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Gespannte Grenzlage

Syrisch-türkische Feindseligkeiten halten an *

Einen Tag nach dem Abschuss eines syrischen Kampfflugzeugs durch die türkische Luftwaffe gab es entlang der Grenze beider Staaten neue Spannungen.

Am Montag seien auf türkischer Seite des syrischen Grenzortes Kasab mehrere Mörsergranaten eingeschlagen, berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu. Nach erneuten Gefechten sei Kasab am selben Tag von syrischen Rebellen zum Großteil eingenommen worden, berichteten syrische Exil-Widerständler. Kämpfer der Al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front brachten den Hauptplatz von Kasab unter ihre Kontrolle, hieß es von den Exilleuten. Die Kämpfe zwischen Aufständischen und Truppen der syrischen Regierung hätten sich auf die Hügelzüge im Umland der Grenzstadt verlagert.

Der türkische Generalstab in Ankara teilte zudem mit, die syrische Luftabwehr habe ein entlang der Grenze fliegendes türkisches Kampfflugzeug minutenlang als Ziel mit dem Radar erfasst. Am Vortag hatte das türkische Militär eine syrische Maschine abgeschossen, die nach türkischen Angaben den Luftraum verletzt hatte.

Syrien hatte die Luftraumverletzung bestritten und den Abschuss durch die Türkei als »Aggression« bezeichnet. Der Jet war auf syrischem Gebiet niedergegangen.

Nach den beiden ergebnislosen Verhandlungsrunden zur Beilegung des Bürgerkriegs in Syrien sieht der internationale Sondergesandte Lakhdar Brahimi vorerst keine Chance für weitere Gespräche. »Eine Rückkehr nach Genf steht derzeit außer Frage, weil die Kriterien nicht erfüllt sind«, sagte Brahimi am Montag in Kuwait. Die zweite Runde der Gespräche in Genf war am 15. Februar zu Ende gegangen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013


Spiel mit dem Feuer

Türkische Armee schießt syrisches Kampfflugzeug ab und bombardiert Grenzgebiet. Damaskus: »Eklatante Aggression«. Dschihadisten erhalten Unterstützung aus Ankara. Truppenbesuch von der Leyens

Von Nick Brauns **


Knapp eine Woche vor den türkischen Kommunalwahlen setzt die von Korruptionsermittlungen gebeutelte islamisch-konservative AKP-Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf ein gefährliches militärisches Muskelspiel gegenüber Syrien. Sonntag nachmittag schossen türkische F-16-Kampfflugzeuge einen syrischen MIG-23-Kampfjet im Grenzgebiet ab. Der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz aus dem brennenden Flieger retten, der über syrischem Gebiet abstürzte. Zwei syrische Jets seien zuvor in der Provinz Hatay einen Kilometer tief in den türkischen Luftraum eingedrungen, meldete der türkische Generalstab. »Wenn man meinen Luftraum verletzt, wird unser Schlag danach hart ausfallen. In Eurer Anwesenheit gratuliere ich dem Generalstab, dem türkischen Militär und unserer Luftwaffe«, verkündete Ministerpräsident Erdogan den Abschuß auf einer Wahlkampfveranstaltung in der Provinz Kocaeli.

Das syrische Außenministerium nannte den Abschuß eine »eklatante Aggression« der Türkei. Die MIG-23 sei nicht über türkischem Gebiet geflogen, sondern habe terroristische Kämpfer in Syrien angegriffen. Seit Freitag liefern sich Dschihadisten einschließlich des Al-Qaida-Ablegers Al-Nusra-Front schwere Gefechte mit Regierungskräften um die Kontrolle des Grenzübergangs Kasab im Bergland der Provinz Latakia. »Türkische Truppen beschießen aus Panzern und Artilleriegeschützen syrisches Hoheitsgebiet nahe der Grenzstadt Kasab und geben Terrorbanden Deckungsfeuer«, beschuldigte die syrische Regierung Ankara. Während der am Montag andauernden Schlacht um Kasab sei Hilal Al-Assad, ein Cousin des Staatspräsidenten, als Anführer einer Selbstverteidigungsmiliz getötet worden, meldete das syrische Fernsehen.

Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül droht unterdessen militärische Maßnahmen zum Schutze des Grabmals von Süleyman Shah in der syrischen Provinz Aleppo an. Das 25 Kilometer von der Grenze am Ufer des Euphrat gelegene Grab des Großvaters des Begründers des Osmanischen Reiches Sultan Osman I. gilt völkerrechtlich als türkisches Territorium. Derzeit sind dort rund zwei Dutzend türkische Soldaten stationiert. Die zu Al-Qaida gehörende Gruppierung »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (ISIL) hatte am Freitag damit gedroht, das Grab dem Erdboden gleichzumachen, wenn die Türkei als nicht islamischer Staat diese Soldaten nicht abzieht und die türkische Fahne entfernt. Während Ankara weiterhin andere dschihadistische Gruppierungen in Syrien mit Waffen und Logistik unterstützt, kommt es zu verstärkten Spannungen mit der ISIL. So erschossen Ende letzter Woche drei ISIL-Kämpfer albanischer Herkunft an einem Checkpoint in der türkischen Provinz Nigde drei Militärangehörige.

Am Montag meldete der türkische Generalstab, ein Radarsystem der syrischen Luftabwehr habe ein Kampfflugzeug während eines Aufklärungsfluges über Hatay »belästigt«. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) warnte angesichts dieses Spiels mit dem Feuer die Regierung davor, mit einem militärischen Eingreifen in Syrien im Vorfeld der Wahlen von den Korruptionsvorwürfen abzulenken. Unterdessen ist die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Montag zu einem Truppenbesuch bei den in der Türkei mit »Patriot«-Luftabwehrraketen stationierten Bundeswehrsoldaten aufgebrochen. Die »Patriots« dienen offiziell zum Schutz vor syrischen Angriffen auf die Türkei.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 25. März 2013


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