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Tunesien-USA-Connection

Bush-Günstling isoliert politische Gefangene in Spezialhaft. Neuer Bericht von Human Rights Watch

Im Folgenden dokumentieren wir

Tunesien-USA-Connection

Von Jim Lobe (IPS), Washington

In tunesischen Gefängnissen, so ein aktueller Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), werden rund 500 politische Gefangene festgehalten. Bis zu 40 von ihnen sitzen seit vielen Jahren unter unmenschlichen Bedingungen in Isolationshaft. Zuvor hatte bereits Amnesty International in ihrem Jahresbericht 2004 über Folterungen sowie »grausame Haftbedingungen« in dem Maghreb-Land berichtet. Die US-Regierung hatte Tunesien vor fünf Monaten als regionales Zentrum ihrer neuen »Partnerschaftsinitiative« für den Mittleren Osten ausgewählt.

In ihrem 33seitigen Bericht (»Tunesia: Long-Term Solidary Confinement of Political Prisoners«) beschuldigt nun HRW die Regierung in Tunis, mit der langjährigen Isolationshaft gegen tunesisches und internationales Recht zu verstoßen. Die Menschenrechtsorganisation hatte herausgefunden, daß es sich bei allen isolierten Häftlingen um Islamisten handelt. Die meisten gehörten zur Führung von Nahdha, einer moderaten Bewegung, die Tunesiens Staatspräsident Zine el-Abidine Ben Ali 1990 wegen angeblicher Umsturzpläne verboten hatte. Eine Begründung für ihre Isolierung haben die Häftlinge, die gelegentlich unter strenger Bewachung für 15 bis 50 Minuten von Familienangehörigen besucht werden dürfen, nie erhalten. Man überwacht ihre Korrespondenz, verbietet ihnen den Bezug von Büchern oder Zeitungen und gibt ihnen nur wenig Schreibmaterial.

Während die tunesische Regierung darauf beharrt, alle Verhafteten und Verurteilten hätten tunesisches Recht verletzt, halten internationale Menschenrechtsgruppen fast alle Betroffenen für politische Gefangene. Ihre Prozesse seien unfair gewesen, und die meisten Anklagepunkte hätten sich, ohne einen Hinweis auf einen gewalttätigen Hintergrund, auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer »nicht zugelassenen« Organisation oder der Teilnahme an deren Versammlungen beschränkt.

Isolationshaft ist nach tunesischem Recht nur erlaubt und dann für höchstens zehn Tage, wenn sich ein Gefängnisinsasse schlecht aufführt. Auch Häftlinge, die vor Mitinsassen geschützt werden müssen oder die gegen andere gewalttätig werden, dürfen in der Haft isoliert werden. Davon könne bei den politischen Gefangenen, so Human Rights Watch, nicht die Rede sein. Sie sind in winzigen, fensterlosen Zellen eingesperrt, ohne ausreichende Belüftung und Beleuchtung. Die meisten dürfen ihre Zellen täglich für nicht einmal eine Stunde verlassen.

Im Februar war Tunesiens Staatspräsident Ben Ali, seit langem schon ein enger Verbündeter der USA, im Weißen Haus in Washington als maßvoller arabische Führer und verläßlicher Freund des Westens empfangen worden. Damals beschloß die Bush-Regierung, Tunesien zum Zentrum seiner Mittel-Ost-Partnerschaftsinitiative (MEPI) zu machen. Das neue Programm soll der »Förderung von Demokratie und politischen Reformen« in der arabischen Welt dienen. Diese Wahl stieß bei Menschenrechtsaktivisten besonders in arabischen Ländern auf heftige Kritik. Sie halten Ben Ali keineswegs für einen Garanten der Demokratie, sondern für einen, wie es der altgediente Aktivist Neil Hicks von Human Rights First (HRF) formulierte, »unverbesserlichen Autokraten, der einen der repressivsten Polizeistaaten der arabischen Welt regiert«. Der tunesische Staatspräsident hat bereits durch eine von ihm durchgesetzte Verfassungsänderung dafür gesorgt, daß er bis 2014 im Amt bleiben kann.

Zum Leidwesen von Aktivisten, die Meinungsfreiheit propagieren, ist Tunesien im November 2005 zudem Gastgeber des zweiten UN-Weltgipfels für die Informationsgesellschaft (WSIS). Dort seien auch Organisationen willkommen, »denen es Spaß macht, die Regierung zu kritisieren«, hatte Tunesiens WSIS-Vertreter Habib Mansour im Februar vor Bürgerrechtsgruppen in Genf beteuert. Der ehemalige Geheimdienstchef Ben Ali war 1987 nach einem Putsch gegen seinen Vorgänger Habib Bourguiba, der seit der Unabhängigkeit Tunesiens im Jahr 1957 regierte, an die Macht gekommen. Seitdem erhält Ben Ali bei Wahlen regelmäßig 99 Prozent der Stimmen.

