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"Die deutschen Medien sollten für Aufklärung sorgen"

Sie halten immer noch an der Fiktion fest, die kurdische PKK sei eine Terrororganisation. Ein Gespräch mit Akif Yilmaz *


Akif Yilmaz ist Mitarbeiter von »Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.« in Frankfurt am Main.

Seit dem Anschlag auf kurdische Jugendliche in der türkischen Stadt Suruc, die beim Wiederaufbau der vom Islamischen Staat (IS) zerstörten Stadt Kobani in Nordsyrien helfen wollten, hat Recep Tayyip Erdogans türkische Regierungspartei AKP wenige Angriffe gegen den IS geführt, weit mehr gegen die PKK. Wie stellt sich aktuell die Lage dar?

Die türkische Armee setzt ihre Luftangriffe vom Militärflughafen in Amed/ Diyarbakir aus fort. Seit Freitag bombardiert sie Stellungen der PKK als auch die der Bevölkerung in den Qandil-Gebirgen im Nordirak; neuerlich auch innerhalb der Türkei, im Osten des Landes. Die Verhaftungen von linken und kurdischen Oppositionellen hält an; bislang wurden 850 friedliche Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen, dagegen nur eine verschwindend geringe Zahl von IS-Anhängern. Die türkische Polizei hat hauptsächlich engagierte Politiker der Oppositionspartei Halklarin Demokratik Partisi, HDP (Demokratische Partei der Völker) inhaftiert.

In mehreren europäischen Städten gab es Proteste dagegen; unter anderem eine Demonstration in Frankfurt am Main am Samstag, sowie am Montag eine Aktion vor dem dortigen türkischen Konsulat. Was fordern Sie?

Die AKP muss diesen Krieg sofort beenden, die kurdische Seite will den Frieden. Erdogan muss die Ergebnisse der demokratischen Wahl im Juni 2015 anerkennen, bei der die HDP 13 Prozent der Wählerstimmen erhielt und so die von Erdogan geplante Präsidialvorherrschaft verhindern konnte. In der Presse hierzulande ist stets von der »prokurdischen Partei« HDP die Rede: das ist zu kurz gegriffen, sie steht für eine breite kurdische und türkische linke Bewegung. In Frankfurt haben etwa 2.000 Leute demonstriert, darunter Nav-Dem (Dachverband Dutzender kurdischer Vereine in der BRD), Aktivisten der HDP und deutsche Organisationen, wie das Internationalistische Aktionsbündnis Frankfurt. Ursprünglich richtete sich die Demo gegen die Angriffe der Terrormiliz IS in Suruc auf die Jugendlichen. Spontan hat sie sich dann aber gegen die AKP-Regierung gewandt.

Der Eindruck bleibt, dass Kurden hierzulande weitgehend alleingelassen mit ihren Protesten sind. Welche Rolle spielen die Medien dabei?

Wir kritisieren die Zeitungen und Fernsehsender. Ihnen ist bekannt, dass die jetzt in der Türkei angegriffenen Aktivistinnen und Aktivisten genau die sind, die in Shengal, Sindschar im Nordirak, in Rojava und anderen Teilen Syriens Widerstand gegen den IS geleistet haben. Sie haben sich und die Menschen dort geschützt, aber auch Teile Europas, für die die Terrormiliz eine Bedrohung darstellt. Trotzdem herrscht in der deutschen Bevölkerung Angst vor, was ihre Solidarität schmälert. Hierfür tragen Medien Verantwortung, die immer noch den Eindruck verbreiten, es handele sich bei der PKK um eine terroristische Organisation. Statt alte Phrasen aus den 80er und 90er Jahren herunterzubeten, sollten sie für Aufklärung sorgen.

Vor dem türkischen Konsulat in Frankfurt hat ein nationalistischer Türke eine Demonstrantin angegriffen – besteht die Gefahr, dass der Konflikt auch hierzulande ausgetragen wird?

Zwischen 50 und 100 Jugendliche hatten dort demonstriert; unter anderem von YXK, dem Dachverband der Studierenden aus Kurdistan. Die Attacke hat es tatsächlich gegeben, die kurdische Bewegung ist aber bemüht, auf solche Provokationen nicht hereinzufallen. Wir wollen keine Eskalation, sondern den Konflikt so darstellen, dass deutsche Medien unseren Widerstand gegen den IS verstehen.

Wie beurteilen Sie die Reaktion der deutschen Bundesregierung?

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) begrüßt, dass Erdogan endlich den IS bekämpft, fordert aber Zurückhaltung bei Angriffen auf kurdische Stellungen – mit dem Hinweis, es gelte, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Das sind nicht die Worte, die wir erwarten. Angesichts dessen, dass Erdogan den Friedensprozess mit den Kurden beendet hat und Syrien militärisch angreift, sind sie zu verhalten. Die Ministerin hätte den NATO-Partner Türkei scharf kritisieren müssen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Juli 2015


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