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Mord an Kurdinnen noch ungesühnt

Französische Polizei nach einem Jahr ohne Ermittlungsergebnisse / Spur zum türkischen Geheimdienst *


Deutschen Sicherheitsbehörden liegen nach einem »Spiegel«-Bericht Informationen vor, die den türkischen Geheimdienst MIT in Verbindung mit dem Mord an drei Aktivistinnen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Paris bringen. Sie waren im Januar 2013 in Paris durch Kopfschüsse getötet worden. Die französische Polizei hat bisher offenbar keine Täter ermittelt. Ralf Klingsieck sprach mit dem Präsidenten des Dachverbands der kurdischen Organisationen in Frankreich, Mehmet Ülker.


Vor einem Jahr wurden im Pariser Kurdischen Informationszentrum drei Frauen – Sakina Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Soylemaz – ermordet. Was weiß man heute über Täter, Motive und Hintermänner?

Schon kurz nach der Entdeckung der Morde am Morgen des 10. Januar 2013 hat ein Sprecher der türkischen Regierung erklärt, es handele sich um eine »interne Abrechnung innerhalb der PKK«. Damit sollte offensichtlich eine Sichtweise vorgegeben werden, und tatsächlich ist die französische Polizei anfangs dieser Spur gefolgt, allerdings ohne Ergebnis. Stattdessen führten die weiteren Untersuchungen und Verhöre von Zeugen zu einem Verdächtigen: Ömer Güney. Dieser 30-jährige Türke, der sich als Kurde ausgab, hat früher in Deutschland gelebt und ist nach seiner Ankunft in Frankreich in eine unserer Organisationen eingetreten.

Dabei handelte es sich um eine recht zwielichtige Person?

Ja, die Ermittlungen der Polizei ergaben schnell, dass er kein Kurde ist, sondern aus einem nationaltürkischen Milieu stammt. Er bezog nur Sozialhilfe, flog aber innerhalb eines Jahres dreimal in die Türkei. Er hat neun Handys benutzt, mit denen er geheimnisvolle »technische« Nummern in der Türkei anrief, wie um Daten zu übermitteln. In einem Handy fand man – gelöscht, aber von Polizeiexperten wieder sichtbar gemacht – Hunderte Eintragungen des Mitgliederverzeichnisses einer kurdischen Organisation, die er abfotografiert hatte.

Was kann man daraus schließen?

Dass der Mann bei uns eingeschleust wurde, um uns auszuspionieren und Verbrechen zu verüben. Doch eine neue Dimension bekam der Fall, als jetzt im Januar im Internet der Mitschnitt eines Gesprächs von Güney mit zwei Männern auftauchte, bei denen es sich offenbar um Auftraggeber vom türkischen Geheimdienst MIT handelt und wo es um seine »Mission« ging. Dabei wurden die Namen kurdischer Persönlichkeiten in verschiedenen Ländern Europas genannt und wie man sie »unschädlich machen« könne, es ging um Waffen und verschlüsselte Handys zur Informationsübermittlung. Dieser Tonmitschnitt wurde uns auch noch als Mail zugespielt. All das haben wir umgehend der Polizei übergeben.

Außerdem hat die türkische Wochenzeitung »Sol« ein internes MIT-Dokument vom November 2012 veröffentlicht, in dem zwei Monate vor den Morden von Paris die »Mission« bis ins Detail programmiert war. Sind das nicht Indizien, die die Aufklärung beschleunigen müssten?

Wir haben nach wie vor den Eindruck, dass die französische Justiz sehr langsam ist. Zu dem Tonband befragt, hat Güney abgestritten, dass das seine Stimme ist, und die türkischen Behörden sind den Ermittlern gegenüber alles andere als kooperationsbereit. Sie dementieren, dass der MIT etwas mit den Morden zu tun hat.

Ende Januar ist Präsident François Hollande zwei Tage zum Besuch in der Türkei gewesen. Spielte der Fall dabei eine Rolle?

