Turkmenistan will sich aus dem "Antiterrorkrieg" der USA heraushalten
Informationen über einen mittelasiatischen "Ausnahmefall". Von Irina Wolkowa, Moskau
Die ehemaligen sowjetischen Republiken Mittelasiens sind erst mit dem US-Krieg gegen Afghanistan ins allgemeine Bewusstsein gedrungen. Über sie ist wenig bekannt. Im Folgenden ein wenig Informationen über Turkmenistan. Den Artikel haben wir einer Serie des "Neuen Deutschland" entnommen. Originaltitel: "Mittelasiatischer Ausnahmefall Turkmenien". Je nach Quelle ist mal von "Turkmenien", mal von "Turkmenistan" die Rede.
Die Turkmenen sind bemüht, nicht in den »Antiterrorkrieg«
verstrickt werden. Aber da auch in Afghanistan viele
Turkmenen leben, dürfte das auf die Dauer schwer möglich
sein. Viele Turkmenen, wiewohl Muslime, essen Schweinefleisch, die
meisten trinken Wodka, der nicht unterm, sondern offen über dem
Ladentisch verkauft wird. Zwar wurden die Turkmenen schon seit
dem 12.Jahrhundert zum Islam bekehrt. Als Nomaden nahmen und
nehmen sie es aber mit dessen Vorschriften nicht sehr genau: Der
Schleier ist beim Melken von Schafen und Kamelen halt hinderlich.
Mit ihren ebenfalls turkstämmigen Nachbarn in Usbekistan und
Kasachstan klappt die Verständigung nur bedingt. Bei Gesprächen
mit Türkei-Türken ist ein Dolmetscher dagegen überflüssig: Deren
Vorfahren – die Oguz – wanderten auf der Suche nach neuen Weidegründen seit dem 8.Jahrhundert von
China und der Mongolei aus immer weiter nach Westen. Kleinere Gruppen blieben in den Wüsten zwischen Aralsee und dem Ostufer des Kaspischen Meeres
zurück – die Vorfahren der Turkmenen, die sich allmählich mit der alt eingesessenen iranischen
Bevölkerung vermischten und bis heute keine einheitliche Nation bilden. Jedes Schulkind kann sagen,
zu welchem der fünf verschiedenen Stämme es gehört. Seit dem 19. Jahrhundert beanspruchen die
Tekke die Führungsrolle. Sie standen auch an der Spitze des Widerstands gegen die Expansion
Russlands. Allein bei der Verteidigung ihrer letzten Festung – Gök Tepe – fielen 1881 14000 ihrer
Krieger. Auch zu Anfang der Sowjetzeiten kam es immer wieder zu Erhebungen – die letzte richtete
sich 1928 gegen die Zwangskollektivierung der Herden. Trotz massiver Zusiedlung von Russen und
Ukrainern waren Moskaus Politmissionare weitgehend hilflos gegenüber den alten Stammeseliten. Auch
die Perestroika änderte nichts. Demokratische Umwälzungen, zu denen sich in Ansätzen selbst die
Autokraten in den anderen zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken aufraffen mussten, machten um
Turkmenien einen weiten Bogen.
Daten:
Fläche: 488.000 Quadratkilometer
Bevölkerung: 4,8 Millionen
Hauptstadt: Aschchabad (462.000 Ew.)
Staatsform: Republik
Religion: Sunnitischer Islam
Präsident: Sapurmurat Nijasow
Mittlere Lebenserwartung: 61 Jahre
Bruttosozialprodukt: 3000 Dollar je Ew.
