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Ein Überraschungssieger, viele Verlierer

Tories regieren nach britischer Parlamentswahl weiter / Rücktritte bei Labour, Liberalen und UKIP

Von Ian King *

Das hatte keine Umfrage vorausgesagt: die absolute Mehrheit für Camerons Tories, die schottischen Nationalisten gewinnen 56 Wahlkreise und Labour erleidet Schiffbruch wie 1983 gegen Thatcher.

London. Prominente, fähige Sozialdemokraten wie Schattenfinanzminister Ed Balls in Yorkshire, Wahlkampfstratege Douglas Alexander und Schotten-Parteichef Jim Murphy müssen das Arbeitsamt aufsuchen - eine Sicherung für Promis auf Landeslisten kennt das britische Mehrheitswahlrecht nicht. Gleich drei Parteiführer - Labours Ed Miliband, der Liberale Nick Clegg und Nigel Farage von der rechten, anti-europäischen UKIP, wollen nach der Parlamentswahl am Donnerstag den Hut nehmen.

Der Grund liegt im Überraschungssieg für den amtierenden Premier David Cameron und seine Tories, die 331 von 650 Mandaten gewannen und damit die absolute Mehrheit. Labour konnte dagegen nur 232 Wahlkreise für sich entscheiden. Die Sozialdemokraten verloren insgesamt 26 Mandate, besonders viele an die Schottische Nationalpartei (SNP). Die Regionalpartei nimmt nun 56 von 59 schottischen Sitzen im Unterhaus in London ein. Am stärksten verloren die Liberaldemokraten, mit denen Cameron in den vergangenen fünf Jahren regierte. Sie verfügen nur noch über acht Mandate. Ihre Niederlage spiegelte sich nicht nur in den Sitzverlusten (-49) nieder, sondern auch im prozentualen Stimmanteil. In dieser Zählung verloren sie über 15 Prozent, während alle anderen größeren Parteien zulegten - am wenigsten die Tories, am stärksten UKIP, die sich mit 12,7 Prozent nun hinter Labour (30,5 Prozent) als landesweit drittstärkste Kraft etablierte.

Cameron siegte zur Überraschung aller - insbesondere der Meinungsforscher - trotz eines allgemein verspotteten Wahlkampfes, in dem es ihm kaum gelang, Ziele für die nächsten fünf Jahre zu entwerfen, sich vor einem Fernsehauftritt mit seinem zentralen Herausforderer drückte und den Namen seines Lieblingsfußballvereins vergaß. Er punktete jedoch mit Erinnerungen an den Wirtschaftsaufschwung sowie mit Warnungen vor dem Chaos durch eine von der SNP unterstützte Labour-Minderheitsregierung. Seine Probleme aber bleiben: Die Einheit Britanniens aufrecht zu erhalten und die EU-Volksabstimmung über die Bühne zu bringen. Und so betonte er, »eine Nation« regieren zu wollen. Bereits am Freitagmittag traf er sich mit Königin Elizabeth II. im Buckingham-Palast und bat um ihre offizielle Zustimmung zur Bildung der neuen Regierung.

Camerons Hauptprobleme bleiben ihm jedoch erhalten: Die Einheit Britanniens aufrechtzuerhalten und die EU-Volksabstimmung über die Bühne zu bringen. Cameron sagte, Großbritannien werde nun das von ihm im Fall eines Wahlsiegs versprochene Referendum über den Verbleib in der EU »abhalten müssen«. In dieser Frage hat er durch die Schlappe von UKIP, die nur ein Mandat gewann, sicher bessere Karten bekommen, muss jedoch die eigenen rabiaten Hinterbänkler befürchten.