Wir haben ihm vorher einen Brief geschrieben und ihn gebeten, das Thema anzusprechen, damit auch in der Türkei über Güney ermittelt und das Ergebnis der französischen Justiz zur Verfügung gestellt wird. Wir wissen nicht, ob Hollande das getan hat. Aber auch andere europäische Länder sind aufgefordert, bei den Ermittlungen zu helfen. Güney hat jahrelang in Deutschland und den Niederlanden gelebt. Wir sind überzeugt, dass Güney nur das ausführende Werkzeug war und dass die französischen Ermittler Erkenntnisse über die Auftraggeber haben. Die Frage ist nun, ob der politische Wille da ist, das offenzulegen.

Wie fügt sich der Mord an den drei Kurdinnen in Paris darin ein, was man über das Vorgehen der mutmaßlichen Auftraggeber in der Türkei weiß?

In der Türkei verfügen verschiedene politische Kräfte über Milizen. Der MIT bedient sich ihrer oft, um Verbrechen, auch Morde, verüben zu lassen. So war es beispielsweise im Januar 2007 in Istanbul bei der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink. Der Nachrichtendienst findet leicht willige Helfer in den Kreisen ultranationalistischer Organisationen wie der »Grauen Wölfe«. Für uns ist die türkische Regierung für diese Morde verantwortlich und wenn die französische Regierung nicht völlige Klarheit schafft, macht sie sich in unseren Augen suspekt. Es gibt eine europäische Mitverantwortung.

Kann es sein, dass mit dem Mord und dem Versuch, dafür interne Auseinandersetzungen unter den Kurden in Europa verantwortlich zu machen, die Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung und dem seit 15 Jahren inhaftierten PKK-Präsidenten Abdullah Öcalan gestört oder torpediert werden sollten?

Das kann durchaus sein. Es ist ja auffallend, dass die Morde erfolgten, kurz nachdem diese Verhandlungen aufgenommen wurden. Aber es wird weiter verhandelt. Die kurdische Seite ist an einem Ergebnis interessiert, weil das die einzige Chance für eine friedliche Lösung des Konflikts ist. Wie die wahre Position der türkischen Regierung ist, weiß ich nicht. Es ist zumindest sehr verwunderlich, dass einerseits verhandelt wird und andererseits durch den Geheimdienst Aufträge für Morde an kurdischen Persönlichkeiten in Europa erteilt werden. Schließlich untersteht der Geheimdienst der Regierung und kann so etwas schwerlich auf eigene Faust machen.

Wie geht es jetzt aus Ihrer Sicht weiter?

Am 11. Januar, zum Jahrestag des Mordes, haben wir eine Demonstration in Paris organisiert, an der Zehntausende Menschen teilgenommen haben. Gemeinsam mit unseren Freunden, die uns in Frankreich und anderen Ländern unterstützen, werden die Kurden Europas und ihre Organisationen nicht ruhen, bevor Klarheit geschaffen ist. Die Frage ist jedoch, ob nicht letztlich für Frankreich seine wirtschaftlichen Interessen in der Türkei schwerer wiegen als dieser Fall. Wir befürchten, dass die Aufklärung auf dem Altar der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen geopfert wird.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. Februar 2014


Mörderischer Partner

Verfassungsschutz hält Auftragsmord der türkischen Regierung an PKK-Aktivistinnen für möglich und schränkt Kooperation mit Geheimdienst MIT ein

Von Nick Brauns **


Deutsche Geheimdienstler schließen nicht mehr aus, daß der Mord an drei kurdischen Politikerinnen vor einem Jahr in Paris vom türkischen Geheimdienst verübt wurde. Der Verfassungsschutz habe seine Kooperation mit dem Nationalen Nachrichtendienst (MIT) der Türkei deswegen eingeschränkt, berichtet das Nachrichtenmagazin Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe.

Die Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Sakine Cansiz, die Diplomatin Fidan Dogan sowie die Jugendaktivistin Leyla Saylemez waren am 9. Januar 2013 in den Räumen des Pariser Kurdistan-Informationsbüros mit Kopfschüssen ermordet worden. Der wenige Tage später verhaftete mutmaßliche Mörder Ömer Güney war Mitglied in einem kurdischen Kulturverein. Doch dann stellte sich heraus, daß Güney in Wirklichkeit ein aus einer nationalistischen Familie stammender Türke mit engen Verbindungen zu den faschistischen Grauen Wölfen ist. Ein ehemaliger V-Mann des MIT identifizierte Güney gegenüber der kurdischen Zeitung Özgür Gündem als »unseren Mann in Paris«, der in die kurdische Gemeinde eingeschleust wurde.

