100 Tage George W. Bush jr. - Kein Ruhmesblatt
Ulrich Albrecht analysiert im "Freitag" die US-Politik
Dass der vom Obersten Gericht eingesetzte Präsident George Bush jr. nach nur drei Monaten Regentschaft seine Mehrheit im Senat eingebüßt hat, nachdem ein Senator die Republikaner-Fraktion verlassen hat, wird seine Macht nicht wesentlich beschneiden. Ein Zeichen für steigenden Unmut im Land ist es aber schon. Andere Anzeichen hat der bekannte Berliner Friedenswissenschaftler Ulrich Albrecht in einem Artikel dargestellt, der am 25. Mai in der Wochenzeitung "Freitag" veröffentlicht wurde. Wir dokumentieren den Beitrag leicht gekürzt.
"Massaker" in Washington
USA: Die Bush-Administration schafft sich auch zu Hause mehr Feinde als Freunde
Von Ulrich Albrecht
Die ersten hundert Tage sind um - doch das politische Washington,
ansonsten zumeist eine Schar von Höflingen, zeigt dem neuen Herrn im
Weißen Haus nach wie vor die kalte Schulter. Noch nie ist ein
amerikanischer Präsident in diesen Zirkeln so unpopulär gewesen. Noch
distanzierter gibt sich die Intelligenzija an den Eliteuniversitäten. Vier
Fünftel lehnen vor allem die Personalpolitik des neuen Präsidenten
rundheraus ab. Fünf- bis sechstausend Neuernennungen für
Regierungsämter fanden in den vergangenen drei Monaten statt. Das hatte
tiefgreifende Einschnitte im Apparat zur Folge, bis hinunter zu den
Abteilungsleitern in den Ministerien. Clinton-Vertraute wurden bevorzugt
durch extrem konservative Persönlichkeiten ersetzt. So ist der neue Leiter
der Abrüstungsbehörde im State Department ein Gegner des Konzeptes
der "arms control", der kooperativen Steuerung der Rüstung. ...
Der Präsident sei, so heißt es, ein "no-name", als politische Persönlichkeit
zähle er nicht. Politik würde im Wettstreit zwischen dem Pentagon und
dem State Department gemacht - personifiziert im Gegensatz zwischen
Verteidigungsminister Rumsfeld und Außenminister Powell.
Es mehren sich freilich auch im liberalen Lager die Stimmen, die diese
Sichtweise in Frage stellen. Der Gegensatz zwischen dem auf
diplomatische Folgen amerikanischer Politik bedachten Außenministerium
und dem häufig zu einer härteren Gangart neigenden Pentagon sei
traditionell und keineswegs ein Novum der Bush-Regierung. Das
"Massaker", das Auswechseln von mehreren Tausend Regierungsbeamten
in mittleren und Führungspositionen, gehöre nun einmal zum politischen
Spiel. Und als politischer Manager würde Bush womöglich unterschätzt.
In der Bilanz überwiegen freilich die kritischen Stimmen, und sie verfügen
über Argumente. Das amerikanische Engagement im Nahen Osten wird
heruntergefahren, wie die bis zu Wochenbeginn ausstehende Berufung
eines Nachfolgers für Clintons Nahost-Vermittler Dennis Ross zeigt. Mit
Blick auf die Eskalation der Gewalt in Israel wird in den USA mit
Nachdruck gefragt, ob nicht gerade in einer solchen Situation die
Weltführungsmacht sich verstärkt einschalten müsse. Hier wird Präsident
Bush zurückrudern müssen. Angesichts der Gewalteskalation in Israel und
in den palästinensischen Gebieten dürfte er den Versuch, die eher
undankbare Vermittlungspolitik seiner Vorgänger einzustellen, schon
innenpolitisch nicht durchhalten.
Besonders düster stehen die Zeichen für weitere Versuche zur
Rüstungsbegrenzung. Die alte Konvention über das Verbot von Biowaffen
sollte - so internationaler Konsens vor Bushs Amtsantritt - durch
Überprüfungsregelungen ergänzt werden. Jetzt lässt die neue Regierung
wissen, da werde sie nicht mitmachen. Beabsichtigt sind auch Kürzungen
bei den Überweisungen nach Moskau für den Kauf von russischem
Waffenuran. Die Architekten dieser Kooperationsprogramme raufen sich
die Haare: Da will der neue Präsident auf den Erwerb von Sprengmaterial
für 15.000 Gefechtsköpfe verzichten, die eines Tages wieder gegen
Amerika gerichtet werden könnten! Ferner plant Bush Abstriche an den
Zahlungen für Nordkorea. Die Situation in diesem Land bleibt höchst
prekär, und Skeptiker befürchten, dass damit die schwachen Brücken
zwischen beiden Staaten einstürzen könnten. ...
Der Flugzeugaffäre mit China kommt in den USA ein weitaus höherer
Stellenwert zu, als in Europa wahrgenommen. Nicht nur wegen der
schmerzhaften Erkenntnis, einem Weltrivalen technologische Trümpfe in
die Hand gegeben zu haben. Die US-Wirtschaft reizt der gewaltige
chinesische Markt mit 1,4 Milliarden Verbrauchern als
Expansionspotenzial. Gleichzeitig wird in einer für Europäer
erschreckenden Weise laut über Krieg gegen die Volksrepublik
nachgedacht. Fazit: Amerika strebt nicht an, von Flugzeugträgern aus
einen Krieg gegen China zu führen - der sei nicht gewinnbar.
Die Entscheidung von Präsident Bush, einseitig Schritte zur Verminderung
des US-Arsenals an Kernwaffen vorzunehmen, die heutzutage ohnehin
niemand für militärisch notwendig hält, würde die Friedensbewegung und
andere Rüstungskritiker einlullen und den Blick auf massive Aufrüstungen
bei den nichtatomaren Waffen verstellen, was wiederum das Pentagon froh
stimmen dürfte.
Vor allem in der Energie- und Umweltpolitik erweist sich Bush als
texanischer Ölpräsident, nicht nur durch die Zurückweisung des
Kyoto-Protokolls. Sein Vize, Dick Cheney, von manchen respektlos als
"Ministerpräsident" des neuen Kabinetts apostrophiert, hat als
Vorsitzender der von Bush einberufenen "Energy Task Force" in seinem
vorläufigen Bericht eine Änderung der amerikanischen Haltung gegenüber
Irak, Iran und Libyen angeregt. In dem Papier wird sensationellerweise
vorgeschlagen, die Sanktionspolitik gegenüber Schurkenstaaten, die über
Öl verfügen, zu ändern. Der Grund: "Die Bedeutung ihrer Ölförderung für die
Erfüllung der heimischen und der globalen Energie-Nachfrage." Das passt
in eine politische Grundlinie der Bush-Administration, der zufolge die
Energiesicherheit der Nation Priorität in der amerikanischen Außen- und
Innenpolitik genießen soll.
Der wirkliche Lackmustest für die Politik des neuen Präsidenten wird bei
den Kongresswahlen in zwei Jahren erwartet. Sollten die Demokraten hier
einen deutlichen Sieg einfahren und die Mehrheit erringen, so die Meinung
in Washington, wäre die Zeit für Bushs Extravaganzen vorbei.
Aus: Freitag, Nr. 22, 25. Mai 2001
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