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Druck der Rechten

Jahresrückblick 2011. Heute: USA. Erzkonservative Tea-Party-Bewegung bestimmte ­politische Entscheidungen mit

Von Philipp Schläger, New York *

Das Jahr 2011 hatte in den Vereinigten Staaten quasi knapp zwei Monate früher begonnen. Die Zwischenwahlen im November 2010 führten zu einem Machtwechsel im Repräsentantenhaus. Auch in der zweiten Kongreßkammer, dem Senat, wurden die Demokraten geschwächt. Für eine republikanische Mehrheit im Kongreß reichte es dort allerdings nicht. Wenn auch Beobachter bezweifeln, daß der Erfolg der Republikaner bei den Zwischenwahlen direkt der Tea-Party-Bewegung zuzuschreiben ist, so blieben die Konservativen im vergangenen Jahr trotzdem deutlich unter dem Einfluß der erzkonservativen Strömung. Sie oder die Angst vor ihr bestimmten die Politik in der im Januar 2011 begonnenen 112. Kongreßperiode. Schon zuvor, bei den Verhandlungen zu den auslaufenden Steuersenkungen aus der Zeit der Bush-Administration hatte US-Präsident Barack Obama die Verlängerung des Gesetzes nur für die unteren und mittleren Einkommensklassen gefordert, Reiche sollten ab 2011 die unter Clinton geltenden höheren Steuersätze zahlen. Doch die Republikaner benutzten die Mehrheit der Bevölkerung, der ohne einen Kompromiß eine spürbare Steuererhöhung gedroht hätte, als Druckmittel: Obama lenkte ein. Es war kein guter Start ins Jahr 2011 für die Demokraten.

Im Fadenkreuz

In der politisch aufgeheizten Atmosphäre gab es auch Tote. Bei einem Attentat in Tucson, Arizona, erschoß der psychisch kranke 22jährige Jared Loughner sechs Menschen. 13 wurden verletzt, darunter die demokratische Kongreßabgeordnete Gabrielle Giffords. Weil sie symbolische Fadenkreuze auf zu erobernde demokratische Bezirken in einer von ihr veröffentlichten Karte verwendet hatte, kam Sarah Palin in Bedrängnis. Eine der Zielmarkierungen lag auf Giffords Bezirk. Die Kontroverse um die ehemalige Gouverneurin von Alaska und Ikone der Tea Party beschädigte auch ihre Aussichten auf eine Präsidentschaftskandidatur für die Republikaner.

Nur knapp entgingen die Vereinigten Staaten bei Haushaltsverhandlungen im April der Zahlungsunfähigkeit. Obama mußte am Ende Kürzungen von 40 Milliarden Dollar akzeptieren. Ende Juli wiederholte sich das gleiche Drama angesichts der Debatte um eine Erhöhung der Schuldengrenze auf 14,3 Billionen Dollar, ohne die die USA ab Anfang August zahlungsunfähig gewesen wären. Auch bei diesen Verhandlungen spielten die rechten Extremisten im Repräsentantenhaus mit dem Feuer, viele von ihnen nahmen eine Einstellung der Regierungsgeschäfte wie zuletzt 1996 unter Bill Clinton in Kauf. Der auf die Debatte folgende »Tea Party Downgrade«, die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Rating­agentur Standard & Poor’s, hinterließ Narben. Auch das aus dem in letzter Minute geschlossenen Kompromiß zur Erhöhung der Schuldengrenze hervorgegangene Super Committee kam zu keiner Einigung.

Eine Rekordzahl von Amerikanern äußert inzwischen Mißtrauen gegenüber ihren politischen Institutionen. Nach einer Gallup-Umfrage vom 19. Dezember ist der Kongreß so unbeliebt wie nie zuvor. 86 Prozent lehnen die Arbeit der Legislative ab, nur noch elf Prozent befürwortete sie. In einer früheren Erhebung vom September bezeichneten 49 Prozent der Befragten die US-Regierung als eine »unmittelbare Bedrohung«.

Daß der Präsidentschaftswahlkampf der Republikaner das peinliche Kapitel für die Grand Old Party fortschreiben würde, war spätestens nach dem fulminanten aber nur kurz währenden Aufstieg des Immbilienmoguls und Fernsehentertainers Donald Trump als Kandidat für die Anfang November stattfindenden Wahlen klar. Trump flirtete mit den sogenannten »Birthern«, die bis heute Oba­mas Geburtsort und damit die Legalität von dessen Präsidentschaft in Frage stellen. Die extrem konservative Basis war ununterbrochen auf der Suche nach einem konservativen Anti-Romney. Gegen den als opportunistisch empfundenen ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney, waren sie bereit, jeden auch noch so unerfahrenen oder extremen Außenseiter zu unterstützen. Doch mit zunehmender Bekanntheit des jeweiligen Kandidaten stieg die Medienaufmerksamkeit und mit ihr die Fehlerquote. Stets folgte der Abstieg innerhalb weniger Wochen. Nach Trump kamen und gingen die erzkonservative Kongreßabgeordnete aus Minnesota, Michele Bachmann, der Gouverneur von Texas, Rick Perry, und der Pizza-Unternehmer Herman Cain.