Dieser Verdacht erhärtete sich durch einen am 12. Januar 2014 im Internet veröffentlichten Audiomitschnitt. Ein Mann, dessen Stimme als diejenige Güneys identifiziert wurde, berät darin mit zwei mutmaßlichen MIT-Agenten detailliert die Ermordung von mehreren namentlich genannten kurdischen Exilpolitikern (jW berichtete). Die MIT-Agenten sichern ihm Geld für den Waffenkauf zu, fragen nach Fluchtwegen und Sicherheitsvorkehrungen und geben schließlich grünes Licht für das Attentat: »Leiste gute Arbeit! Möge Gott uns vor den geringsten Fehlern schützen, denn du bist wichtig für uns.« Cansiz wird in der Audioaufnahme zwar nicht als Anschlagsziel genannt, doch am 13. Januar veröffentlichten türkische Medien ein angeblich vom MIT stammendes Geheimdokument vom 18. November 2012 mit dem Betreff »Sakine Cansiz – Codename Sara«. Ein Agent mit Codenamen »Legionär« sei für Vorbereitungen zu »Mord-Operationen« gegen PKK-Ziele in Europa instruiert worden und solle nun den Auftrag bekommen, die von ihm ausgespähte Cansiz »außer Gefecht zu setzen«.

Nicht nur die französischen Ermittlungsbehörden nehmen das Papier ernst. »Sollte es eine Fälschung sein, ist es eine täuschend echte. Auch dafür bräuchte es erhebliches Insiderwissen«, zitiert der Spiegel einen hochrangigen deutschen Geheimdienstler. Der Verdacht, der türkische Geheimdienst könne PKK-Mitglieder in EU-Staaten exekutieren lassen, hat den bislang eng mit dem MIT kooperierenden Verfassungsschutz alarmiert. In Sicherheitskreisen werde von »besonderer Vorsicht bei der Weitergabe personenbezogener Daten« gesprochen, heißt es im Spiegel.

Das ist aber womöglich geschehen, standen doch zwei der Ermordeten im Fokus deutscher Sicherheitsbehörden. So hatte die Bundesanwaltschaft gegen Cansiz wegen Mitgliedschaft in einer »kriminellen Vereinigung« und gegen Saylemez wegen Mitgliedschaft einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« ermittelt, wie die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion bestätigte. Bei solchen Terrorismusverfahren ist ein Austausch mit ausländischen Geheimdiensten die Regel. MIT-Abteilungsleiter Ugur Kaan Ayik, dessen Name sich unter dem Papier findet, war vor einiger Zeit selbst mit einer Delegation zu Gesprächen in die Bundesrepublik gereist. Auch der mutmaßliche Attentäter Güney ist für die deutschen Behörden kein Unbekannter, lebte er doch bis 2011 mehrere Jahre lang im oberbayerischen Schliersee, wo er sich im Milieu der Grauen Wölfe bewegte und ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz gegen ihn eingeleitet wurde.

Fragen wirft der Zeitpunkt der Veröffentlichung der den MIT und damit seinen obersten Dienstherren, den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, belastenden Dokumente auf. Einen Tag zuvor hatte der inhaftierte PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan Erdogan angeboten, ihm im Machtkampf mit den Anhängern des Imams Fethullah Gülen den Rücken zu stärken, wenn der Friedensprozeß mit der PKK fortgesetzt werde. Zu vermuten ist daher, daß hinter der Veröffentlichung der Audiodatei Gülen-Anhänger im Staatsapparat stecken, die einen Schulterschluß zwischen Erdogan und Öcalan verhindern wollen. Die PKK hatte wiederum zuvor die Gülen-Bewegung beschuldigt, hinter den Pariser Morden zu stecken. Daß der deutsche Geheimdienst ausgerechnet jetzt seine Zusammenarbeit mit seinem türkischen Partnerdienst einschränkt, könnte allerdings noch andere Gründe haben. So beklagen deutsche Behörden mittlerweile die mangelnde Kooperation der Türkei bei der Bekämpfung von Dschihadisten.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Februar 2014


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