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Problematische Menschenrechtslage: Folter, unfaire Gerichtsverhandlungen und politische Gefangene

Hintergrundinformationen von amnesty international über Turkmenistan

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus dem "Länderkurzinfo" von amnesty international über Turkmenistan. Den vollständigen Bericht, er wurde am 1. Februar 2003 aktualisiert, kann man auf der Homepage von ai einsehen (a href="http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/LK2003002/">http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/LK2003002/.


TURKMENISTAN
01.02.2003

Turkmenistan wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 unabhängig. Seitdem wird der Staat von dem Präsidenten Saparmurad Nijasow regiert, der ein Machtmonopol ausübt. Oppositionelle Parteien oder Bewegungen gibt es nicht. Die Regierung duldet keinen Dissens; die politischen und bürgerlichen Rechte sind stark beschnitten. In vielen Fällen sehen sich Anhänger und vermeintliche Anhänger der Opposition Schikanen und Drohungen durch den Sicherheitsdienst ausgesetzt. Darüber hinaus übt die turkmenische Regierung eine absolute Kontrolle über die Medien aus.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Versuche der turkmenischen Organe, turkmenische Flüchtlinge unter fingierten Vorwürfen mittels Auslieferungsersuchen aus Russland zurückzuholen. Das ganze Land soll Berichten zufolge unter der strikten Kontrolle des Geheimdienstes stehen, der auch sämtliche Kontakte ins Ausland und zu Ausländern überwachen soll.

Proteste gegenüber dem Regime haben trotz dieser Restriktionen in den letzten Jahren zugenommen; in diesem Zusammenhang kam es zu vermehrten Verhaftungen Oppositioneller. Viele Mitglieder und Befürworter der oppositionellen Gruppierungen dürfen weder einreisen noch das Land verlassen. Mehrere hochrangige Behördenvertreter sind in den Jahren 2001 und 2002 von ihren Ämtern zurückgetreten, darunter Boris Schichmoradow, Chudaiberdi Orasow und Nurmuchamed Chanamow. Im August bzw. Oktober 2002 wurden heimlich massenweise regierungskritische Flugblätter in der Hauptstadt Aschgabat und in der im Norden des Landes gelegenen Stadt Daschogus verbreitet. Zahlreiche leitende Behördenvertreter wurden im Jahr 2002 in ihrer Position zurückgestuft, entlassen oder eingesperrt. Offenbar handelte es sich dabei um politisch motivierte Aktionen. Ein fehlgeschlagener Attentatsversuch auf Präsident Nijasow am 25. November 2002 hat eine erneute Repressionswelle gegen Oppositionelle und ihre Familienangehörigen ausgelöst, die andauert.

Turkmenistan hat mehrere wichtige UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert, darunter das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Das Land hat die Todesstrafe in mehreren Schritten abgeschafft, zuletzt durch Ratifizierung des Zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe.

Verschlechterung der Menschenrechtslage

Eine neue Welle der politischen Unterdrückung in Turkmenistan wurde durch den Anschlag auf den turkmenischen Präsidenten Nijasow am 25. November 2002 ausgelöst. Die Regierung hat den Anschlag als Putschversuch bezeichnet, mit dem Ziel, die Macht zu übernehmen und die verfassungsmäßige Ordnung zu stören. Verfolgungsmaßnahmen nahmen nach diesem Ereignis erheblich zu. Zahlreiche Oppositionelle und ihre Angehörigen waren und sind Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen ihres Eigentums und anderen Schikanen ausgesetzt. Viele der Opfer sind allein aufgrund ihrer familiären Beziehungen zu Oppositionellen von diesen Übergriffen betroffen.

Laut offiziellen Angaben befanden sich Anfang Dezember 2002 23 Menschen wegen des Verdachts in Haft, an dem Attentatsversuch beteiligt gewesen zu sein. Inoffizielle Quellen sprechen jedoch von mehr als hundert Festnahmen. (...)

Folter in Haft und unfaire Gerichtsverfahren nach dem Attentatsversuch auf den Präsidenten

Unmittelbar nach dem Attentatsversuch machte Präsident Nijasow in einer Sondersitzung des Kabinetts explizit die im Exil lebenden Oppositionellen Saparmurad Iklimow, den ehemaligen stellvertretenden Landwirtschaftsminister, Boris Schichmoradow, den ehemaligen Außenminister, Chudaiberdi Orasow, den ehemaligen Chef der turkmenischen Zentralbank und Nurmuchamed Chanamow, einen ehemaligen turkmenischen Botschafter in der Türkei, für den Attentatsversuch verantwortlich.