Camerons hysterische Warnungen vor Nicola Sturgeons SNP verschafften ihm zwei kurzfristige Vorteile: Aufstachelung der beleidigten Schotten gegen Labour, aber auch missmutiger Engländer gegen Schottland. Mittelfristig setzt jedoch solche Demagogie die britische Einheit aufs Spiel. Schon 2016 steht die schottische Regionalwahl an. Wenn die Nationalisten noch einmal den Durchmarsch schaffen, könnte es bald zur Wiederholung der 2014 gescheiterten Volksabstimmung zur Trennung von England kommen. Sturgeon hat daher nun gut lachen. Ed Miliband hingegen nicht. Fünf Jahre lang hatte er seine Partei zusammengehalten, im Wahlkampf konnte er sein negatives Image loswerden. Seinem Versprechen, gegen die Ungleichheiten der britischen Klassengesellschaft zu handeln, wurde vielerorts geglaubt. Um so mehr zog er sich den Zorn der rechten Hetzpresse zu. Ein halbwegs linker Reformer an der Spitze des Landes war für deren Besitzer wie das rote Tuch für den Stier. Miliband suchte die Gründe für das schlechte Abschneiden seiner Partei nun aber bei sich selbst und trat als Labour-Chef zurück. »Das ist nicht die Rede, die ich halten wollte«, sagte Miliband und bat für sein Scheitern um Entschuldigung. Die Partei müsse sich nun erneuern. »Wir sind früher schon zurückgekommen, und diese Partei wird wieder zurückkommen.«

Von den Wählern tatsächlich bestraft, wurden die Liberaldemokraten. Parteichef Nick Clegg behielt nur knapp seinen Wahlkreis in Sheffield mit Hilfe konservativer Leihstimmen. Wirtschaftsminister Vince Cable und Danny Alexander, rechte Hand des konservativen Finanzministers George Osborne, verloren dagegen ihr Mandat. Im Gegensatz zu den gefallenen Labour-Granden sind ihnen jedoch einträgliche Direktorenposten gewiss.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 9. Mai 2015


Zwei Unionen in Gefahr

Katja Herzberg zum Ausgang der britischen Parlamentswahl **

David Cameron sollte sich nicht zu früh darüber freuen, das sogenannte Vereinigte Königreich weiterregieren zu können. Das Ergebnis der Parlamentswahl ist trügerisch. Camerons Tories profitierten vom Mehrheitswahlrecht: Sie haben prozentual am wenigsten Stimmen hinzugewonnen, aber mehr Sitze als zuvor und nun sogar die absolute Mehrheit. Die eigentlichen Wahlsieger sind aber die pro-europäische Schottische Nationalpartei (SNP) und die EU-Feinde von UKIP. In den Ergebnissen der beiden zeigt sich die größte Herausforderung, der Cameron, Großbritannien und die EU nun gegenüberstehen.

Spätestens 2017 werden die Briten in einem Referendum gefragt, ob das Königreich die EU verlassen soll oder nicht. Der Ausgang ist völlig offen, auch wenn Umfragen bislang stets bestätigten, dass die Mehrheit der Inselbewohner Teil der Union bleiben wollen. Der Konflikt wird sich mit dem jetzigen Wahlergebnis jedoch verschärfen. Großbritannien steht damit auch vor der Frage nach der Einheit des Landes. Denn Schottland würde bei einem »Brexit« noch stärker nach seiner Unabhängigkeit streben.

Bei der Entscheidungsfindung könnten die EU-Institutionen und Mitgliedsländer helfen. Indem sie den Menschen auch in England, Wales und Nordirland eine Perspektive hin zu einem sozialen, solidarischen und friedlichen Europa bieten, würden sie zwei Unionen gleichzeitig retten. Doch wie in Britannien gibt es dafür offenbar derzeit keine parlamentarischen Mehrheiten.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 9. Mai 2015 (Kommentar)


Tories gewinnen überraschend

Nach den Parlamentswahlen in Großbritannien kann Premierminister David Cameron allein weiterregieren

Von Christian Bunke, Manchester ***


Großbritannien wird in den nächsten Jahren von einer konservativen Alleinregierung geführt werden. Am Freitag nachmittag wurde der 330. gewonnene Sitz der Tories im Londoner Unterhaus verkündet. Die Regierungskoalition aus Liberaldemokraten und Tories ist vorerst beendet. Nun beginnt eine Ära der Instabilität.

In Schottland holte die Scottish National Party (SNP) 56 Sitze. Das sind 50 Mandate mehr als bei der letzten Wahl 2010. Die sozialdemokratische Labour Party verlor bis auf einen alle Sitze in Schottland. Damit zahlte die Partei den Preis für ihre gemeinsame Kampagne mit den Konservativen während des Unabhängigkeitsreferendums im vergangenen Jahr. Die SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon sagte gegenüber BBC, ihre Partei habe ein klares Mandat, um Schottland in Westminster zu vertreten und dort gegen Sparpolitik aufzutreten.

