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Das Milliardengrab "weißer Elefant"

Großbritanniens Regierung forciert überteuerte Trident-Modernisierung

Von Wolfgang Kötter *

Anhänger der atomaren Abrüstung in aller Welt begehen heute (25.6.) den „Nuklearen Abrüstungstag“. Die Organisatoren wollen mit vielfältigen Aktionen öffentlichen Druck auf die fünf offiziell anerkannten Kernwaffenmächte USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China ausüben, die am kommenden Wochenende auf einem Treffen in Paris über nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung beraten wollen. Besonders aktiv ist die britische „Kampagne für nukleare Abrüstung“ ("Campaign for Nuclear Disarmament" – CND) und sie hat gute Gründe dafür, denn die Regierung in London treibt das milliardenschwere Modernisierungsprojekt der atomaren Trident-U-Boot-Flotte voran.

“Trident ist ein ruinöser weißer Elefant, den sich unser Land nicht leisten kann“, brandmarkt Kampagnenchefin Kate Hudson die Aufrüstungspläne der Regierung. Zu Recht fällt der Ausdruck „white elephant“, denn er bezeichnet im Englischen ein nutzloses überteuertes Millionengrab. Erst kürzlich meldete die Zeitung „Scotsman“, dass die ursprünglich auf 14 Mrd. Pfund (rund 16 Mrd. €) angesetzten Kosten sich wahrscheinlich auf rund 25 Mrd. Pfund (rund 28,5 Mrd. €) erhöhen werden.

Auf jedem der auf dem schottischen Marinestützpunkt Royal Navy's Faslane-on-Clyde stationierten U-Boote "Vanguard", "Victorious", "Vigilant" und "Vengeance" lagern bis zu 16 atomare Trident-Langstreckenraketen mit insgesamt rund 200 Sprengköpfen. Ein einziger von ihnen hat die achtfache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe und jedes Boot wird zudem mit einem eigenen Nuklearreaktor angetrieben. Die U-Boote, von denen eines ständig voll aufmunitioniert im Atlantischen Ozean patrouilliert, sollen bis 2024 von einer neuen Generation abgelöst werden. Premierminister David Cameron pocht auf die noch von der Labour-Regierung unter Tony Blair beschlossene Atomrüstung als eine angebliche Rundumversicherung gegen neue Nuklearmächte, Terroristen und sogenannte Schurkenstaaten. Um die bittere Pille zu versüßen, hatte Blair damals zwar versprochen, es würden nur 3 neue U-Boote gebaut und gleichzeitig die Anzahl der Raketen verringert sowie die atomaren Sprengköpfe von jetzt 225 auf unter 160 gesenkt werden. Aber auch dieses Zugeständnis hat die Regierung inzwischen kassiert und besteht auf der Beibehaltung von vier U-Booten.

Die Umrüstung des britischen Atomarsenals war schon immer umstritten, seit die damalige Premierministerin Margaret Thatcher in den achtziger Jahren die Polaris-Raketen ausmustern und durch Trident ersetzten ließ. Vor allem die in der „Kampagne für nukleare Abrüstung“ organisierten Rüstungsgegner halten das Vorhaben für eine inadäquate Reaktion auf die enormen Sicherheitsherausforderungen, vor denen Großbritannien und die Welt gegenwärtig stehen. „Die jetzt für die nächste Phase von Trident verschleuderten Milliarden werden bei der Bekämpfung der wirklichen Bedrohungen für die Sicherheit Großbritanniens fehlen“, empört sich CND-Generalsekretärin Hudson, „und der Kostenanstieg des Projekts wird immer tiefere Einschnitte in den öffentlichen Ausgaben verursachen.“ Auch die Labour-Abgeordnete Katy Clark aus der Grafschaft North Ayrshire and Arran in Schottland kritisiert die Überteuerung und die Geheimniskrämerei der Regierung über die wirklichen Kosten. Sie fordert eine gründliche Debatte und Entscheidungsbeteiligung des Parlaments. Unerwartete Rückendeckung bekamen die Kritiker von den vier Generälen Edwin Bramall, David Ramsbotham, Hugh Beach und Patrick Cordingley, die in einem offenen Brief an die britische Zeitung „Times“ nicht nur die Trident-Modernisierung sondern das gesamte nukleare Abschreckungskonzept in Frage stellten.