Saparmurad Iklimow hält sich derzeit im schwedischen Exil auf. Zahlreiche Mitglieder der Familie Iklimow - Brüder und Cousins von Saparmurad Iklimow sowie die Freundin eines Bruders und deren Mutter und Schwester - wurden jedoch nach den genannten Äußerungen des Präsidenten inhaftiert und in der Haft gefoltert und misshandelt. Zur Erpressung von "Geständnissen" oder um den Aufenthaltsort anderer preiszugeben, wurden diese Personen in der Haft u.a. brutalen Schlägen, z.B. mit Gummiknüppeln oder mit vollen Plastikflaschen, und Elektroschocks ausgesetzt; auch wurde teilweise die Luftzufuhr durch das Überstülpen einer Plastiktüte oder mit einer Gasmaske unterbunden. Orasmamed Ilkimow erschien Meldungen zufolge beispielsweise mit einem ausgekugelten Arm und einem geschwollenen Auge vor Gericht und konnte auf seinem linken Ohr nichts hören.

Am 13. Januar 2003 wurde ein Prozess gegen 32 Angeklagte eröffnet. Dieses Gerichtsverfahren verstößt mehrfach gegen internationale Standards für eine faires Verfahren. Die vollständige Liste der Angeklagten, die exakten Anklagepunkte und der Ort der Verhandlung sind nicht veröffentlicht worden. Keiner der Angeklagten soll von einem unabhängigen Rechtsbeistand vertreten worden sein. In vielen Fällen hat man die Verteidiger überhaupt nicht oder nur kurz vorher über den Beginn der Anhörung informiert. (...)

Die Angeklagten wurden teilweise bereits zu hohen Haftstrafen verurteilt. Orasmamed Iklimow wurde z.B. am 19. Januar 2003 zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Batir Berdjew, ein früherer turkmenischer Außenminister und Botschafter bei der OSZE, wurde am 8. Dezember 2002 in Haft genommen, Berichten zufolge durch drei Beamte des Ministeriums für nationale Sicherheit mit Handschellen an eine Tür gefesselt und verprügelt. Am 21. Januar 2003 verhängte man eine 25-jährige Haftstrafe gegen ihn, weil er an dem Attentatsversuch beteiligt gewesen sein soll.

Gewaltlose politische Gefangene

Am 23. Dezember 2002 wurde Farid Tuchbatullin in der Stadt Daschogus im Norden Turkmenistans festgenommen. Er wird im Ministerium für nationale Sicherheit in Aschgabat festgehalten. Farid Tuchbatullin ist Bürgerrechtler und Leiter des Ökologischen Klubs in Daschogus. Bereits in der Vergangenheit konnte er seiner Arbeit nur unter erheblichem Druck der turkmenischen Behörden und unter andauernden Schikanen und Einschüchterungen nachgehen. Nun wurde er am 26. Dezember 2002 angeklagt, illegal die Grenze von Turkmenistan nach Usbekistan überquert und eine schwere Straftat verschleiert zu haben. Nach Kenntnis von amnesty international gibt es keine Beweise, die diese Anklagen stützen würden. Der zweite Anklagepunkt bezieht sich offenbar auf die Teilnahme von Farid Tuchbatullin an einer Konferenz in Moskau im November 2002, die von Menschenrechtsgruppen organisiert worden war. Er wird offenbar wegen seiner Weigerung beschuldigt, Informationen über die Pläne von oppositionellen Exilgruppen preiszugeben, die zusammen mit Menschenrechtsorganisationen an der Konferenz teilgenommen hatten. Es ist zu befürchten, dass Farid Tuchbatullin in der Haft gefoltert wird.
(...)
Mögliche gewaltlose politische Gefangene

Muchametkuli Ajmuradow und Choschali Garajew wurden 1995 in einem vermutlich unfairen Gerichtsverfahren wegen staatsfeindlicher Vergehen, darunter "versuchter terroristischer Straftaten" zu einer 15- bzw. 12-jährigen Haftstrafe verurteilt. Vieles deutet darauf hin, dass die Anschuldigungen gegen sie fabriziert worden waren, um sie wegen ihrer Kontakte zu Oppositionellen im Exil zu bestrafen. Im Dezember 1998 wurden beide zu weiteren 18 Jahren Haft verurteilt, weil sie angeblich einen Ausbruchversuch unternommen haben sollen.