In England konnten die Tories sich gegen die rechtspopulistische UK Independence Party (UKIP) durchsetzen. UKIP zieht nur mit einem Abgeordneten in das Unterhaus in Westminster ein. UKIP-Vorsitzender Nigel Farrage konnte sich im Wahlkreis South Thanet nicht gegen den konservativen Kontrahenten durchsetzen. Kurz darauf trat er als Parteichef zurück.

Allerdings hat UKIP insgesamt über vier Millionen Stimmen bekommen. Viele davon in englischen Arbeiterwahlkreisen. Vielerorts erzielten die Rechtspopulisten den zweiten Platz. Wenig überraschend forderten UKIP-Vertreter am Freitag eine Wahlrechtsreform und die Abschaffung des bisherigen »First past the post«-Systems. Dieses sieht vor, dass nur der Kandidat mit den meisten Stimmen in einem Wahlkreis ins Unterhaus einzieht.

In den letzten Tagen vor der Abstimmung richtete sich die Kampagne der Tories gegen die UKIP. Sie riefen enttäuschte konservative Wähler dazu auf, »nach Hause« zurückzukehren. Das wurde mit dem Aufbau eines Bedrohungsszenarios kombiniert. Es gelte eine Mehrheit aus SNP und Labour zu verhindern. Ähnliches postulierten fast alle bürgerlichen britischen Tageszeitungen am Tag vor dem Urnengang. Deswegen votierten schließlich viele potentielle konservative UKIP-Wähler für die Tories.

David Cameron wird zukünftig unter dem Druck des rechten Flügels seiner Partei stehen. Die konservative Mehrheit ist äußerst gering. Die Tories können sich keine parteiinternen Querelen leisten. Doch mit solchen drohen Camerons Widersacher. Ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union wird somit immer wahrscheinlicher.

Ein solch Schritt wird dem britischen Bürgertum und der mächtigen City of London Kopfschmerzen bereiten. Die Financial Times hoffte zuletzt auf eine Fortsetzung der konservativ-liberaldemokratischen Koalition. Das sei die bestmögliche Regierung für die notwendige Sparpolitik, wobei die Liberaldemokraten die EU-feindlichen Elemente der Tories ausbremsten, schrieb das Blatt am 30. April. Doch die Liberaldemokraten haben nur noch acht Sitze, ein Verlust von 46. Sie wurden für ihre Regierungsbeteiligung und gebrochene Wahlversprechen abgestraft.

Das Wahlergebnis ist eine Katastrophe für Labour. Der Verlust von Schottland ist historisch. Doch auch in England und Wales verlor die Partei. »Wir haben unsere Stammwähler in der Arbeiterklasse verloren«, sagte der ehemalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone am Freitag der BBC. Die Gründe sind offensichtlich: Die Partei führte einen teilweise ausländerfeindlichen Wahlkampf, sprach sich für Sozialabbau und Kürzungen aus. Auch blies sie zum Angriff auf Erwerbslose. Dafür erhielt sie nun die Quittung. Der größte Schock in England war, dass Schattenfinanzminister Edward Balls seinen Wahlkreis in Leeds an eine konservative Politikerin verlor.

Es ist auch eine Niederlage der britischen Gewerkschaften. Diese sind die größten Sponsoren von Labour und konnten dennoch das Parteiprogramm nicht in einem gewerkschaftlichen Sinn beeinflussen. Allein die Gewerkschaft UNITE gab über vier Millionen Pfund Sterling für den Wahlkampf der Sozialdemokraten aus. Die Frage ist nun, ob die Gewerkschaften weiter an Labour festhalten und welche Position sie gegenüber der SNP in Schottland einnehmen werden.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 9. Mai 2015


Cameron Sieg löst politischen Erdrutsch aus

Miliband tritt als Labour-Chef zurück / Cameron und Tories holen absolute Mehrheit / UKIP-Chef Farage und Vorsitzende der Liberaldemokraten Clegg ziehen sich ebenfalls zurück ****

Update 13.40 Uhr: Der britische Labour-Chef Ed Miliband ist nach der Wahlniederlage der Sozialdemokraten von seinem Posten als Parteivorsitzender zurückgetreten. Er übernahm am Freitag die alleinige Verantwortung für das Wahlergebnis und gratulierte Premierminister David Cameron, der mit seiner Konservativen Partei eine absolute Mehrheit im Unterhaus gewonnen hat.