Seit 1991, so der Bericht von Human Rights Watch, hat keine unabhängige Menschenrechtsorganisation Tunesiens Gefängnisse besuchen dürfen. Auch HRW hatte vor einem Jahr einen Besuchsantrag eingereicht, der aber bisher nicht beantwortet wurde. Als die Organisation im August 2003 einen Berater nach Tunesien schickte, der ehemalige politische Gefangene, Anwälte und Familienangehörige von einsitzenden politischen Gefangenen interviewen wollte, durfte er sich frei im Land bewegen. Sein Begleiter Abdullah Zouari, ein ehemaliger politischer Gefangener, wurde jedoch eine Woche nach dem Besuch des HRW-Mitarbeiters festgenommen. Nach Angaben von HRW wurde Zouari auf Grund falscher Anschuldigungen zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Im September soll er freikommen.

Aus: junge Welt, 12. Juli 2004



Mitteilung von Human Right Watch



Tunesien: Politische Gefangene werden jahrelang in Isolationshaft gehalten
(Tunisia: Long-Term Solitary Confinement of Political Prisoners, HRW Bericht, 7. Juli 2004

Paris, 7. Juli 2004 – Die tunesische Regierung hält Dutzende von politischen Gefangenen über Jahre hinweg unter menschenunwürdigen Bedingungen in Isolationshaft, gab Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht bekannt.
In Tunesien versucht man politische Gefangene und die Ideale, die sie verkörpern, durch lange Isolationshaft zu zerschmettern. Einem legitimen strafrechtlichen Zweck dient eine solch unmenschliche Behandlung jedenfalls nicht.
Sarah Leah Whitson, Direktorin der Mittlerer Osten- und Nordafrika-Abteilung von Human Rights Watch

Der 33-seitige Bericht: „Tunisia: Long-Term Solitary Confinement of Political Prisoners“, zeigt, dass bis zu 40 der über 500 politischen Häftlinge des Landes sich derzeit in langfristiger Isolationshaft befinden. Diese Art von Strafvollzug verstößt sowohl gegen tunesisches Recht als auch gegen internationale Strafrechtsprinzipien und widerspricht den Behauptungen der tunesischen Regierung, sie hätte die Gefängnisse reformiert.

Einige der Betroffenen werden schon seit 13 Jahren, mit nur wenigen Unterbrechungen, isoliert eingesperrt. Das Gefängnispersonal und kurze Familienbesuche bedeuten für diese Menschen die einzigen menschlichen Kontakte. Die meisten müssen sich mindestens 23 Stunden am Tag in ihrer Einzelzelle aufhalten. Zugang zu Büchern und den Medien besteht nur sehr beschränkt.

„In Tunesien versucht man politische Gefangene und die Ideale, die sie verkörpern, durch lange Isolationshaft zu zerschmettern“, erklärte Sarah Leah Whitson, Direktorin der Mittlerer Osten- und Nordafrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Einem legitimen strafrechtlichen Zweck dient eine solch unmenschliche Behandlung jedenfalls nicht.“

Bei den betroffenen Häftlingen handelt es sich ausschließlich um Islamisten, wovon die meisten von ihnen führende Mitglieder der verbotenen Al-Nahda-Partei sind. Über die Gründe für ihre Isolationshaft hat man sie nicht in Kenntnis gesetzt und ihnen auch keine Möglichkeit zur Berufung gegeben. Die Al-Nahda-Partei wurde 1990 von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali verboten – nachdem er sie im ersten Jahr seiner Präsidentschaft noch toleriert hatte – und wird seit dem mit allen Mitteln bekämpft.

Das tunesische Strafrecht verbietet langfristige Isolation als Strafmaßnahme. Dem internationalen Strafrecht zu Folge ist diese Art der Einzelhaft nur über sehr kurze Zeiträume möglich. Auch dann darf eine solche Maßnahme nur unter sorgfältiger Betreuung und medizinischer Überwachung stattfinden und muss gemäß der Persönlichkeit des Betroffenen individuell konzipiert werden. Es muss außerdem einen angemessenen strafrechtlichen Grund für die Isolation geben. Hierzu gehören besonders die Aufrechterhaltung der Disziplin oder präventive Sicherheitsmaßnahmen. Kein rechtmäßiger Grund für Isolationshaft liegt dann vor, wenn sie dazu benutzt wird, die Gefangenen am politischen Informations- und Ideenaustausch zu hindern.

