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Zum Vorbild gezwungen

Die Inselgruppe Tuvalu könnte in 50 Jahren von der Landkarte verschwinden. Vom Untergang bedroht, wird die Nation immer umweltbewußter

Von Stephen Leahy/IPS *

Daß die Zukunft der Menschheit nun doch in der Energiegewinnung durch Gülletanks liegt, das soll die Welt von ihrem zweitkleinsten Land lernen. Und zwar so schnell wie möglich. Der mit dem Klimawandel ansteigende Meeresspiegel nämlich spült das in der Südsee gelegene Tuvalu nach Lage der Dinge binnen 50 Jahren von der Landkarte. Den 11000 Inselbewohnern bleibt also wenig Zeit für Vorbildhaftigkeit. Sie halten sich ran. Und werden tatkräftig von westlichen Ökoaktivisten unterstützt, denn natürlich ist das Untergangsszenario eine mediale Steilvorlage.

»Ärger im Paradies«

»Die erste Biogas-Installation auf einer der Koralleninseln ist fertig«, teilt etwa Gilliane Le Gallic hocherfreut mit. Sie ist die Vorsitzende von Alofa Tuvalu, einer Pariser Gruppe, die eng mit der Regierung Tuvalus zusammenarbeitet. Die Anlage auf einem kleinen Eiland nahe der tuvaluischen Hauptstadt Funafuti produziert aus der Gülle von etwa 60 Schweinen Gas zum Kochen. Gut 40 Tuvaluanern wurde im hier dafür neu eröffneten »Tuvalu National Training Centre« der Umgang mit den erneuerbaren Energien nahegebracht.

»Wir arbeiten an einfachen, praktikablen Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung, die sich auch anderenorts realisieren lassen«, sagt Le Gallic. Als Regisseurin des Dokumentarfilms »Ärger im Paradies« hat sie sich ausgiebig mit der Zwangslage Tuvalus befaßt, wahrscheinlich als erste Nation vom Klimawandel ausgelöscht zu werden. 2004 entwickelte sie mit einigen Partnern einen Zehnjahresplan, der den Tuvaluern helfen soll, auf dem Land ihrer Vorfahren zu überleben. Der Plan hat den Titel »Small is beautiful«. Le Gallic: »Ich glaube, Tuvalu kann ein wichtiges Symbol und ein Beispiel für die Welt werden.«

Die frühere britische Kolonie mit ihren neun Atollen ist insgesamt rund 26 Quadratkilometer groß und liegt höchstens vier Meter über dem Meeresspiegel. Die meisten Tuvaluer leben nur einen oder zwei Meter über dem Meeresspiegel. Nach Erkenntnissen des »South Pacific Sea Level and Climate Monitoring Project« ist der Meeresspiegel allein in den vergangenen zwölf Jahren um zehn Zentimeter gestiegen.

Die Angst vor dem »Tag X« hat bereits 4000 Tuvaluer zum Verlassen ihrer Heimat gebracht. Sie leben jetzt auf Neuseeland, es gibt ein Aufnahmeabkommen. Eine weitere Biogasanlage, die mit menschlichen Fäkalien betrieben werden soll, entsteht derzeit in Funafuti, wie Sarah Hemstock von SH Solutions, eine Forschungseinrichtung, die auf die umweltfreundliche und nachhaltige Energiegewinnung spezialisiert ist. Straßenlampen auf Solarbasis, Kompostierungstoiletten und Windprojekte sind geplant.

Die Umsetzung kostet Hemstock zufolge etwa neun Millionen US-Dollar. Auch sie setzt auf Low Tech – auf einfachste Geräte, die entsprechend leicht zu reparieren sind. Entscheidend sei, daß die Techniken in die Kulturen paßten und daß die Bevölkerung sie annehme und im Umgang geschult werde.

Dieser Prozeß könne Jahrzehnte dauern, erklärt Hemstock mit Blick auf ein Solarprojekt auf Tuvalu, das nach zwölf Jahren aus einem einfachen Grund gescheitert ist: Die Bevölkerung verfügte weder über das Wissen noch die Mittel zur Wartung der Anlage.

Hier oder nirgends

Seither allerdings sei das Umweltbewußtsein der Insulaner ernorm gewachsen, sagt Hemstock. Die Leute hätten Müll gesammelt, ein Biodiesel-Projekt auf der Basis von Kopra – das getrocknete Kernfleisch von Kokosnüssen – initiiert und landwirtschaftliche Grundlagen wiedererlernt. Hemstock: »Wenn hier keine nachhaltige umweltbewußte Gesellschaft geschaffen werden kann, dann geht das nirgendwo.«

Ursprünglich lebten die Inselbewohner vom Fischfang und der Landwirtschaft, die dann durch Lebensmittel- und Brennstoffimporte zurückgedrängt wurde. Einziger Exportschlager war und ist das Domain-Länderkürzel .tv. Generell leidet die Monarchie unter einem Müllproblem – der Abfall kann bis heute nirgends deponiert und sortiert werden. »Tuvalu wird immer Hilfe von außen brauchen«, ist Hemstock sicher.

Allerdings hat die Nation von Umweltflüchtlingen keinen Anspruch auf Mittel aus dem im Kyoto-Protokoll verankerten »Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung« (Clean Developmant Mechanism, CDM). Ausdrücklich zielt dieses Vertragswerk nicht nur auf Umweltprojekte, sondern auch auf entwicklungspolitische Projekte mit Klimaschutzwirkung. »Weltweit fließen Hunderte Millionen Dollar in CDM-Projekte«, erklärt Hemstock, »aber nicht ein einziger in die Vorhaben auf Tuvalu«. Der Grund ist so einfach wie hanebüchen: Das Inselreich produziert keine Treibhausgase.

* Aus: junge Welt, 2. August 2007


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