»Das ist nicht die Rede, die ich halten wollte«, sagte Miliband und bat für sein Scheitern um Entschuldigung. Die Party müsse sich nun erneuern. »Wir sind früher schon zurückgekommen, und diese Partei wird wieder zurückkommen.«

Miliband hatte den Parteivorsitz 2010 übernommen, nachdem Labour mit dem früheren Premierminister Gordon Brown an der Spitze die Parlamentswahl verloren hatte. Er setzte sich im Rennen um den Posten knapp gegen seinen Bruder David Miliband durch, der unter Brown Außenminister gewesen war und eigentlich als aussichtsreicherer Kandidat gegolten hatte. Bis ein neuer Parteichef gewählt ist, wird die stellvertretende Parteivorsitzende Harriet Harman Milibands Posten übernehmen.

Im Vergleich zu 2010 hat Labour mehr als 20 Sitze im Parlament verloren. Besonders zu schaffen machte der Partei der Sieg der sozialdemokratischen Nationalpartei in Schottland, wo bisher auf nationaler Ebene überwiegend Labour gewählt worden war.

Update 13.00 Uhr: Nach dem schlechten Abschneiden der Liberaldemokraten und der United Kingdom Independence Party (Ukip) bei der britischen Parlamentswahl sind deren Vorsitzenden, Nick Clegg und Nigel Farage, zurückgetreten. Die Wahlergebnisse seien »vernichtend«, sagte Clegg am Freitag vor seinen Anhängern und verkündete seinen Rücktritt. Der Vorsitzende der Liberaldemokraten, der in der bisherigen Regierung Vize-Premierminister war, hatte bei dem Urnengang am Donnerstag seinen Wahlkreis zwar verteidigt. Seine Partei stürzte aber in der Wählergunst massiv ab.

Ukip-Chef Farage verpasste seinerseits den Einzug ins Parlament. Laut den am Freitag veröffentlichten Ergebnissen scheiterte er im südenglischen Wahlkreis South Thanet gegen den Kandidaten der Konservativen Partei von Regierungschef David Cameron. Der 51-Jährige gab daraufhin seinen Rücktritt als Parteichef bekannt. Er hatte bereits vor der Parlamentswahl angekündigt, im Falle einer Niederlage zurückzutreten.

»Ich fühle ein enormes Gewicht von meinen Schultern genommen«, sagte Farage. Zugleich bekräftigte er seine Überzeugung, dass die Zeit für eine »echte radikale politische Reform« gekommen sei. Die Niederlage von Farage ist ein heftiger Schlag für die europafeindliche Ukip, die auch immer wieder mit rechtspopulistischen Parolen für Diskussionen sorgt. Auch in mehreren anderen Wahlkreisen, in denen die Ukip auf einen Sieg gehofft hatte, scheiterte die

Update 12.35 Uhr: Die Konservative Partei von Premierminister David Cameron hat die für eine Alleinregierung nötige absolute Mehrheit im britischen Unterhaus gewonnen. Die Tories erreichten am Vormittag die Schwelle von 325 der 650 zu vergebenden Mandate; vier Sitze aus Nordirland bleiben traditionell unbesetzt.

Update 12.30 Uhr: Der Chef der EU-feindlichen, rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (Ukip), Nigel Farage, hat es nicht ins neue britische Parlament geschafft. Laut den am Freitag veröffentlichten Ergebnissen scheiterte er in dem Versuch, den südenglischen Wahlkreis South Thanet zu erobern. Im Vorfeld der Parlamentswahl hatte Farage angekündigt, im Falle einer Niederlage vom Parteivorsitz zurückzutreten. »Vor fünf Jahren lag ich am Wahltag nach einem Flugzeugabsturz auf der Intensivstation. Verglichen damit geht es mir verdammt gut.«

Für den Fall diese Niederlage hatte Farage vor der Wahl angekündigt, als UKIP-Vorsitzender zurückzutreten.

