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London will Migranten abschrecken

Britische Regierung plant Negativkampagne in Rumänien und Bulgarien

Von Elisa Elschner, London *

Angesichts des schlechten Wetters lohnt sich ein Umzug nach Großbritannien nicht. Mit dieser Botschaft will sich das Königreich Rumänen und Bulgaren fernhalten. Wer trotzdem kommt, soll bald wieder gehen. Die Debatte wird von den Ländern der Schengenzone aufmerksam verfolgt.

Der britische Premierminister David Cameron befindet sich wieder unter massivem Druck aus den eigenen Reihen, diesmal geht es um das Thema Einwanderung. Angesichts der Öffnung der britischen Grenzen für EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien im Dezember dieses Jahr, wächst in Großbritannien die Angst vor unkontrollierbarer Einwanderung. Entsprechend wurde am Montag bekannt, dass Downing Street und das britische Innenministerium an Maßnahmen arbeiten, Einwanderern aus den beiden osteuropäischen Ländern den Zugriff auf das britische Sozialhilfesystem zu erschweren.

Dazu zählt, Migranten dazu aufzufordern, das Land zu verlassen, sollten sie nach drei Monaten noch keine Anstellung gefunden haben. Frei nach dem Motto »Vorsorge ist besser als Nachsorge« diskutieren Abgeordnete auch eine mögliche Negativwerbekampagne in Bulgarien und Rumänien. Dabei sollen potenzielle Einwanderer durch Großbritanniens schlechtes Wetter, niedrige Löhne und mangelnde Berufsaussichten davon abgehalten werden, die britische Insel als neue Heimat in Betracht zu ziehen.

Zwar wies ein Regierungssprecher darauf hin, dass die Koalition nach Öffnung der Grenzen keine dramatischen Einwanderungsströme aus Bulgarien und Rumänien erwarte. Doch sei sich die Regierung bewusst, dass Migration ein wichtiges Thema für Parlamentarier und ihre Wähler sei. Steward Jackson, Tory-Abgeordneter, betonte gegenüber der Zeitung »Observer«, dass er einen Gesetzentwurf im britischen Unterhaus einbringen werde, um die Regierung unter Zugzwang zu setzen. Sein Parteikollege Priti Patel sagte gegenüber der »Financial Times«: »Wir müssen aus den Fehlern der Labour Regierung lernen. Ihre Entscheidung, Migration aus Polen, Ungarn und Tschechien zu erlauben, hat uns nichts Gutes gebracht.« Eric Pickles, Minister für Kommunen, warnte zudem vor Wohnungsknappheit, sollte die Zuwanderung nicht eingeschränkt werden können.

Gleichzeitig ruft der britische Agrarsektor lauthals nach Arbeitskräften aus dem Ostblock. Ein Mangel an billigen Obstpflückern soll dem Sektor in diesem Jahr Verluste von 3,5 Milliarden Euro einbringen. Statt Engpässe mit Arbeitern aus der EU zu überbrücken, planen die Minister ein größeres Volumen an Gastarbeitern aus Russland, der Türkei und Ukraine zu erlauben. Großbritannien hat 2005 beschlossen, die Migration aus Bulgarien und Rumänien bis Dezember 2013 zu begrenzen. Die EU-Rechtslage erlaubt es der britischen Regierung nicht, die Einwanderungskontrollen gegenüber EU-Bürgern aus den beiden Ländern zu verlängern, auch wenn es nicht dem Schengen-Raum angehört. Das Abkommen ist allgemeines EU-Recht, doch Großbritannien und Irland bestehen weiterhin auf Grenzkontrollen.

Die Migration aus Bulgarien und Rumänien wird auch in Brüssel und anderen Mitgliedstaaten aufmerksam beobachtet. Vor allem die Niederlande, Finnland, Deutschland und Frankreich sträuben sich gegen die volle Mitgliedschaft der beiden Länder. Grund dafür ist nicht nur die Angst vor erhöhter Einwanderung, sondern auch die hohe Kriminalitätsrate in den beiden 2007 der EU beigetretenen Ländern. Eine Entscheidung der EU zu diesem Thema wird nicht vor März 2013 erwartet. Dafür brachte der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich in einem Interview mit der »Freien Presse« auch die Einrichtung eines EU-weiten Einreiseregisters nach US-amerikanischem Vorbild in die Debatte ein. Offene Grenzen in Europa seien zwar ein Gewinn für alle Bürger, »aber wir brauchen ein größeres Bewusstsein dafür, dass wir unsere Grenzen sichern müssen«, so Friedrich.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 02. Februar 2013


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