„Trotz einer kürzlich erfolgten Gefängnisreform“, so Whitson, „sind Häftlinge in Isolationshaft in Tunesien noch immer völlig unzumutbaren Verhältnissen ausgesetzt“.

Politische Gefangene sitzen in winzigen, fensterlosen Zellen, in denen es weder angemessene Beleuchtung noch Belüftung gibt. Die meisten dürfen sich nur weniger als eine Stunde am Tag außerhalb ihrer Zelle aufhalten und körperlich betätigen. Fehlende geistige Anregung und mangelnde soziale Interaktion führen oft zu psychischen Schäden bei den Betroffenen. Viele der Gefangenen befinden sich unbegrenzt im Hungerstreik, um damit ein Ende ihrer Isolationshaft und die Verbesserung der allgemeinen Zustände durchzusetzen.

Die tunesische Regierung aber besteht nach wie vor darauf, dass Al-Nahda eine Extremistenbewegung ist, die in Tunesien einen fundamentalistischen Staat ausrufen möchte. 1992 wurden in Militärgerichten 265 Al-Nahda-Führer und Anhänger wegen angeblichen politischen Umsturzplänen verurteilt. Viele der heute in Isolationshaft einsitzenden Gefangenen gehörten dieser Gruppe an.

Von Menschenrechtsorganisationen wurden die Verhandlungen von 1992 allerdings als unfair bezeichnet, bei denen die Anklagepunkte, es sei ein Putsch geplant gewesen, nie bewiesen werden konnten. Den Angeklagten wurden nicht die geringsten Gewalttaten nachgewiesen, und seit dieser Zeit ist der Name Al-Nahda nie mit gewalttätigen Aktivitäten in Verbindung gebracht worden. Es gibt auch keinerlei Hinweise darauf, dass die sich derzeit in Isolationshaft befindlichen Häftlinge im Gefängnis durch ihr Verhalten zu dieser extremen Art von Bestrafung Anlass gegeben hätten.

„Menschen, die nichts weiter getan haben, als in freier Rede und Versammlung auf friedliche Art und Weise ihre Meinung zu äußern, sollten überhaupt nicht im Gefängnis sitzen“, sagte Whitson. „Tunesien sollte diesen Gefangenen generell Amnestie gewähren, aber bis es soweit ist, muss zumindest die lange Isolationshaft als Strafe sofort abgeschafft werden.“

Human Rights Watch zeigte sich am 20. April erfreut über eine Bemerkung des tunesischen Justiz- und Menschenrechtsministers, Béchir Tekkari, mit der angedeutet wurde, man werde in Zukunft Gefängnisbesuche des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zulassen. Falls die Behörden wirklich unabhängige Überwacher in ihre Strafanstalten lassen, dann sollten Besuche bei langfristig isolierten Häftlingen mit die höchste Priorität haben.

Der Bericht von Human Rights Watch basiert teilweise auf Interviews mit den Verwanden der betroffenen Häftlinge. Von der tunesischen Regierung kam keinerlei Antwort, als Human Rights Watch dort Zugang zu den Häftlingen und Informationen über die Isolationspolitik forderte.

Zeugenaussagen aus dem Bericht:

Wahida Trabelso, die Ehefrau des inhaftierten Al-Nahda-Führers, Hamadi Jebali, berichtete Human Rights Watch über die ausgeklügelten Methoden der Behörden, mit denen die menschlichen Kontakte ihres Mannes auf eine Minimum erschwert werden. Sie beschrieb, welche Prozeduren sie an einem Besuchstag im Gefängnis gewöhnlich durchlaufen muss:

Alles steht still. Die Türen sind alle verschlossen und weder ich noch mein Ehemann bekommen andere Häftlinge zu Gesicht. Mindestens vier Wächter sind immer anwesend, davon steht mindestens einer hinter mir, mindestens vier hinter ihm. Zwischen uns befindet sich ein Gitter und wir sind mehr als einen Meter auseinander. Der Besuch darf höchstens 15 Minuten dauern, aber die Wächter können ihn auch früher beenden, wenn ihnen unser Gesprächsthema missfällt. Also können wir eigentlich nur sagen „Mir geht’s gut“ und „Alles ist o.k.“ und solche Dinge.“

Quelle: http://hrw.org/german/docs/2004/07/07/tunisi9007.htm





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