Unsere Hilfe als Drohung
Die Europäische Union und die USA wollen die Demokratiebewegungen in Ägypten und Tunesien unterstützen. Über die Wirkung von "Entwicklungshilfe" und "Demokratieförderung" in der arabischen Welt.
Spätestens seit den Rücktritten von Tunesiens
Präsident Zine El Abidine Ben Ali und Ägyptens Hosni
Mubarak sprechen die USA, die Europäische Union
und einige ihrer Mitgliedsstaaten davon, den
„demokratischen Wandel“ in diesen Ländern
unterstützen zu wollen. Das klingt nach einem
Umdenken in den westlichen Staaten. Als würde man
jetzt einsehen, dass die enge Kooperation mit den
ehemaligen Diktatoren falsch, man aber nun ehrlich
gewillt war, dem Streben nach Demokratie und
Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen.
Für viele Menschen in der Region sind diese
Hilfsversprechen jedoch eine Drohung, da sie den
Interessen der Europäischen Union und der USA –
Verhinderung „illegaler“ Einwanderung, freier Zugang
zu den Rohstoffen der Region, Sicherheit Israels,
„Krieg gegen den Terror“ – zuwider laufen. Ungleiche,
also für den Westen profitable Handelsbeziehungen
können nur aufrecht erhalten werden, wenn die
Regierungen der rohstoffliefernden Staaten kooperieren.
Und der „Krieg gegen den Terror“, unter dem in
der Praxis vor allem die Zivilbevölkerung in den
angegriffenen Ländern leidet, kann nur weitergeführt
werden, wenn sich zumindest einige der regionalen
Regierungen daran beteiligen, durch politische
Billigung, geheimdienstliche Zusammenarbeit,
finanzielle Unterstützung oder durch die Bereitstellung
von Militärstützpunkten.
Es liegt auf der Hand, dass demokratische arabische
Regierungen, also solche, die unter anderem die
Mehrheitsmeinung ihrer Bevölkerung repräsentieren,
zu dieser Art von Zusammenarbeit mit dem Westen
nicht mehr bereit sein werden. Die Frage ist jedoch, ob
sie eine andere Chance haben. Regierungen,
Wirtschaftssysteme, einzelne Unternehmen, der
Nichtregierungssektor in der Region: in unterschiedlichen
Ausmaßen sind sie von Krediten und
anderen Finanzhilfen aus dem Westen abhängig bzw.
dadurch gebunden. Dieses System zu verändern, wäre
ein Schritt mit weit reichenden Konsequenzen, vor
allem für ein individuell handelndes Land.
Deshalb klingen die Unterstützungsvorhaben für die
ägyptische und tunesische Demokratiebewegung in
den Ohren der Beteiligten wie Säbelrasseln.
Aktuelle ausländische Einmischung in arabische
Angelegenheiten und die Stützung repressiver Regime
wird in der Region durchaus in eine ununterbrochene
Reihe (neo-)kolonialer Politikansätze der Geschichte
gesehen. Direkte oder indirekte europäische
Kolonialherrschaft ist Teil der Vergangenheit aller
arabischen Staaten. Direkte britische Kontrolle reichte
gar bis in die 1960er Jahre, die aktive Erinnerung daran
ist also noch groß. Europäer setzten in einigen Staaten
sogar die ersten „unabhängigen“ Regierungen ein, die
Kontakte zu Teilen der alten Eliten wurden weiter
gepflegt. Und über ökonomischen und/oder
militärischen Druck beeinflusst der Westen das
Verhalten der regionalen Staaten bis heute aggressiv.
Die noch anhaltenden Waffengänge gegen den Irak
und Afghanistan sind hier nur die augenscheinlichsten
Beispiele.
Die Entdeckung der Zivilgesellschaft
Nach dem Ende des Kalten Kriegs entdeckte der
Westen die arabische „Zivilgesellschaft“ oder vielmehr
deren scheinbar notwendigen Aufbaubedarf.
Methoden, wie sie etwa vom US-amerikanischen
Kongress für kulturelle Freiheit bis Ende der 1960er
Jahre in Westeuropa im Kampf gegen den
Kommunismus eingesetzt wurden, kamen nun in der
arabischen Welt zum Einsatz. Dabei blieb das
westliche Verständnis von den Zivilgesellschaften in
der arabischen/islamischen Welt stets sehr eng. Es
geht noch heute meist nicht um Parteien,
Gewerkschaften und andere gesellschaftlich verankerte
Zusammenschlüsse, sondern um Menschenrechtsorganisationen
und andere thematische
Initiativen, in denen Menschen heute hauptberuflich
arbeiten.