Nach dem Ende der UdSSR ließ sich Ex-KP-Chef Sapurmurat Nijasow, auch er ein Tekke, zum
Präsidenten wählen und 1994 seine Vollmachten per Referendum bis zum Jahre 2000 verlängern. Um
Wahlen auch künftig zu vermeiden, veranlasste er, dass ihn 1998 das Parlament zum Präsidenten auf
Lebenszeit ernannte. Türkmenbasi – Führer aller Turkmenen – heißt der Titel, auf den er offiziell
Anspruch hat. Sein Konterfei, durch Retusche um mindestens 20 Jahre verjüngt, springt die durch rigide
Abschottung selten gewordenen Besucher des Landes schon an Bord der nationalen Airline an, sogar
von der Innenseite der Wodkaflaschen Marke »Serdar« (Heerführer). Imame nennen seinen Namen im
Freitagsgebet gleich nach dem des Propheten, präsent ist er zudem auf mehreren hundert Denkmälern.
Vor allem in der Hauptstadt Aschchabad, deren Prunkfassade sichtlich um Parallelen zu den
Prachtbauten der Golf-Emirate bemüht ist. Doch im Schatten der Paläste ducken sich bitterste Armut
und Angst vor einem großen Spitzelnetz.
Formell ist Turkmenien GUS-Mitglied, beteiligt sich jedoch kaum an den Aktivitäten der
UdSSR-Nachfolgegemeinschaft und pocht auf strikte Neutralität. Das Verhältnis zu Russland ist eher
gespannt, gute Beziehungen hat Turkmenien nur zu Iran und zunehmend zu Pakistan, wo seit Anfang
der Neunziger auch die Offiziere der Luftwaffe ausgebildet werden.
Der Grund für den Schmusekurs: Turkmenien verfügt nach bisherigen Erkenntnissen über die größten
Erdgas-Reserven weltweit und sucht, nicht zuletzt weil Russland dem Konkurrenten seine Pipelines nur
bedingt öffnet, nach besseren Möglichkeiten für den Export gen Westen. Zuerst vor allem über die
Seehäfen am Persischen Golf. Teheran baute dazu mit Milliardenaufwand ein Gleis, das von der
turkmenischen Grenzstadt Tedschen aus die Lücke zum iranischen Schienennetz schließt und 1996
mit Pomp in Betrieb genommen wurde. Im Gegenzug stärkt Nijasow Iran den Rücken beim Kampf um
die Teilung der Kaspi-See. Weil Iran aber selbst mit einer weltweiten Isolierung kämpft, orientiert sich
Nijasow mehr und mehr auf den Gasexport über Pakistan.
Dieses Projekt funktioniert jedoch nur mit einem halbwegs stabilen Afghanistan als Transitland.
Zeitgleich zu Verhandlungen, die Nijasow 1995 mit einem US-Konzern über den Pipeline-Bau führte,
tauchten die Taleban als regionaler Ordnungsfaktor auf. Nijasow war bis zu den Terroranschlägen der
einzige Staatschef der Region, der beste Beziehungen zum Regime in Kabul und dessen Paten in
Islamabad unterhielt. Teile der Waffenlieferungen an die militanten Koranschüler – vermutlich aus der
Ukraine – wurden über Turkmenien abgewickelt. Der damalige Außenminister Boris Schichmuradow traf
sich Ende der 90er Jahre sogar mit Taleban-Chef Mullah Omar in Kandahar.
Anders als die anderen Staaten Zentralasiens blieb Turkmenien daher von den Einfällen usbekischer Islamisten verschont, die auf Seiten der
Taleban kämpften und ihrer wichtigsten Basen in Afghanistan hatten. Das vor allem mag Nijasow
bewogen haben, den USA gleich zu Beginn des Luftkrieges einen Korb zu geben. Die hatten nämlich
Interesse an der Luftwaffenbasis bei Mary bekundet. Ob das weitere Geschehen in Kabul und
Umgebung Turkmenien nicht berühren wird, bleibt dennoch fraglich: Auf der anderen Seite der 840
Kilometer langen Grenze zu Afghanistan lebt eine Million Turkmenen, die – anders als Türkmenbasis
Untertanen – einem radikalen Islam anhängen.
Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2001
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