Update 11.00 Uhr: Der bei der Parlamentswahl in Großbritannien deutlich unterlegene Herausforderer Ed Miliband tritt nach Informationen der BBC als Vorsitzender der sozialdemokratischen Labour-Partei ab. Der Fernsehsender nannte keine Quellen. Miliband hat für den Mittag eine Erklärung angekündigt. Er ist seit 2010 Labour-Chef, nachdem er seinen Bruder David bei einem Parteitag im Rennen um den Vorsitz knapp überflügelt hatte. Bei der Parlamentswahl enttäuschte er. Mit rund 230 Sitzen erzielte Miliband ein deutlich schlechteres Ergebnis als sein Vorgänger Gordon Brown im Jahr 2010. Labour hatte damals 258 Mandate geholt.

Update 9.40 Uhr: Großbritanniens Premierminister David Cameron ist als großer Sieger aus der Parlamentswahl am Donnerstag hervorgegangen. Cameron und seine konservativen Torys werden künftig regieren können, ohne auf einen Koalitionspartner angewiesen zu sein. Am Morgen lag die Konservative Partei mit 304 gewonnenen Sitzen uneinholbar vor der Labour-Partei mit 222 Sitzen. Laut Prognosen reicht es für Cameron sogar zur absoluten Mehrheit: Seiner Partei werden bis zu 329 der 650 Mandate im Unterhaus vorhergesagt.

Der Labour-Politiker Ed Miliband, dem von Meinungsforscher bis unmittelbar vor Öffnung der Wahllokale gute Chancen auf eine Ablösung Camerons in der Downing Street vorhergesagt worden waren, wurde zum großen Verlierer der Wahl. Die von ihm seit fünf Jahren geführten Sozialdemokraten kommen nur noch auf rund 230 Sitze und unterbieten damit noch ihr schlechtes Ergebnis von 2010, als sie 258 Parlamentarier stellten.

Zu den Verlierern zählen auch die bisher mitregierenden Liberaldemokraten. Ihre bisher 57 Mandate reduzieren sich auf nur noch etwa ein Dutzend. Als strahlende Siegerin steht hingegen die Vorsitzende der schottischen Unabhängigkeitspartei SNP, Nicola Sturgeon, da. Die SNP errang in Schottland 56 der 59 Sitze und stellt damit künftig die drittstärkste Fraktion in Westminster.

Update 7.30 Uhr: Berlin. David Cameron wird wohl Premierminister von Großbritannien bleiben. Sein Herausforderer Ed Miliband muss als amtierender Chef der Labour-Partei bei der britischen Parlamentswahl empfindliche Verluste verkraften.

Bleibt Cameron im Amt, droht ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Darüber will er die Briten im Jahr 2017 in einem Referendum abstimmen lassen. Die Tories, die bislang über 302 Sitze verfügten, dürften aber erneut einen Koalitionspartner brauchen. Die konservative Partei erreichte laut Nachwahlbefragungen 316 Sitze und verfehlten damit knapp eine absolute Mehrheit von 326 der 650 Mandate im Unterhaus. Die Labour-Partei kam demnach auf 239 Sitze. Cameron könnte daher die nordirische Democratic Unionist Party (DUP) mit ins Boot holen, die den Prognosen zufolge acht Mandate errang. Die walisische Partei Plaid Cymru kommt den Angaben zufolge auf vier Sitze, die Grünen auf zwei.

Miliband räumte ein, seine Ziele verfehlt zu haben. Er sprach am Freitagmorgen von einer »enttäuschenden Nacht« für seine Partei. »Wir haben nicht die Gewinne in England und Wales erreicht, die wir erhofft hatten.« Und in Schottland habe es einen deutlichen Anstieg nationalistischer Interessen gegeben. Die nächste Regierung habe eine große Verantwortung, alle Teile des Königreiches zusammenzuhalten. Miliband war mit dem Ziel angetreten, die Regierung von Premierminister David Cameron abzulösen. Noch in der Nacht wurden Spekulationen über einen baldigen Rücktritt von Labour-Chef Ed Miliband laut.

