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Ein Lob für Phoenix

Von Volker Bräutigam*

»Klägliches Versagen von ARD und ZDF im Fall Ägypten«, kritisierte das Medien-Online-Magazin DWDL.de. Viel zu lange hätten Tagesschau, Tagesthemen, heute und heute-journal das Geschehen in der arabischen Welt dilatorisch behandelt und erst eine Woche nach dem Übergreifen der Unruhen von Tunesien auf Ägypten mit »ARD-Brennpunkt« und »ZDF-spezial« reagiert. Längere Sondersendungen folgten, wie die professionellen Programmbeobachter weiter beanstandeten, sogar erst nach 17 Tagen, am 10. Februar, in Erwartung von Mubaraks Rücktritt, und tags darauf, als der Präsident, jetzt plötzlich Diktator genannt, sich davonmachte.

Kritik von allen Seiten. Frankfurter Allgemeine: »Mitreißendes, Ungeheuerliches passiert in der Welt, die jetzt Ägypten heißt ..., und man antwortet darauf mit dem pflichtgemäßen Füllen der normalen Nachrichten-Formate.« junge Welt: »Was die Nachrichten- und Spezialsendungen am Abend abliefern, ist ein nachrichtenjournalistischer Witz.«

Die redaktionen von ARD und ZDF, ansonsten gern mit dem Hinweis gefällig, »weitere Informationen« zu ihren Nachrichten gebe es im Internet (auf heute.de oder tagesschau.de), unterließen es, auf ihren »Ereigniskanal« Phoenix hinzuweisen, obwohl das Tochterunternehmen von Beginn der arabischen Revolte an umfassend berichtete, zeitweise rund um die Uhr, und dabei auch die Protestaktionen in Algerien, Jemen, Syrien und Jordanien beachtete.

Phoenix zeigte viele ausführliche Korrespondentenberichte, brachte aktuelle Bilder arabischer Sender wie Al Jazeera, Al Manar oder Al Arabiya und zum Vergleich auch des zensierten ägyptischen Staatssenders ERTU sowie Nachrichtenfilme vieler freier Fernsehteams und arabischer Internet-Anbieter. Wichtige Ansprachen (Mubarak, Suleiman, General Tantawi) übertrug der Sender live, simultan übersetzt.

Moderatoren wie Hans-Ulrich Stelter führten in vielen täglichen Sendestunden guten, um Erkenntnisvermittlung bemühten Fernseh-Journalismus vor. Sie interviewten, führten Schaltgespräche mit Korrespondenten vor Ort und ließen kommentieren, sie gaben sowohl ägyptischen Fachleuten wie Hamadi El-Aouini, Ibrahim Mohamad und Nabil Chbib als auch deutschen Kennern wie Peter Scholl-Latour, Werner Ruf und Marcel Pott das Wort. Phoenix mochte anstrengen, belohnte aber mit tiefen Einblicken: in die ägyptische Klassengesellschaft, in die sozialen Ursachen des Aufstands, in die Kumpanei des Regimes mit dem Westen, in die ökonomischen und geostrategischen Interessen hinter der Unterdrückung der Araber, in die Funktion Israels als regionaler Hegemonialmacht und in die noch kaum verstandene Bewegung der Moslembrüder sowie in die verbrecherische Systematik, mit der die Mubarak-Plutokratie sich jahrzehntelang an der Macht gehalten hat.