Trotz anfänglicher Bedenken der Liberaldemokraten drückt die Koalitionsregierung jedoch auf Tempo. Verteidigungsminister Liam Fox verkündete kürzlich offiziell die zweite Umsetzungsphase des Projekts. „Für das langfristige Wohlergehen und die Sicherheit Großbritanniens ist eine dauerhaft auf See stationierte U-Boot-gestützte nukleare Minimalabschreckung in Form des Trident-Programms der beste Weg“, begründet der Minister die Aufrüstungsmaßnahme. Kritiker bemängeln vor allem, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, obwohl die endgültige Entscheidung des Parlaments über den U-Boot-Bau erst nach den nächsten Parlamentswahlen 2016 fallen wird. Rund 3 Mrd. Pfund (etwa 3,4 Mrd. €) sollen aber bereits vorher ausgegeben werden. Der Stahl für den ersten Bootskörper ist bereits geordert und kostenaufwendige Einzelteile wie beispielsweise die nukleare Antriebsreaktoren, hydraulische Ausrüstungen, Luftreiniger und Turbo-Generatoren sind bei den Zulieferfirmen bestellt.

Das britische Unterhaus votierte am 14. März 2007 mit großer Mehrheit für die Modernisierung des Trident-Atomwaffensystems, obwohl 95 Labour-Abgeordnete gegen ihren eigenen Premier gestimmt hatten. 409 Abgeordnete stimmten dafür, 161 votierten dagegen. Weil Blair die Abstimmung nur mit den Stimmen seiner Gegner, der Tories, gewinnen konnte, die ihn geschlossen unterstützten, wurde das Resultat als heftige Schlappe für Tony Blair angesehen, der am 27. Juni 2007 als Premierminister zurücktrat.

Die weltweite Bürgerinitiative ist Hauptorganisator des „Tages der nuklearen Abrüstung“ am 25. Juni. Es handelt sich um ein globales Netzwerk von über 200 Organisationen in 60 Ländern. Dazu gehören beispielsweis die Bürgermeister für den Frieden, die Middle Powers Initiative, das Parlamentarische Netzwerk für Abrüstung und Nichtverbreitung und Abolition 2 000.

Die Abrüstungsaktivisten halten den Abschluss einer Nuklearwaffenkonvention, die die Atomwaffenstaaten verpflichtet, ihre Arsenale abzurüsten, und den Erwerb von Kernwaffen für alle Staaten verbietet, für den effektivsten und praktikabelsten Weg, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Sie unterstützen die Umsetzung des amerikanisch-russischen Neu-START-Vertrages und fordern, dass der umfassende Atomwaffenteststoppvertrag als längst überfälliger Schritt in Kraft tritt.

Andere dringende Aufgaben wären der Abzug der taktischen US-Atomwaffen aus Europa, ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material, die Senkung der Alarmbereitschaft für Atomwaffen, ein Stopp der Modernisierung von Atomwaffen sowie die Auflösung der Infrastruktur für ihre Produktion und Erprobung. Auch die Errichtung atomwaffenfreier Zonen im Nahen Osten und in Europa wären wichtige Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt.

Atomwaffenarsenale weltweit (2011)

Land Anzahl
Russland ca. 11.000
USA ca. 8.500
Frankreich 300
China 240
Großbritannien 225
Pakistan 90 - 110
Indien 80 - 100
Israel 80
KDVR 6 - 12
gesamt ca. 20.530

Quellen: SIPRI 2011, Bulletin of the Atomic Scientists

* Dieser Beitrag erschien gekürzt in: Neues Deutschland, 25. Juni 2011


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