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Schottland diskutiert über Unabhängigkeit

Britische Regierung drängt auf rasche Abstimmung. Regionalkabinett will mehr Zeit

Von Christian Bunke, Manchester *

In Großbritannien hat sich in den vergangenen Tagen die Debatte über eine mögliche Selbständigkeit Schottlands zugespitzt. Das wurde durch den Versuch der konservativ-liberaldemokratischen Koalitionsregierung provoziert, ein Referendum über die Unabhängigkeitsfrage innerhalb der kommenden 18 Monate zu erzwingen.

Dem steht der Plan der von der Scottish National Party (SNP) geführten Regionalregierung unter dem First Minister Alex Salmond entgegen. Die Partei favorisiert ein Referendum im Jahr 2014. Nur so sei ein angemessener Zeitraum für die Debatte vor dieser »historischen Entscheidung« gesichert, so die SNP in einer Pressemitteilung.

In Schottland ist man über den Vorstoß aus dem südenglischen London verärgert. Das Verhalten der Tory-geführten Regierung sei »Thatcheresque«, so Salmond in einer Stellungnahme. Die derzeit bei 39 Prozent liegende Unterstützung für die Unabhängigkeit durch die schottische Bevölkerung werde auf diese Weise nur gesteigert. Überhaupt gebe es in Schottland mehr Pandabären als Parlamentsabgeordnete der konservativen Partei. Damit spielte Salmond darauf an, daß die Tories in Schottland nur einen Abgeordneten haben, im Zoo von Edinburgh aber zwei Pandas wohnen. Die Konservativen sind insbesondere in der arbeitenden Bevölkerung unter anderem wegen der Zerstörung schottischer Industrie während der Thatcher-Zeit unbeliebt.

Warum hat es die britische Regierung mit der Unabhängigkeitsfrage so eilig? Sie hofft, damit eine Niederlage für die SNP erzeugen zu können. Der Vorschlag aus London sieht vor, nur mit »Ja« oder »Nein« über die komplette Unabhängigkeit Schottlands abstimmen zu können. Damit hofft sie, jene Wähler, die zwar für eine weitgehende Autonomie, aber gegen eine völlige Unabhängigkeit sind, zu einem »Nein« zwingen zu können.

Die SNP möchte in dem von ihr favorisierten Referendumsmodell mehr Möglichkeiten anbieten. Unter anderem soll auch die sogenannte »Devolution Max« zur Auswahl stehen – eine weitgehende Autonomie ohne völlige Unabhängigkeit. Schottland würde dann Teil eines britischen Staatenbundes. »Devolution Max« gilt als Sicherheitsnetz, da nach wie vor nur eine Minderheit der dortigen Bevölkerung für eine völlige Unabhängigkeit ist.

Die schottische Frage hat auch in England nationalistischen und regionalistischen Gefühlen neuen Auftrieb gegeben. 80 Prozent sind der Meinung, daß schottische Abgeordnete nicht über Dinge mitentscheiden sollten, die nur das Territorium Englands betreffen. Vergangene Woche wurde ein neuer bürgerlicher Thinktank gegründet, der ein nordenglisches Regionalparlament mit Autonomierechten fordert. In der Bankenwelt der City of London wiederum wurde Anfang Januar die Idee, England finanztechnisch in eine neue Schweiz umzubauen, neu aufgelegt.

Die überwiegende Mehrheit des politischen Establishments sieht diese Entwicklung mit Sorge. Kommt es in Schottland zu einem Referendum, wird eine Einheitsfront aus Labour, Tories und Liberaldemokraten eine groß angelegte »Nein«-Kampagne führen. Doch aus bürgerlicher Sicht ist Schottland in den Händen der SNP sicher. Sie führte die bisherigen 3,7 Milliarden Pfund schweren Kürzungen ohne Widerstand aus.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2012


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