Das Phoenix-Programm, bescheidener Restbestand aus dem kleinen Regal für anspruchsvolle Angebote des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wurde von den berufsmäßigen Medienkritikern glatt übersehen. Derweil trieben die anderen Fernsehsender, auch ARD und ZDF, unbekümmerte Volksverblödung. ARD-Nachrichten-Beispiele: Korrespondent Richard Schneider schwadronierte über Israels Befürchtung, daß die »radikal-islamische« (sic!) Moslembruderschaft das Ruder in Kairo übernehme und der Nahe Osten »instabil« werde. Swantje von Massenbach beschrieb Washingtons vorgebliche Sorge im Hinblick auf die »radikalfundamentalistische« (sic!) Moslembruderschaft. EU-Berichterstatter Rolf Dieter Krause, Brüssel, behauptete, Europa »betreibt keine Machtpolitik. Das machen die USA.« Hannelore Fischer fragte im ARD-Mittagsmagazin den Vorsitzenden des Bundes ägyptischer Akademiker in Deutschland, Aly Hassanein: »Glauben Sie, daß Ihre Gefühle denen ähneln, die die Deutschen hatten, 1989?«, und unterstellte damit eine Vergleichbarkeit der Mubarak-Diktatur mit der DDR. Als ob es in Leipzig 400 Tote, mehr als 1000 Schwerverletzte, ungezählte »Verschwundene« und Folteropfer gegeben hätte.

Merkel-Niveau: Wie die Kanzlerin meinten viele Journalisten und Politiker, an die letzten Tage der DDR erinnern zu müssen: Klaus Kleber (ZDF-Moderator) zum Beispiel und auch Gregor Gysi (PDL). In der Verblödungsoper fehlte nur noch die Frage, wann die Ägypter ihre 100 DM Begrüßungsgeld erhielten und wer die Bananenfrachter nach Alexandria abfertige.

Am kritischen 10. Februar – Phoenix sendete seit Stunden live – zeigte die ARD ab 20.15 Uhr ihr »Starquiz mit Kai Pflaume« und unterbrach die Albernheiten erst nach 21 Uhr mit mehreren Sondersendungen der Tagesthemen. Das ZDF brachte abends die Schnulze »Der Bergdoktor«, ehe es endlich zu aktuellen Berichten überging.

»Jasminrevolution« (Tunesien) und »Twitterrevolution« (Ägypten), flöteten unsere Leit- und Konzernmedien. Sie zitierten Obamas Phrasen und verschwiegen seine Marschbefehle an US-Kriegsschiffe im Mittelmeer und im Roten Meer. Sie sendeten Merkels Blech und ließen die deutschen Waffenexporte nach Ägypten außen vor. Politik und Medien folgten dem imperialistischen Drehbuch: »Chaos verhindern« und »geordneten Übergang zur Demokratie sichern«. In Ägypten stehen eben mehr als eine halbe Milliarde Euro Investitionen allein der deutschen Wirtschaft auf dem Spiel. Zu schweigen von Waffengeschäften.

Noch auf der NATO-»Sicherheitskonferenz« in München hatten Merkel und US-Außenministerin Clinton vor überstürztem Wandel wegen eines sonst drohenden »Machtvakuums« in Kairo gewarnt. Nur sechs Tage später sah Merkel sich »an der Seite der Menschen in Ägypten« und sah »in deren Augen, welche Kraft die Freiheit entfalten kann«. Keine Nachrichtenredaktion verzichtete darauf, diesen unverschämten Opportunismus im Original zu senden.

Mubarak ist weg, statt seiner garantieren den USA fünf Generäle Vasallentreue und Kontinuität in Ägypten. Übergang zur Demokratie – mit diesem Personal? Aber das Stichwort »Nahost-Stabilität« wird in den verlotterten »Nachrichten« von ARD und ZDF nächstens häufiger fallen. Ganz recht: BASF, BMW, Leoni und Metro lassen in Kairo bereits wieder arbeiten – für Hungerlohn. Auch ein ägyptischer Lehrer erhält nur 38 Euro Monatsgehalt. Bald fliegen TUI, Neckermann & Co neue Urlauberscharen nach Scharm El-Scheich; Mubarak wohnt ja jetzt auch da. Auf nach Ägypten, es wird gerade demokratisch lackiert.

* Aus: Zweiwochenschrift "Ossietzky" 4/2011; www.sopos.org


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