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Paris setzte bis zuletzt auf Ben Ali

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Frankreich hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sich der Diktator Ben Ali so lange halten konnte. Das kann auch nicht die hektische Kehrtwende vergessen machen, mit der man nun die jüngsten Entwicklungen in Tunesien begrüßt und dem Volk seine Sympathien versichert.

Die offizielle Haltung Frankreichs gegenüber dem Regime in Tunis war schon seit vielen Jahren und bis zuletzt wesentlich konzilianter und verständnisvoller als die anderer Demokratien. Noch am vergangenen Dienstag hat Außenministerin Michèle Alliot-Marie im Parlament erklärt, man biete Tunis »Hilfe bei der Aufrechterhaltung der Ordnung« an. Zu diesem Zeitpunkt hatten selbst die US-Regierung und die Europäische Union bereits Distanz gesucht und den Polizeieinsatz gegen die Demonstranten kritisiert. Mit der dubiosen Begründung, als ehemalige »Mandatsmacht« sei Frankreich schlecht beraten, Lehren zu erteilen, hielt man sich mit Kritik am selbstherrlichen Regime von Präsident Habib Bourguiba und seinem Nachfolger Ben Ali zurück.

Noch 2008 bei seinem jüngsten offiziellen Besuch in Tunis erklärte Präsident Nicolas Sarkozy: »Manche sind sehr streng mit Tunesien, das doch sehr erfolgreich eine Politik der Öffnung und Toleranz verfolgt, und wo die Freiheiten immer breiteren Raum gewinnen.« Mit diesem Schmusekurs setzte Sarkozy aber nur fort, was 1988, unmittelbar nach dem »medizinischen Putsch« gegen den alten und kranken Bourguiba durch François Mitterand eingeleitet wurde. Mitterand empfing Ben Ali, den neuen starken Mann aus Tunis, sofort zu einem glanzvollen Staatsbesuch. Sein Amtsnachfolger Jacques Chirac erklärte 1995 bei einem Besuch in Tunesien, das Land befinde sich »auf dem Weg der Modernisierung, der Demokratie und des sozialen Friedens«.

Der Grund für so viel Nachsicht liegt nicht zuletzt in den engen wirtschaftlichen Beziehungen, denn schließlich ist Frankreich der wichtigste Handelspartner Tunesiens und 600 000 der jährlich 7 Millionen Touristen kommen aus Frankreich. Vor allem jedoch hat sich die französische Regierung von der betont laizistischen Politik Sicherheit vor dem islamischen Fundamentalismus und der daraus rührenden terroristischen Bedrohung Frankreichs und Europas versprochen. Dafür sah man geflissentlich über diktatorische Züge des Regimes hinweg.

Entsprechend kam in den letzten Wochen während der Protestdemonstrationen in Tunesien auch keine Kritik seitens der Rechtsregierung. Doch auch prominente Linke wie der sozialistische Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoe, konnte sich bis zuletzt zu keiner distanzierenden Stellungnahme durchringen. So lag es für den Diktator von Tunis nahe, zunächst in Frankreich Zuflucht zu suchen, als die Proteste der Straße übermächtig wurden und ihm die Militärs die Gefolgschaft aufkündigten und ihm die Abdankung »nahelegten«.

Ursprünglich hatte man sich in der französischen Hauptstadt darauf eingestellt, dass Ben Ali und sein Gefolge vorübergehend in der tunesischen Botschaft in Paris Asyl finden sollten. Die Botschaft wurde durch Polizei weiträumig abgeschirmt, doch als es in der Nähe zu spontanen Protestdemonstrationen von in Frankreich lebenden Tunesiern kam, disponierte die Regierung um. Auf einer Krisensitzung im Elysée wurde der Beschluss gefasst, angesichts der veränderten Situation in Tunesien und um ein Übergreifen der Unruhen auf Frankreich zu vermeiden, Ben Ali fallen zu lassen und ihm das Asyl zu verweigern.

Nach Demonstrationen tausender Tunesier am Sonnabend in Paris, Marseille und weiteren Großstädten wurde der Ton der Regierung sogar noch schärfer. Jetzt hieß es, man habe nie die Absicht gehabt, Ben Ali und seinen Clan einreisen zu lassen und man werde alle »Finanztransaktionen von Tunesien nach Frankreich aufmerksam prüfen«. Gegenwärtig haben die Behörden alle Hände voll zu tun, die zahlreichen Mitglieder des Clans von Ben Ali, die sich schon vor Tagen nach Frankreich abgesetzt haben und die die Medien in Luxushotels in Paris und Umgebung aufgespürt haben, in diskretere Unterkünfte umzuquartieren, unter Polizeischutz zu stellen und nach und nach – notfalls unter sanftem Druck – zur Ausreise in ein anderes Land ihrer Wahl zu bewegen.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2011


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