Sollte sich die Prognose bestätigen, liebäugelt Cameron eventuell auch mit einer Minderheitsregierung. »Es ist ein bemerkenswerter Umschwung«, sagte Londons Bürgermeister Boris Johnson, der sein Direktmandat klar gewann und damit ins Parlament einzieht, aber sein Bürgermeisteramt behält. Die Umfragen noch am Tag der Wahl hatten einen wesentlich knapperen Wahlausgang vorhergesehen.

Die großen Sieger sind im Norden des Königreiches zu finden: Die Scottish National Party (SNP) könnte es der Prognose zufolge auf 58 von 59 schottischen Sitzen im Parlament in Westminster schaffen. Vor allem der Labour-Partei nahmen sie in deren früherer Hochburg zahlreiche Direktmandate ab.

Symptomatisch für den Wahlerfolg der SNP war der Sieg der erst 20-jährigen Mhairi Black über den Labour-Wahlkampfmanager Douglas Alexander. Ihr Erfolg im Wahlkreis Paisley and Renfrewshire South macht sie zum jüngsten Mitglied des Unterhauses seit 1667. Auch der schottische Labour-Chef Jim Murphy verlor seinen Sitz an die SNP.

SNP-Chefin Nicola Sturgeon reagierte auf Twitter zunächst zurückhaltend: »Ich hoffe auf eine gute Nacht, aber 58 Sitze sind unwahrscheinlich«, schrieb sie. Ein derart starkes SNP-Ergebnis schürt in anderen Teilen Großbritanniens die Befürchtung, dass es in Schottland schon bald einen neuen Anlauf für ein Unabhängigkeitsreferendum geben könnte.

Der Schatten-Außenminister und Labour-Wahlkampfmanager Douglas Alexander schaffte es in seinem schottischen Wahlkreis nur auf knapp 18 Prozent der Stimmen und verlor seinen Platz im Parlament an die 20-jährige Politikstudentin Mhairi Black von der SNP (51 Prozent). Sie wird als jüngste Abgeordnete seit 1667 in das britische Parlament einziehen.

Auch der schottische Labour-Chef Jim Murphy muss seinen Sitz im Parlament für die SNP räumen. Der frühere Ministerpräsident von Schottland und vermutliche Fraktionschef in Westminster, Alex Salmond, sagte: »Heute Nacht wird ein Löwe brüllen, ein schottischer Löwe, und er wird mit einer Stimme brüllen, die keine Regierung, welcher politischen Couleur auch immer, ignorieren kann.«

Ein weiterer Verlierer der Wahl scheinen die bisher mitregierenden Liberaldemokraten zu sein, die bislang Juniorpartner der Regierungskoalition mit Camerons konservativen Tories waren. Vor fünf Jahren erzielten sie mit 57 Abgeordneten-Plätzen ein gutes Ergebnis, nun werden es - der Prognose zufolge - nur noch 10. Der ehemalige Parteichef Paddy Ashdown sagte: »Wenn diese Prognose stimmt, esse ich in aller Öffentlichkeit meinen Hut.« Der liberale Parteichef Nick Clegg konnte seinen Sitz in Sheffield knapp halten.

Seine Zukunft als Parteichef ließ er zunächst offen. Wirtschaftsminister Vince Cable verlor sein Mandat im Londoner Stimmbezirk Twickenham. »Dies war eine grausame Nacht für die Liberaldemokraten und eine Abstrafung«, sagte er am frühen Freitagmorgen und kündigte Gespräche über seine Zukunft als Parteichef an.

Die rechtspopulistische Ukip mit Parteichef Nigel Farage, die einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union anstrebt, gewann laut der Prognose zwei Parlamentssitze - ebenso wie die Grünen. 2010 hatten nur 3,1 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei Ukip-Kandidaten gemacht und kein Abgeordneter war ins Parlament eingezogen. Im Herbst waren zwei konservative Parlamentarier zu Ukip gewechselt, nachdem die EU-Gegner bei der Europawahl stärkste Kraft geworden waren. Vor der Wahl hatte Farage seinen Rücktritt angekündigt, sollte es ihm nicht gelingen, sein Direktmandat zu gewinnen.

**** Aus: neues deutschland, Freitag, 8. Mai 2015


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