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Eine alte Frau langweilte das Parlament

Königin Elizabeth hielt eine Thronrede / Soziale Grausamkeiten und ein Feiertag mehr

Von Ian King, London *

Einmal im Jahr setzt sich Elizabeth Windsor die Staatskrone auf, steigt mit dem Gemahl in ihre golden Kutsche, lässt sich zum Oberhaus fahren und verliest dort mit gelangweilter Stimme die Thronrede; auch am Mittwoch wieder.

Man kann’s ihr schlecht verübeln, schließlich macht sie’s schon seit 60 Jahren, und den Vortrag darf sie nie selber schreiben. Sie bekommt ihn vom Premier, diesmal David Cameron. Dann kehren Elizabeth und Philip zum Bu᠆ckingham-Palast zurück, sie schaut sich im Fernsehen Pferderennen an - das Volk hat’s auszubaden.

Nach katastrophalen Niederlagen der rechten Koalition bei den Kommunalwahlen, nach der Abwahl Nicolas Sarkozys und der Athener Regierung hätte man beim Premier und seinem liberalen Stellvertreter Nick Clegg vielleicht Einsicht erwartet. Etwa so: Zu schnell, zu grausam gekürzt, bei Minuswachstum kommen wir dem Defizit niemals bei, Steuersenkungen für Reiche waren das falsche Signal, die Nachfrage muss durch eine Senkung der Mehrwertsteuer stimuliert werden, die Maßnahmen gegen Kranke und Arbeitslose waren unsozial.

Davon war aber nichts zu hören. Stattdessen wurden Deregulierungsmaßnahmen angedroht, im Sinne der US-amerikanischen Politik von »Heuern und Feuern«. Denn wenn Arbeitgeber ihr Personal einfacher entlassen können, sind sie bereit, mehr Mitarbeiter einzustellen, intonierte die Monarchin. Schließlich hat man sie in 60 Jahren nie gefeuert.

Wo brennt’s sonst? Das Oberhaus muss reformiert werden, verlas die Queen, die auf Erbrecht begründete Kammer sei in ihrer Zusammensetzung nicht mehr zeitgemäß. (Schon gut, Elizabeth, Ihnen will niemand an den Hermelinkragen.) So sollen bald 80 Prozent der Lords durch Verhältniswahlrecht gewählt und ihre Gesamtzahl, etwa 800, erheblich reduziert werden. Alle Parteien haben bei der letzten Parlamentswahl eine solche Reform befürwortet. Was könnte dagegen sprechen? Nur dies: Eine lauthals protestierende Minderheit der Tory-Hinterbänkler ist mit dem heutigen undemokratischen Tatbestand zufrieden und lehnt die Reform ab. Die Labour-Opposition wittert einen taktischen Vorteil. Um die Gesetzesvorlage durchs Unterhaus durchzupeitschen, braucht die Regierung eine parlamentarische Terminabsprache aller drei Hauptfraktionen. Aber Labour könnte im trauten Verein mit den Tory-Rechtsaußen die Absprache verhindern und damit Camerons sonstige Gesetzespläne lahmlegen. Kurz: Die Reform wäre bestenfalls kalter Kaffee, führte sonst zur Blockade des Regierungsprogramms.

Die EU-Partner sollen bei Hilfsaktionen kein Geld aus London bekommen, verlas die Queen. (Der griechische Ehemann an ihrer Seite ließ sich dabei nichts anmerken.) Die Renten im öffentlichen Dienst sollen noch einmal reformiert - dreimal darf man raten, ob sie großzügiger oder knausriger kalkuliert werden sollen - sowie eine nationale Verbrechensbekämpfungsbehörde eingerichtet werden. Ähnliches hat Labour schon 2006 eingeführt, aber die neue Institution bekommt - einen neuen Namen. Das wird alle Kriminellen sicher abschrecken.

Eine gute Nachricht gab’s zuletzt. Wegen dem 60. Jahrestag von Frau Windsors Thronbesteigung gibt’s Anfang Juni einen weiteren Ferientag. So hat die Regierung ihre Entschuldigung parat, wenn das Bruttoinlandsprodukt zum dritten Mal in Folge sinkt: Elizabeth war an dem Produktionsausfall schuld. Und - die Queen strahlte beinahe - sie wird im Jubiläumsjahr nicht nur an Feiern im Königreich teilnehmen, sondern andere Länder im Commonwealth besuchen. Mit einem vermutlich milderen Klima.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 11. Mai 2012

Streik und Proteste in Großbritannien

London. Aus Protest gegen die geplante Rentenreform sind in Großbritannien am Donnerstag Hunderttausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in einen Streik getreten. Die Mitarbeiter von Schulen, Krankenhäusern und anderen Behörden verliehen mit dem 24stündigen Ausstand ihrem Unmut über die Rentenpläne der konservativen Regierung Ausdruck. Diese will das Rentenalter im öffentlichen Dienst von 60 auf 67 Jahre anheben und Versicherungsbeiträge erhöhen. Die Gewerkschaften kritisieren, daß ihre Mitglieder damit für weniger Geld mehr arbeiten müssten. Sie hofften auf 400000 Teilnehmer an dem Streik.
Zugleich protestierten am Donnerstag rund 32000 Polizisten auf einer Kundgebung in London gegen Gehaltskürzungen. Die Regierung hat bereits angekündigt, sowohl an der Rentenreform als auch an den geplanten Kürzungen festhalten zu wollen.
(junge Welt, 11.05.2012)




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