Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Doppelte Niederlage

Desaster für Großbritanniens Liberaldemokraten. Partei unterliegt bei Regionalwahlen und Wahlreferendum

Von Christian Bunke, Manchester *

Der Donnerstag (5. Mai) war der erste große Test der britischen Regierungskoalition aus Konservativen und Liberaldemokraten. Neben den Stadtratswahlen in England, Regionalparlamentswahlen in Wales, Schottland und Nordirland stimmten die Briten in einem Referendum über eine Änderung des Wahlrechts ab. Die Liberalen um Vizeregierungschef Nick Clegg hatten die Reform des Abstimmungssystems im vergangenen Jahr zur Bedingung für die Zusammenarbeit mit den Konservativen um Premierminister David Cameron gemacht.

Zumindest für Cleggs Partei wurde der Donnerstag zu einem Desaster. Wenn auch noch kein endgültiges Ergebnis vorliegt, ist die Wahlrechtsreform ersten Umfragen zufolge gescheitert. Demnach sprach sich eine deutliche Mehrheit der Briten für die Beibehaltung des bisherigen Mehrheitswahlrechts aus. Die Liberalen waren für den Wechsel zu einem Alternativstimmenwahlrecht (alternative vote) eingetreten, das die Chancen kleinerer Parteien verbessern sollte. Kritiker bemängeln, daß Wahlergebnisse nach dem bestehenden Mehrheitssystem nicht die Stimmenzahl einer Partei widerspiegeln, sondern nur gewonnene Wahlkreise. Nach dem Mehrheitswahlrecht gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen den Wahlkreis, ohne eine bestimmte Prozenthürde überwinden zu müssen. Beim Alternativstimmenwahlrecht könnten die Wähler dagegen die Kandidaten nach ihrer Präferenz auf eine Rangliste schreiben. Um einen Wahlkreis zu gewinnen, muß ein Kandidat bei mindestens der Hälfte der Wähler auf Platz eins der Liste stehen.

Auch bei den Abstimmungen für die Regionalparlamente mußten die Liberaldemokraten eine Schlappe ein­stecken. Der große Sieger war die Labour-Partei. In England holte sie alle Hochburgen zurück, die in den vergangenen Jahren an die Liberaldemokraten verlorengegangen waren. Diese mußten über 300 Stadtratssitze abgeben. In Liverpool büßten die Liberaldemokraten elf von 13 Mandaten ein, die am Donnerstag zur Wahl standen. Damit kann Labour die Stadt zum ersten Mal seit Jahren wieder allein regieren. In Manchester reichte es für Cleggs Mannen nicht einmal für einen Sitz, die Stadt wird wieder rot, abgesehen von isolierten konservativen Hochburgen. Auch im Stadtparlament in Sheffield eroberte Labour wieder die Mehrheit.

Derzeit sind knapp über die Hälfte der zur Wahl stehenden Sitze ausgezählt. Es gilt aber als unwahrscheinlich, daß sich dieser Trend wesentlich ändern wird. Hätten die Briten am Donnerstag ein neues Unterhaus gewählt, Labour hätte die Mehrheit geholt. Für die Liberalen sieht es nach dem schlechtesten Ergebnis seit den 80er Jahren aus.

Die Partei reagierte auf das Desaster am Freitag mit harten internen Auseinandersetzungen. Viele der abgewählten Stadträte machten Clegg persönlich für die Niederlage verantwortlich. Der drastische Sozialabbau in Großbritannien wird vom Großteil der Briten den Liberalen zugeschoben. Die ohnehin fragile Regierungskoalition wird dadurch nicht gerade stabiler, parlamentarische Neuwahlen innerhalb der kommenden Monate werden nicht mehr ausgeschlossen.

Bei den Abstimmungen zum schottischen Regionalparlament konnte Labour hingegen nicht punkten. Hier triumphierte die Scottish National Party, die am stärksten von den Verlusten der Liberaldemokraten profitierte. Es sieht derzeit so aus, als ob die SNP eine noch nie dagewesene Mehrheit holen wird. Gegen den gekonnt agierenden Populismus des SNP-Parteichefs Alex Salmond hatte Labour nichts aufzubieten. Der SNP kam dabei auch zugute, daß sie zwar ein brutales Sparprogramm der Regierung befürwortet, die Umsetzung desselben aber auf die Zeit nach den Wahlen verschoben hat.

* Aus: junge Welt, 7. Mai 2011

68 Prozent gegen Wahlrechtsänderung

Das Ergebnis ist eindeutig: Die Wähler Großbritanniens wollen an ihrem Mehrheitswahlrecht festhalten. 68 Prozent der Abstimmenden haben sich für das "bewährte" alte System entschieden, nicht einmal ein Drittel der Wähler (32 Prozent) stimmten für ein Verhältniswahlrecht. Das ergab die amtliche Auszählung des Referendum am 7. Mai.
Immerhin gibt es - aus Sicht der Reformbefürworter - ein paar Lichtblicke: Mit "Ja" (für die Wahlrechtsänderung) stimmten mehrheitlich folgende Wahlkreise (Prozentzahlen gerundet):
  • Cambridge (54 %)
  • Camden (51 %)
  • Edinburgh Central (51 %)
  • Glasgow Kelvin (59 %)
  • Hackney (61 %)
  • Haringey (57 %)
  • Islington (57 %)
  • Lambeth (55 %)
  • Oxford (54 %)
Quelle: The Guardian-online, 8. Main 2011, mit den amtlichen Ergebnissen aus allen Wahlkreisen; www.guardian.co.uk




Zurück zur Großbritannien-Seite

Zurück zur Homepage