegen Al-Qaida kämpften... Wir verlieren gedankenlos unsere hellen Köpfe, unsere Menschen und unsere Zukunft. China handelt anders."

Der Aufbau eines Imperiums ist immer eine Idee der Elite, für das Volk aber am häufigsten eine schwere Last. Es fragt sich, ob sich die Stimmungen der politischen und intellektuellen Vertreter in den USA je nach der Dynamik der öffentlichen Meinung verändern werden. Die US-Elite, darunter die wichtigsten Präsidentschaftsanwärter beider Parteien, redet nach wie vor von einer besonderen Mission in der Welt und ist darauf bedacht, die Führungsrolle des Landes zu behalten.

In ihrem gemeinsamen programmatischen Beitrag in der "Washington Post" vom 9. Dezember empfehlen der ehemalige Vizeaußenminister Richard Armitage und der ehemalige Assistent des Verteidigungsministers Joseph Nye, Professor der Harvard University, den führenden Politikern ihres Landes, USA in eine "kluge Kraft" umzuwandeln. "Eine kluge Kraft - nicht, um der Welt zu gefallen, sondern um eine Strategie auszuarbeiten, die unsere Fähigkeiten „zu zwingen“ und „anzulocken“ zu verbinden vermag." Das Ziel bleibt hierbei das alte: Aufrechterhaltung des Weltleaders USA.

Offenbar haben selbst die weitsichtigsten Vertreter der US-Elite noch nicht erkannt, dass Amerika lernen könnte, seine zahlreichen Vorteile in der Welt besser zu nutzen, doch nicht mehr imstande ist, die Weltordnung wieder herzustellen, in welcher es der bedingungslose Hegemon wäre. Das wird unmöglich, nicht nur deshalb, weil die Stärke und der Einfluss jener Staaten rasch wachsen, die Multipolarität vorziehen, sondern auch deshalb, weil sich immer mehr Amerikaner von der Euphorie der Allmacht und Selbstsicherheit befreien, welche die Gesellschaft nach Beendigung des Kalten Krieges erlebte.

Die Enttäuschung der Wähler über den traditionellen US-Messianismus muss früher oder später zur Anpassung der Ansichten zumindest eines Teils der Elite führen. Amerikas unbestreitbare Stärke sind seine demokratischen Institutionen und die Verantwortung der Regierung gegenüber den Bürgern. Im Endergebnis muss das die Außenpolitik mit den Stimmungen der einfachen Amerikaner in Einklang bringen.

Die Meinung der Verfasserin muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Quelle: Russische Nachrichtenagentur, 18. Dezember 2007


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