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Liberale zerknirscht, ein Schotte jubelt

Britisches Wahlrecht bleibt unverändert

Von Ian King, London *

Wahlen und Volksabstimmung übers Wahlrecht brachten der liberalen Regierungspartei Britanniens herbe Enttäuschungen. Dagegen triumphieren die schottischen Nationalisten unter Alex Salmond, die bei den dortigen Parlamentswahlen 69 von 129 Mandaten gewannen.

Nach einem Jahr Regierungszeit sind die letzten linksliberalen Wähler, die durch den Widerstand des früheren Parteichefs Charles Kennedy gegen den Irak-Krieg angezogen worden waren, vor allem in Nordengland wieder zu Labour übergelaufen: Die Liberalen erlitten katastrophale Niederlagen bei Kommunalwahlen in Sheffield, Hull, Newcastle und Liverpool. Im Süden verloren sie an den großen Koalitionspartner von rechts: Die Dankbarkeit konservativer Wähler gegenüber den Steigbügelhaltern der Tories hält sich offenbar in Grenzen. Und in Schottland suchten ehemalige Liberale bei den Nationalisten Unterschlupf. Die von Liberalenchef Nick Clegg als Belohnung für seine Koalitionstreue durchgesetzte Volksabstimmung zur Änderung des traditionellen Mehrheitswahlrechts sollte die gefährdeten Gelben unter Artenschutz stellen, ging aber unter kräftigem Getöse der konservativen Presse mit 31 gegen 69 Prozent verloren. Ein Debakel des kleinen Koalitionspartners auf der ganzen Linie.

Aber auch Labour-Chef Ed Miliband kann sich über durchwachsene Ergebnisse nicht freuen. 800 neue Stadträte in England und ein Sieg bei der walisischen Regionalwahl stehen auf der Habenseite. Aber Milibands biederer schottischer Statthalter Iain Gray führte einen grottenschlechten Wahlkampf. Auf dem Tiefpunkt nahm er im Glasgower Hauptbahnhof vor protestierenden Fahrgästen in einem Schnellimbiss Zuflucht. Nach dem Verlust von neun Mandaten will Gray im Herbst zurücktreten.

Die schottische SNP dagegen verwandelte ihren denkbar knappen Wahlsieg von 2007 dank dem schlagfertigen Alex Salmond in einen Triumph: Seine Landsleute verziehen ihm den Populismus und wählten Salmonds Kampfbereitschaft und Format. Während alle schottischen Labour-Größen im Londoner Parlament sitzen, konnte die zweite Garnitur dem selbstbewussten Salmond nichts entgegensetzen. Der mit 22 zusätzlichen Mandaten wiedergewählte schottische Regierungschef versprach seinen Landsleuten eine Volksabstimmung über die Trennung von England. Die wäre zwar beim augenblicklichen Stand aller Umfragen nicht zu gewinnen, doch der schlaue Schottenpremier wird sie bestimmt mit wohldosierten Konfliktmaßnahmen gegen London zu beeinflussen versuchen.

Dem in London regierenden Tory-Chef David Cameron wäre das womöglich gar nicht so unrecht. Der Südengländer mit schottischem Nachnamen könnte sich aus wahltaktischen Gründen freuen, wenn die roten Hochburgen nördlich des Grenzflusses Tweed keine weiteren Linken aus einem unabhängigen Schottland ins Londoner Parlament schickten. Tory-Siege in England würden damit noch wahrscheinlicher. Andererseits nannte sich Camerons Partei jahrelang »Conservative and Unionist« und gehört zu den heftigsten Verteidigern des Zusammenschlusses. Da fallen taktische Gesichtspunkte und kurzfristiges Denken weg.

Mag Cameron nach der Volksabstimmung die Wahlrechtsfrage in seinem Sinne gelöst haben, mag er fast allen Volkszorn über Kürzungen im öffentlichen Dienst auf den liberalen Partner abgelenkt und sogar eine Handvoll zusätzlicher englischer Stadträte gewonnen haben: Ein neuer Verfassungskonflikt mit den schottischen Nationalisten steht ihm unweigerlich bevor. Ein triumphierender Salmond ist auch von anderem Kaliber als der zerknirschte Noch-Partner Clegg.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2011

Separatist

Alex Salmond / Der schottische Ministerpräsident will die Unabhängigkeit des Landesteils

Von Aert van Riel **


Der Sieg von Alex Salmonds Nationalpartei (SNP) bei den schottischen Regionalwahlen ist womöglich ein wichtiger Etappenerfolg für die Separatisten in Schottland. Kurz nach seinem Triumph kündigte Salmond an, dass in den kommenden fünf Jahren ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien stattfinden werde. Voraussichtlich wird dies aber noch eine Weile dauern, denn derzeit hätte eine Abstimmung kaum Aussicht auf Erfolg. Etwa zwei Drittel der Schotten sprechen sich gegen die Abspaltung aus. Zudem erklärte der konservative Premierminister David Cameron, er wolle »mit jeder Faser seines Körpers« gegen den Zerfall Großbritanniens kämpfen.

Dem 56-jährigen SNP-Chef ist indes durchaus zuzutrauen, dass er in den nächsten Jahren eine Mehrheit mobilisieren kann. Einige wichtige Vorbereitungen hat der charismatische Politiker bereits getroffen. Dem ehemaligen Labour-Premierminister Gordon Brown, der wegen seiner schottischen Herkunft eine Verbindungsrolle zwischen London und Edinburgh hätte spielen können, erkannte er symbolisch die schottische Staatsbürgerschaft ab. 2010 musste der brummige Brown bei den britischen Unterhauswahlen eine herbe Schlappe einstecken und trat zurück. Als Symbolfigur für den schottischen Separatismus hat der gewiefte ehemalige Chefökonom der Royal Bank of Scotland den früheren James-Bond-Darsteller Sean Connery gewinnen können. Dieser würde im Fall der Unabhängigkeit seinen Wohnsitz von den Bahamas ins schottische Hochland verlegen.

Salmond hofft derweil, dass sich sein Land bald von der Wirtschafts- und Finanzkrise erholen wird und die Bürger davon überzeugt werden können, ohne Londons Finanzhilfen auszukommen. In jedem Fall dürfte Schottland jedoch enger Partner der Briten bleiben. Fraglich ist, ob ein unabhängiges Schottland alleine über seine Gas- und Erdölvorkommen bestimmen könnte. Zudem dürften sich handfeste Konflikte in der Außen- und Sicherheitspolitik anbahnen. Salmond, einst führendes Mitglied der sozialistischen 79 Group innerhalb der SNP, ist ein scharfer Kritiker der Kriegsbeteiligungen gegen Jugoslawien und Irak sowie der britischen Libyen-Politik.

** Aus: Neues Deutschland, 12. Mai 2011




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