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Ben Ali lässt sich wählen

Der tunesische Staatschef strebt am Sonntag die fünfte Amtsperiode an

Von Abida Semouri, Algier *

Nach 22 Jahren Amtszeit wird Tunesiens Staatschef Ben Ali am Sonntag (25. Okt.) vermutlich zum fünften Mal im Amt bestätigt. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen gilt auch der Sieg seiner Partei, der Demokratischen Verfassungsversammlung, als sicher.

Tunis erlebt einen Bauboom. Die umliegenden Hügel werden nach und nach mit neuen Wohnvierteln zugepflastert. Ein Einkaufszentrum nach dem anderen schießt aus dem Boden. Neue Straßen und Brücken verbinden die Hauptstadt mit den reichen Vororten. Ein neuer Flughafen in Enfidha soll bald die Devisen bringenden Urlauber noch schneller in die Touristenzentren Hammamet und Sousse bringen. Letzter Schrei ist die geplante »Tunis Sports City«, in der in einigen Jahren auf 205 Hektar futuristische Luxuswohnungen mit Golfvergnügen verbunden werden sollen.

Wie zu erwarten war: Ben Ali als Präsident bestätigt

Erstmals seit seinem Putsch vor 22 Jahren ist der tunesische Präsident Zine El Abidine Ben Ali mit einem amtlichen Endergebnis unter 90 Prozent in seinem Amt bestätigt worden. Nach Angaben des Innenministeriums vom Montag entfielen auf den 73jährigen Staatschef 89,62 Prozent der Stimmen. Zwei Kandidaten, Mohamed Bouchiha und Ahmed Inoubli, erhielten demnach 5,01 und 3,8 Prozent. Der dritten Bewerber von der Bewegung für Wandel, Ahmed Brahim, kam auf 1,57 Prozent.
Nachrichtenagenturen am 26. Oktober 2009

Das flächenmäßig kleinste Land Nordafrikas verzeichnet seit Jahren ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum um die fünf Prozent. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 2400 Dollar gelten die zehn Millionen Tunesier nach ihren libyschen Nachbarn als die wohlhabendsten Bewohner des Maghreb. 80 Prozent besitzen ein eigenes Heim. Der Anteil der in Armut Lebenden ist in den vergangenen drei Jahrzehnten von 13 auf 4,2 Prozent geschrumpft.

Es klingt daher gar nicht so unrealistisch, wenn Präsident Zine El Abidine Ben Ali seinen Wählern »mehr Wohlstand und Lebensqualität« und den »Aufstieg in die Riege der entwickelten Länder« verspricht. »In jeder tunesischen Familie soll bis 2014 mindestens ein Familienmitglied ein sicheres Einkommen haben«, kündigt der Landesvater an.

Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit offiziell bei 14 Prozent und betrifft vor allem Akademiker. Der Arbeitsmarkt hat mit dem gut entwickelten Bildungs- und Hochschulsystem – alle Kinder im Grundschulalter und drei Viertel der Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren besuchen die Schule – nicht Schritt gehalten. Daher hat der Präsident 425 000 neue Arbeitsplätze und die Förderung der Berufsausbildung in Aussicht gestellt. Schul- und Hochschulabsolventen sollen bald nicht länger als zwei Jahre auf eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz warten.

Unterstützung bekommt Ben Ali bei seinen Vorhaben vor allem von der EU, mit der das Land schon 1995 ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen hat. Der Anteil der EU am Handelsvolumen beträgt fast 80 Prozent, allen voran Frankreich, Italien und Deutschland.

Wenn Ben Ali »mehr staatliche Unterstützung für politische Parteien« und die »Förderung des Pluralismus in den Medien« ankündigt oder die »überragende Stellung der Menschrechte« preist, weiß jeder, dass dies Lippenbekenntnisse sind. Im Wahlkampf hat der ehemalige Geheimdienstchef wieder alle Register gezogen. Der Bewerber der linksgerichteten Demokratischen Fortschrittspartei, Mustapha Ben Djaafar, wurde aus dem Rennen getrickst. Kurzerhand wurde ein Gesetz erlassen, das nur Kandidaten zulässt, die mindestens seit zwei Jahren an der Spitze ihrer Parteien stehen. Djaafar hatte kurz davor sein Amt an eine Frau abgetreten.

Gegen Ben Ali dürfen morgen damit zwei regimetreue Kandidaten und immerhin ein echter Herausforderer antreten. Letzterer, Ahmed Brahim, ist Chef der aus der kommunistischen Partei hervorgegangenen Partei Ettadjdid (Erneuerung). Als jedoch die unabhängige Zeitung »Ettarik al- Djadid« (Der neue Weg) dessen Wahlprogramm veröffentlichte, wurde sie verboten. Dies sei »ein Verstoß gegen die Wahlordnung«, werfen die Behörden dem Blatt vor.

Ben Ali hat gute Gründe, sich derart am Präsidentensessel festzuklammern. Kritiker werfen ihm und seinem Clan schamlose Bereicherung und unverhohlene Kungelei bei der Vergabe von lukrativen Posten in Politik und Wirtschaft vor. Besonders die Familie seiner Frau soll sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gesund gestoßen haben.

Bei der Verteidigung seiner Stellung gegenüber dem Westen zieht Ben Ali immer wieder einen Dauertrumpf aus der Tasche: die islamistische Bedrohung. Gewaltaktionen der Islamisten, wie der Terroranschlag vor acht Jahren auf die Synagoge der Insel Djerba mit 14 Toten, darunter elf Deutsche, haben Ben Alis Position gegenüber dem Westen eher gestärkt, als dass sie seine Macht hätten ins Wanken bringen können.

Seit 2006 wurden 1200 Terrorverdächtige verurteilt. Willkürliche Verhaftungen, Folter und flächendeckende Bespitzelung sind der Preis für die vermeintliche Sicherheit und Stabilität des Landes. Dabei wird im selben Atemzug auch jede linke oder gewerkschaftliche Opposition mundtot gemacht.

Das offizielle Wahlergebnis wird bei über 90 Prozent für den Präsidenten erwartet. Europa wird ihm dazu gratulieren.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Oktober 2009


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