Diese Organisationen sind teils seit Jahrzehnten
aktiv, haben ihre Wurzeln in einer politischen
Bewegung und machen sehr notwendige Arbeit
hinsichtlich der Kontrolle ihrer Regierungen, der
Vermittlung fortschrittlicher Werte, in Politik und
Kultur. Diese Organisationen sind jedoch normalerweise
höchstens lose miteinander vernetzt,
administrativ, vor allem in patriarchalen Gesellschaften
wie den arabischen, auf Einzelpersonen zugeschnitten
und in dieser unkontrollierten Form in ihrer politischen
Ausrichtung sehr anfällig gegenüber anderen Anreizen.
Traditionell basierte dieser Sektor auf ehrenamtlicher
Arbeit und lokaler Unterstützung. Die nun verfügbaren
beträchtlichen westlichen Finanzmittel veränderten
diesen Sektor jedoch tiefgreifend.
Heute ist ein Großteil der von ausländischen
Institutionen finanzierten und von lokalen NGOs
durchgeführten Projekte im engen Zusammenhang mit
dem „Krieg gegen den Terror“ und der Zunahme
islamophober Politik insgesamt zu sehen. Hinter den
Etiketten „Entwicklungshilfe“ und „Demokratieförderung“
verbirgt sich allzu oft eine vielschichtige
Unterstützung für ein unterdrückerisches Regime, bei
gleichzeitiger Hilfe für Nichtregierungsorganisationen,
die zwar eine wichtige, aber feigenblättrige
Beobachterfunktion für das Ausland spielen, in ihren
eigenen Gesellschaften jedoch wenig Einfluss haben.
Es lohnt sich finanziell, eine NGO zu gründen oder in
einer zu arbeiten.So sind einige NGO-Chefs und ihre
höheren Angestellten auf Grund ihres Einkommens
heute Teil der oberen Mittelklasse in vielen regionalen
Staaten.
Rechenschaftspflichtig ist dieser Teil der
Zivilgesellschaft nicht (mehr) gegenüber ihrer
Gesellschaft oder ihrem (ehemaligen) politischen
Zusammenhang, sondern gegenüber der ausländischen
Geberorganisation. Solche NGOs haben
Geld und internationale Beziehungen. Aber jenseits
dieses relativ kleinen Kreises direkter Nutznießer finden
sich in den betreffenden Gesellschaften oft nur wenige,
die das Engagement und die Arbeitsschwerpunkte
einer ausländischen Institution politisch
begrüßen.
Im Ergebnis sieht die Wirkung der Interventionen
westlicher Organisationen in der arabischen Welt so
aus:
-
Fortschrittliche Politik wird delegitimiert
Ein Großteil der westlich unterstützten NGOs
entstammt der gesellschaftlichen Linken. So
kommt es zum nur scheinbar verqueren
Phänomen, dass auch streng konservative
Organisationen aus dem Westen arabische
Kommunisten unterstützen.
Wenn fortschrittliche, linke Menschen mit dem
Geld politisch anders denkender Geber arbeiten, ist
das nicht nur in der arabischen Welt verdächtig
und die von der NGO angebotenen fortschrittlichen
Inhalte werden zurückgewiesen. Das hat
beispielsweise hinsichtlich der Stärkung von
Frauenrechten in Palästina dazu geführt, dass, so
die lokale Kritik, der extern finanzierte Diskurs
abgelehnt wurde und sich die Beteiligten
Organisationen zuwandten, die als glaubwürdiger
empfunden werden, nämlich Vertretern des
politischen Islams.
Im Irak ist die ausländische Einmischung über
lokale NGOs am augenfälligsten. Die dort zum
allergrößten Teil erst nach 2003 (außer Kurdistan)
entstandenen Organisationen werden als ziviler
Arm der Kriegsführung instrumentalisiert, direkt
finanziert und politisch geschützt von der USRegierung
und ihren Alliierten. Damit kommen
Inhalte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit
automatisch in den Ruch, nur die Hülle für
eigentlich ganz andere Interessen zu sein.
„Effektives Krisenmanagement erfordert einen
umfassenden politischen, zivilen und militärischen
Ansatz“, formuliert die NATO in ihrer Strategie vom
Dezember 2010 und macht damit die staatliche
Unterstützung für NGOs nun offiziell Teil ihrer
Militärpolitik. „Die Allianz wird mit anderen
internationalen Akteuren vor, während und nach
Krisen aktiv zusammenarbeiten.“
- Fortschrittliche Parteien und andere Basisorganisationen
werden geschwächt
Die Delegitimierung fortschrittlicher Werte wie
Meinungsfreiheit und Gleichstellung der
Geschlechter führt auch zum Vertrauensverlust in
die lokalen linken Parteien. Darüber hinaus werden
diesen die fähigsten Mitarbeiter entzogen. Eine
NGO bezahlt schlicht besser. Sie leistet zudem
einen Großteil der sozialen Arbeit, die
Parteimitglieder vormals ehrenamtlich erledigten,
was einmal zur Attraktivität der Linken beitrug. Das
hinterlassene Vakuum konnte in vielen Gesellschaften
wiederum von religiösen Wohlfahrtsorganisationen
effektiv gefüllt werden.
