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Neuer Premier trifft auf alten Unmut

Tunesische Opposition sieht Ernennung von Essebsi als "überstürzte" Entscheidung *

Nach dem Rücktritt des tunesischen Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi sorgt die Ernennung des früheren Ministers Béji Caïd Essebsi zum neuen Chef der Übergangsregierung für Unmut.

Interimspräsident Foued Mebazaa habe seine Entscheidung »überstürzt und ohne Abstimmung« mit der Opposition getroffen, sagte der stellvertretende Generalsekretär der wichtigen Einheitsgewerkschaft UGTT, Ali Ben Romdhane, am Montag (28. Feb.) der Nachrichtenagentur AFP. Die Ernennung des 84-jährigen Essebsi sei »eine Überraschung« gewesen.

Auch der Präsident der islamistischen Bewegung Ennahda, Rached Ghannouchi, kritisierte die Ernennung Essebsis. »Die Regierung Ben Alis ist gegangen, die Regierung des Volkes muss sie ersetzen«, sagte Ghannouchi, der nicht verwandt ist mit dem abgetretenen Regierungschef. Die nächste Regierung müsse die Zustimmung des Rates zum Schutz der Revolution erhalten, forderte der Führer der einflussreichen Bewegung. Dieser neugegründete Rat vertritt die Oppositionsbewegung.

Auch die Demonstranten, die seit über einer Woche vor dem Regierungssitz campieren, gaben sich mit dem Rücktritt Ghannouchis nicht zufrieden. »Wir werden unsere Sitzblockade bis zur Bildung einer verfassunggebenden Versammlung aufrechterhalten«, sagte Mohammed Fadhel, der Organisator der Proteste. Auf der zentralen Bourguiba-Allee blieb am Montag die Stimmung angespannt, die meisten Geschäfte waren weiter geschlossen.

Die Straße war am Wochenende Schauplatz blutiger Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten gewesen, bei denen allein am Sonnabend fünf Menschen getötet wurden. Am Sonntag gab Interimsregierungschef Ghannouchi schließlich dem wochenlangen Druck nach und erklärte seinen Rücktritt.

Auch Essebsi ist kaum der von der Opposition gewünschte Mann des Neuanfangs: Der Politiker ist ein Weggefährte des verstorbenen Staatsgründers und langjährigen Präsidenten Habib Bourguiba.

Am Montag hat sich auch der Industrieminister nach Druck von der Straße aus dem Kabinett verabschiedet. Das meldete die tunesische Nachrichtenagentur TAP. Mohamed Afif Chelbi zählte ebenfalls zu den Ministern, die bereits unter dem gestürzten Diktator Ben Ali im Amt waren.

* Aus: Neues Deutschland, 1. März 2011


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