Trotz seines kometenhaften Aufstiegs sinkt nun auch die Unterstützung für den ehemaligen Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich. Ihn hat der libertäre Ron Paul abgelöst, doch lange wird dessen Höhenflug ebenfalls nicht anhalten. Inzwischen sind Artikel in einem von ihm vor rund 20 Jahren herausgegebenen Newsletter mit offen rassistischer Hetze und Verschwörungstheorien aufgetaucht.

»Antiterrorkrieg«

Außenpolitisch erreichte der US-Präsident 2011 mehr und war bereit durchzugreifen. Selbst Michael Steele, der ehemalige Vorsitzende der Republikaner, beschrieb Obamas Außenpolitik als »Bush mal zwei«. Zahlreiche »Feinde« der USA verloren bei den intensivierten Drohnenangriffen weltweit das Leben. Mit der Tötung von Anwar Al-Awlaki und Samir Khan in Jemen kamen unter Obama erstmals auch US-amerikanische Staatsbürger ohne ein rechtsstaatliches Verfahren ums Leben. Mit den Gesetzen zum aktuellen Militärhaushalt stimmte die große Mehrheit von Demokraten und Republikanern im Kongreß kürzlich auch für die Legalisierung der unbegrenzten Militärhaft für US-Bürger und Ausländer im Fall eines »Terrorismusverdachts«. Nur sieben Senatoren stimmten gegen diese aus der Bush-Ära stammende Maßnahme.

Als großen Erfolg im »Antiterrorkrieg« konnte Obama die Exekution des Al-Qaida-Führers Osama bin Laden verbuchen. Auch die neue multilaterale Strategie des US-Präsidenten, die mehr Handeln von den Alliierten Amerikas einfordert, verlief im Falle Libyens und der Beseitigung des Revolutionsführers Muammar Ghaddafi wie nach Plan. Der Sturz der Regierung und die Hinrichtung Ghadaffis wurden zum Discountpreis von wenigen Milliarden Dollar und ohne einen einzigen toten Amerikaner erreicht.

Nach weit mehr als 100000 toten Zivilisten und 4487 toten amerikanischen Soldaten feierte die US-Administration zudem im Dezember offiziell das Ende des Irak-Krieges. Auf dem Höhepunkt der kriegerischen Auseinandersetzungen waren 170000 US-Soldaten im Irak stationiert. Bis zuletzt wurden die ausländischen Truppen täglich vor allem von militanten Schiiten angegriffen. In der Hauptstadt Bagdad werden auch nach dem offiziellen Truppenabzug einige hundert Soldaten verbleiben. Sie sollen nach Angaben des Pentagon beim Verkauf von Waffen »assistieren« und die irakische Armee trainieren.

Doch das beherrschende Thema in den USA bleiben die Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit. Auch drei Jahre nach dem Höhepunkt der Krise haben rund 25 Millionen Amerikaner keine Arbeit oder nur eine unzureichende Teilzeitbeschäftigung. Zugleich wächst die Not. Jeder zweite US-Bürger lebt inzwischen in Armut oder hat nur wenig mehr Mittel. Obama, der in den vergangenen Monaten vergeblich für ein weiteres Konjunkturprogramm in Höhe von 450 Milliarden Dollar geworben hatte, forderte schließlich, die um zwei Prozentpunkte gesenkten Sozialversicherungsbeiträge beizubehalten. Ein durchschnittlicher amerikanischer Haushalt wird nach Angaben des Weißen Hauses dadurch 1000 Dollar mehr zur Verfügung haben. Während sich die Republikaner anfangs gesprächsbereit gezeigt hatten, änderte der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner John Boehner, unter dem Druck der Extremisten innerhalb seiner Frak­tion seine Position und lehnte den ausgearbeiteten Kompromiß ab, mußte ihm nach Auseinandersetzungen mit Parteikollegen im Senat aber doch zustimmen. Damit ermöglichte er Obama und den Demokraten einen wichtigen Sieg zum Jahresende. Bei den Republikanern machte diese letzte Konfrontation 2011 noch einmal die Spannungen zwischen der Partei und der Tea-Party-Gruppe deutlich.

* Aus: junge Welt, 3. Januar 2011


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