Diese Nebenwirkungen werden von den ausländischen
Durchführungsorganisationen nur selten entdeckt. Die
einzelnen, selbst verfassten Projektberichte stellen
meist sehr positive Ergebnisse dar. Und eine externe
Evaluation (im Auftrag der Durchführungsorganisation)
wird auch von Institutionen und Menschen gemacht,
die vom Entwicklungshilfegeschäft beruflich abhängig
sind. Bei Nichtgefallen können diese Berichte verändert
oder eingestampft werden. Insgesamt wurde
die Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des
arabischen Raums bisher kaum unabhängig bearbeitet.
Die Rückkopplung im Westen
Der westliche Hilfsansatz für den arabischen Raum
sorgt jedoch auch in den Herkunftsländern für
negative Wirkung. So stellen die schwerpunktmäßig
unterstützten genehmen staatlichen und nichtstaatlichen
Akteure auch die wesentlichen Kontakte zu
diesem Teil der Erde dar. Sie bestätigen, oft wegen
ihrer Abhängigkeit vom Westen, bequem dessen
Sichtweisen und Ängste, wie beispielsweise die vor
dem politischen Islam. Direkte Kontakte mit Vertretern
dieser sehr heterogenen politischen Strömungen
finden nur im Ausnahmefall statt. Und so werden uns
der politische Islam, dessen Anhänger und deren
Motivationen von dessen Gegnern erklärt, den uns
genehmen Arabern.
Und so kann eben auch eine undemokratische
Regierung als Bollwerk gegen den Islamismus leicht
mit westlicher Hilfe rechnen. Wie kürzlich bekannt
wurde, ging beispielsweise die ägyptische Regierung
sehr weit, um sich dieser zu versichern. Derzeit wird
gegen den abgesetzten ägyptischen Innenminister
Habib El-Adly wegen des Verdachts ermittelt, hinter
dem Bombenanschlag auf eine Kirche in Alexandria zu
stecken, bei dem am 31. Dezember 21 Menschen
starben. Die Regierung machte damals „islamische
Extremisten mit Verbindungen zu Al-Qaida“ für den
Anschlag verantwortlich.
Alle wohlklingenden westlichen Bekundungen zur
Freundschaft mit „den Muslimen“ wurden bisher nicht
mit Inhalt gefüllt. Der proklamierte „Dialog mit dem
Islam“ stellte sich bisher nicht nur als Gesprächsreihe
unter Gleichgesinnten dar, bei dem Streitpunkte kaum
zur Sprache kamen. Vielmehr wurden damit auch alle
Menschen in der gesamten Region von Marokko bis
Pakistan mit einem Schlag zu Muslimen gemacht, zu
Menschen, deren Leben völlig nach spirituellen
Kriterien organisiert zu sein scheint, stets darauf aus,
einem offenbar gewalttätigen Gott zu dienen. Die
wirklichen Menschen in den verschiedenen Gesellschaften
und ihre Kontexte sind so jedenfalls nicht zu
verstehen.
Soll die Beschäftigung mit dem arabischen Raum in
Wissenserlangung resultieren, muss sich zunächst die
Einstellung gegenüber dieser großen und diversen
Region ändern. Der Grund für Konflikte, auch
innergesellschaftliche, ist nicht in der Konfrontation
verschiedener Religionen zu suchen, auch wenn dieser
Punkt von religiös motivierten Akteuren (in der
arabischen Welt und im Westen) betont wird. So sind
weder die Spannungen zwischen Sunniten bzw.
Christen und der schiitischen Hisbollah im Libanon
religiöser Natur, noch der Krieg zwischen dem
islamischen Norden und dem nicht-islamischen Süden
im Sudan. Konflikte wie diese sind auf soziale
Ungleichheit zurückzuführen, die von ausländischen
Akteuren teils massiv befeuert werden.
Wenn sich diese westlichen Einstellungen nicht
ändern, werden die angekündigten massiven Hilfen für
die arabischen Demokratiebewegungen voraussehbar
nicht zur Schaffung demokratischer, menschenrechtsfreundlicher
Systeme führen.
* Peter Schäfer ist Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Palästina.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist seit 2008 mit einem Büro in Ramallah präsent, zuständig für Projekte in Palästina und Ägypten. Der Newsletter, herausgegeben vom Büro der RLS, Mub’adeen St., Ramallah, erscheint unregelmäßig und wird
per email verschickt.
Verantwortlich: Peter Schäfer
newsletter@rosaluxemburg.ps
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