Choschali Garajew starb im September 1999 unter ungeklärten Umständen im Hochsicherheitsgefängnis von Turkmenbaschi. Muchametkuli Ajmuradow wird dort weiterhin festgehalten. amnesty international hatte wiederholt eine Wiederaufnahme des Verfahrens, in dem Standards für ein faires Gerichtsverfahren gewährleistet sein müssen, gefordert. Dazu ist es bis heute nicht gekommen. (...)

Da eine Wiederaufnahme des Verfahrens jedoch auch in Zukunft nicht zu erwarten ist, der Gesundheitszustand von Muchametkuli Ajmuradow aufgrund der harten Haftbedingungen sehr schlecht ist und ihm angemessene medizinische Versorgung versagt wird, fordert amnesty international nunmehr die Freilassung von Muchametkuli Ajmuradow aus der Haft.

Repressionen gegen religiöse Minderheiten

Die turkmenische Verfassung garantiert das Recht auf Religionsfreiheit und etabliert keine Staatsreligion. Nach dem Gesetz über Gewissensfreiheit und religiöse Organisationen ist jedoch eine Registrierung als Religionsgemeinschaft Voraussetzung dafür, sich als solche zum Gottesdienst zu versammeln, Materialien religiösen Inhaltes zu veröffentlichen oder zu missionieren. In Turkmenistan sind sunnitische Muslime oder russisch-orthodoxe Christen offiziell als Glaubensgemeinschaften registriert. Angehörige anderer religiöser Gruppen sind demgegenüber Schikanen und Inhaftierungen durch turkmenische Beamte mit Polizeibefugnissen ausgesetzt.

Privat abgehaltene friedliche religiöse Zusammenkünfte werden aufgelöst und die Teilnehmer zu Geldstrafen verurteilt oder sogar vorübergehend in Gewahrsam genommen. Religiöse Gegenstände werden beschlagnahmt und Gebetsräume zerstört. Mitglieder der Glaubensgemeinschaften werden zudem verbal und tätlich angegriffen und mitunter aufgrund der Ausübung ihres Glaubens inhaftiert. Die Behörden wiesen außerdem eine Reihe ausländischer Missionare aus.
(...)
Folter und Misshandlung von Kriegsdienstverweigerern

Turkmenistan hat sich als Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereit erklärt, zivile Alternativen für einen Militärdienst zu ermöglichen. Bis heute gibt es in Turkmenistan jedoch keine zivile Alternative für diejenigen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern wollen. In vielen Fällen werden Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen sogar gemäß den Bestimmungen des turkmenischen Strafrechts verhaftet und zu Haftstrafen verurteilt.

Nikolaj Schelechow, der sich zu den Glaubensgrundsätzen der Zeugen Jehovas bekennt und aus religiösen Gründen den Wehrdienst verweigert, wurde wegen seiner Weigerung, der Einberufung zum Militärdienst nachzukommen, erstmals im August 2000 zu einer Haftstrafe verurteilt. Am 1. Dezember 2001 wurde er nach Ablauf seiner Haftstrafe freigelassen. Im Dezember 2000 wurde er wegen seiner religiös begründeten Weigerung, einen militärischen Treueeid auf Präsident Nijasow zu leisten, 15 Tage lang in eine besonders kalte und nasse Zelle gesperrt. Aufgrund dieser schlechten Haftbedingungen zog er sich verschiedene Krankheiten zu, an denen er noch heute leidet.

Am 2. Juli 2002 wurde Nikolaij Schelechow zum zweiten Mal wegen Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Stadtgericht von Aschgabat hielt die Strafe nach der Berufungsverhandlung am 6. August 2002 aufrecht. Nikolaij Schelechow ist derzeit in einer Gefängniskolonie von Turkmanabad inhaftiert. (...)

Im Mai 2001 wurde der 18-jährige Dmitri Melnitschenko, Mitglied einer Evangelischen Baptistengemeinde in Aschgabat, verhaftet und gefoltert, nachdem er sich aus religiösen Gründen geweigert hatte, den Dienst mit den Waffen anzutreten und einen militärischen Treueeid zu leisten. Dmitri Melnitschenko wurde nach seiner Weigerung am 10. Mai 2001, seinem Einberufungsbefehl Folge zu leisten, in eine Militäreinheit in Serdar gebracht. Von dort wurde er laut Berichten am 15. Mai 2001 zum örtlichen Sitz des KNB gebracht und gefoltert. (...) Letztlich wurde ihm jedoch ermöglicht, seinen Wehrdienst in einer Sanitätseinheit in Serdar abzuleisten. Dort muss er keine Waffen tragen.


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