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Andi fährt nach Tunis

Bundesinnenministerium unterstützt in großangelegter Kooperation Polizeien und Geheimdienste in Tunesien

Von Matthias Monroy*

Ausgerechnet der Bundesnachrichtendienst soll die tunesische Regierung zum Thema »Nachrichtendienste in einer Demokratie« unterrichten. Dies erfuhr der Linke-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko am Donnerstag vom Auswärtigen Amt (siehe auch jW vom Freitag, S. 8). Demnach kooperiert die Behörde hierfür mit der Hochschule für öffentliche Verwaltung. Während der deutsche Auslandsgeheimdienst für die Theorie zuständig ist, macht der Verfassungsschutz Dampf: Der Inlandsgeheimdienst, der hierzulande mit Comics Jugendliche über die Erlebnisse der Comic-Figur »Andi« mit »Extremisten« informiert, führt Lehrgänge und Workshops zur »Terrorismusabwehr« durch.

Die Vorhaben sind Teil einer »Transformationspartnerschaft« zwischen Tunesien und der Bundesrepublik, die nicht nur den Sicherheitsbereich abdeckt. Die Bundespolizei glänzt mit »Ausbildungsmaßnahmen« an Flughäfen und zur »maritimen Sicherheit«, die wohl in erster Linie der Migrantenabwehr dienen. Das Bundeskriminalamt ist mit Lehrgängen zum Aufspüren von Drogenschmuggel und onsum vor Ort. Spezialisten aus Wiesbaden schulen die tunesischen Kollegen in der Tatortarbeit, was auch digitale Forensik beinhaltet: Die Kriminalbeamten sichern Spuren in Computern, Speichermedien, aber auch im Internet.

Als erstes arabisches Land führt Tunesien eine sogenannte Sicherheitsreform durch. Auch andere Regierungen beteiligen sich daran mit Ausbildungsmaßnahmen. Im Rahmen der »Europäischen Nachbarschaft und Partnerschaft« kommt Tunesien neben Ägypten und anderen Ländern in den Genuß eines Programms, das von der Europäischen Union mit fünf Millionen Euro gefördert wird. In einer Reihe von Seminaren führen europäische Polizeibehörden Training zur Nutzung von »neuen Technologien und Ermittlungstechniken« durch. Auch das Abhören von Kommunikation per Telefon und im Internet wird gelehrt.

Zweifellos ist der Zustand des tunesischen Sicherheitsapparates derzeit desolat. Willkürliche Polizeiübergriffe sind weiterhin üblich, in der Bevölkerung herrscht großes Mißtrauen gegenüber den Behörden, geschürt durch Vorfälle wie die Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaid vor sechs Wochen. Der Umbau des tunesischen Sicherheitsapparates soll aber auch dem Kapital dienen. Dies bekräftigte der deutsche Außenminister bei einem Besuch in Tunis kurz nach der Bildung der neuen Regierung. »Je stabiler, verläßlicher und demokratischer die Entwicklung in Tunesien ist, desto eher wird es Investitionen aus Europa und Deutschland geben«, erklärte Guido Westerwelle. »Nicht Gewalt, nicht Extremisten, nicht Fanatiker dürfen das Bild ­Tunesiens prägen«, so der FDP-Politiker. Eine Vorlage, die der tunesische Präsident Moncef Marzouki gern aufnimmt. In einem Interview mit der Deutschen Welle anläßlich seines Deutschlandbesuches warnte er am Donnerstag vor religiösem und laizistischem »Extremismus« in seinem Land.

Die Nachricht des Berliner Innenministeriums über die deutsche Ausbildungsoffensive in Nordafrika kommt wenige Tage vor Beginn des Weltsozialforums in Tunesien. Dort könnte die digitale Repression in der arabischen Welt wieder Thema werden: So ordnete die ägyptische Staatsanwaltschaft kürzlich an, möglichst viele vermeintliche Mitglieder des in der Fußballszene in Mode gekommenen »Schwarzen Blocks« festzunehmen, die verhüllt demonstrieren, um Angriffen von Gegnern der Meinungsfreiheit zu entgehen. Nun sollen auch Administratoren von Fanwebseiten identifiziert werden. Das Gleiche könnte tunesischen Aktivisten passieren, die anläßlich des Forums mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit getreten sind, in dem beklagt wird, die revolutionären Ziele des Arabischen Frühlings seien nicht erreicht worden.

* Aus: junge Welt, Samstag, 23. März 2013


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